Schicksalhafter
Reigen der
Liebenden
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Ballet du Grand Théâtre de Genève mit Roméo et Juliette | Foto © Gregory Batardon
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Bewertung:
Romeo und Julia ist die wohl berühmteste literarische Darstellung einer dramatischen Liebe. Der unlösbare Konflikt zwischen den Normen einer öffentlichen Außenwelt und der Selbstverwirklichung in der Liebesbeziehung bildet den thematischen Schwerpunkt in William Shakespeares Liebestragödie von 1597. Die Klimax des Trauerspiels, der Doppelselbstmord von Romeo und Julia, wird durch den Einführungsmonolog des Chorus vorgestellt und im Stück durch wiederkehrende Vorahnungen und Todesahnungen der beiden Hauptcharaktere dezidiert vorbereitet. Zufälle und Schicksalsschläge, aber besonders das fehlende Verständnis und Einfühlungsvermögen der unmittelbaren Umwelt provozieren diese finale Lebensabwendung der beiden Liebenden. Shakespeare baut dabei in seinem Drama inhaltlich ein Gerüst auf, in dem Romeo und Julia oft in ihrer Isolation gezeigt werden und sich mit einer beharrlichen Konsequenz immer mehr von ihrer Umwelt abwenden und abgrenzen. Das Scheitern der Liebenden an den Konventionen einer feindlich gesinnten Umgebung, wurde in zahllosen Bearbeitungen, Theaterinszenierungen und Verfilmungen des Stoffes wiederholt neu inszeniert.
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Die schweizer Choreographin Joëlle Bouvier widmet sich gerne großen Liebesgeschichten, erhielt sie doch 2016 für ihre Choreographie Tristan & Isolde den Grand Prix de la critique der L’association professionnelle de la critique Théâtre, Musique et Danse. Sechs Jahre zuvor hatte sie auch mit ihrer Tanzversion Roméo et Juliette einen Beachtungserfolg. Das Ballet du Grand Théâtre de Geneve zeigte nun jüngst diese puristisch anmutende Choreographie im ausverkauften Staatenhaus, dem Ausweichquartier der Oper Köln. Musikalisch unterlegt wird die zeitlose Geschichte der Liebenden von drei Suiten aus Sergei Prokofievs Ballett Romeo und Julia. Bouvier verzichtet auf ein erkennbares Setting. Das schlichte Szenenbild und die eleganten Kostüme wirken zeitlos. Die Choreographin berücksichtigt viele Details der Geschichte nicht. Julias Amme oder der Bruder Lorenzo, ein Vertrauter Romeos, der Julia einen Schlaftrunk gibt, werden nicht dargestellt. Bouvier setzt vor allem die Wendepunkte der Geschichte visuell stimmungsvoll um.
Die Eröffnungsszene ist feierlich und vielversprechend. Ein barfüßiger, oberkörperfreier Tänzer im schwarzen Rock hebt eine meterlange Metallstange, deren Spitze er auf den Boden setzt. Mit der Stange formt der Tänzer einen Kreis. Er führt die Stange dabei langsam und konzentriert entlang eines leicht kreisförmigen, schräg sich in die Höhe schraubenden Wandelements, das eines der wenigen Requisiten des Bühnenbildes darstellt. Nach dieser Szene tritt das Kompanie-Ensemble in schwarzer Kleidung auf. Sie ergehen sich in kollektiven Bewegungen und Figuren. Bald werden Romeo und Julia von je unterschiedlichen Bühnenseiten hereingetragen. Als einzige sind Romeo und Julia in weiße Kostüme gekleidet. Ihre Bewegungen werden anfangs wie fremdbestimmt von den übrigen Ensemblemitgliedern geführt. Andere Tänzer heben die Körper, Arme oder Beine von Romeo und Julia an, oder lassen sie herab. In dieser Szene, die die Beerdigung und zugleich die Einführung des Paares darstellt, deutet Bouvier eindrucksvoll an, wie fremdbestimmt Romeo und Julia aufgewachsen sind. Effektvoll wird eine manipulative Führung durch die in dunklen Farben gehaltene, kollektive Gemeinschaft um Romeo und Julia gezeigt. Dies betont die destruktive Macht der Anderen über das junge Paar.
In späteren Szenen trägt das Ensemble wieder eine farbige, elegante Garderobe, während Romeos und Julias Kostüme weiterhin hell bleiben. Nun bewegen sich die Titelhelden der Performance selbstbestimmt und nähern sich mit schwärmerisch leichten Bewegungen aneinander an. Julia-Darstellerin Madeline Wong darf einige bezaubernde, verträumt zärtliche Solopartien tanzen. Romeo-Darsteller Sasha Riva begibt sich hingegen dynamisch-temporeich mit Armando Gonzales Besas Figur des Tybalt in den Zweikampf. Die übrigen Tänzer formen Hebelfiguren, Sprüngen und synchronen Formationen. Es gibt kleine Bewegungen, die durch eine kollektive Ausführung des Ensembles an Wirkmacht gewinnen. Die Spannungen zwischen der Gemeinschaft der Montagues und jener der Capulets werden durch archaisch anmutende kampfkunstähnliche Bewegungen choreographisch effektvoll umgesetzt.
Manchmal lässt das dargestellte Geschehen etwas an Kongruenz vermissen, da der Faden sich bisweilen verliert. Insbesondere zum Ende hin fehlt es an psychologischem Feingespür. Der Schmerz des Liebespaares wird szenisch und tänzerisch nur in Ansätzen angedeutet. Hier hätte man sich eine leidenschaftlichere, dramatischere und phantasievollere Gestaltung des Liebestodes gewünscht. Julia verstirbt etwa mit nur kleinen Gesten im Sitzen, ohne ihrem Romeo zu guter Letzt nahezukommen.
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Ballet du Grand Théâtre de Genève mit Roméo et Juliette | Foto © Gregory Batardon
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Ansgar Skoda - 26. Januar 2019 ID 11169
ROMÉO ET JULIETTE (Staatenhaus 1, 17.01.2019)
Choreografie: Joëlle Bouvier
Bühne: Rémi Nicolas und Jacqueline Bosson
Licht: Rémi Nicolas
Kostüme: Philippe Combeau
Besetzung:
Juliette … Madeline Wong
Roméo … Sasha Riva
Tybalt … Armando Gonzales Besa
Mercutio … Geoffrey van Dyck
u.a.
Gastspiel des Ballet du Grand Théâtre de Genève an der Oper Köln
Weitere Infos siehe auch: https://www.geneveopera.ch/le-ballet/presentation/
Post an Ansgar Skoda
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