Hillbrowfication
von Constanza Macras
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Foto (C) THEMBA
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Bewertung:
The Future is black an drei Abenden im Maxim Gorki Theater: 21 junge schwarze TänzerInnen zwischen 5 und 19 Jahren aus Hillbrow, einem Stadtteil im südafrikanischen Johannesburg, stehen hier gemeinsam auf der Bühne. Hierher gebracht hat sie die in Berlin lebende argentinische Choreografin Constanza Macras. Nach ihrem ersten Projekt mit TänzerInnen des Hillbrow Theatre (On Fire war vor zwei Jahren zu Gast im Gorki) hat sie nun mit den im dortigen Problemviertel ansässigen Jugendlichen ein neues Tanzstück einstudiert. Hillbrowfication ist ein bunter Stilmix von afrofuturistischen und afrozentristischen Elemente aus Musik, Tanz, Literatur und bildender Kunst. Bühne und Kostüme stammen vom Johannesburger Modedesigner Roman Handt, der bekannt ist für seine afrofuturistischen und Gendergrenzen sprengenden Modekollektionen.
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Bunt, laut, extravagant und avantgardistisch ist dieser Abend, der sich aber auch an älteren Vorbildern abarbeitet wie etwa dem afroamerikanischen Avantgarde-Jazzmusiker Sun Ra, der ebenfalls einen Hang zu Futurismus und Extravaganz hatte. So behauptete er u.a. vom Planeten Saturn zu stammen und trug Kostüme und Kopfschmuck im Stil des antiken ägyptischen Sonnengotts Ra. Künstlerisch verarbeitet er das in dem afrofuturistischen Science-Fiction-Film Space Is The Place aus dem Jahr 1972, in dem er aus den Weiten des Alls kommend alle Schwarzen von der Erde abholen wollte. Zum Titelsong des Films wird hier getanzt, und auch eine Alien-Geschichte hat Constanza Macras ihrem Tanzstück zugrunde gelegt. Die Idee stammt aus dem 2006 von der südafrikanischen Schriftstellerin Andrea Hairston geschriebenen Science-Fiction-Roman Mindscape. Darin erobert eine die Erde in Zonen aufteilende Barriere die Welt. Ein nicht fassbares Phänomen, aber doch auch ganz irdisch.
Aliens landen nun auch in Hillbrow und wollen von dort der Welt ein neues System aufdrücken. Überleben wird nur, wer gut tanzen kann. Der Rest der Menschheit wird von der Erde getilgt. Auch nicht gerade eine sehr gerechte Utopie, aber zumindest eine, die den Afrikanern mal einen nicht geringen Vorteil verschafft. Um die Zukunft der Jugendlichen in Hillbrow soll es an diesem Abend gehen. „SPACE TALES, future cities“ heißt auch eine Plattform für interdisziplinären und internationalen künstlerischen Austausch zwischen KünstlerInnen aus Südafrika und Deutschland, die sich über Architekturen von Ausgrenzung, Migration und Fremdenfeindlichkeit austauschen. Die Förderung kommt von der Kulturstiftung des Bundes. Constanza Macras‘ Beitrag ist diese Produktion und eine weitere mit TänzerInnen aus Durban, die beim Tanz im August im HAU2 gezeigt wird.
Wie sich die Hillbrower Jugendlichen ihre Zukunft vorstellen, kann man in flotten 70 Minuten erleben. Neben der bald nicht mehr so entscheidenden Alien-Story, für die man sich in Robot Dance und Parodien des westlichen zeitgenössischen Konzepttanz und in Ballettfiguren übt, erzählen die Jugendlichen aus ihrem Leben in Hillbrow und ihren Wünschen für die Zukunft. So wollen etwa zwei der Mädchen Ärztin und Biochemikerin werden, um den Menschen zu helfen und die Welt verändern zu können. Aber auch Probleme im Viertel mit afrikanischen Migranten aus Simbabwe kommen zur Sprache. Vorurteile lassen sich kaum wegtanzen, aber Kunst ist immer auch Mittel zur Verständigung. Von Hip-Hop und Rap über ein verzerrtes Hallelujah nach Leonard-Cohen bis zum traditionellen Spiritual und der Hymne Congo Mama reicht die Palette der musikalischen Darbietung. Es wird live getrommelt und immer wieder in kraftvollen, schweißtreibenden Gruppenchoreografien getanzt.
Das powert ordentlich auf der Bühne aus den Boxen, und auch im choreografierten Streetfighting schenken sich die TänzerInnen nichts. Blaxploitation hieß ein afroamerikanisches Filmgenre der 1970er Jahre, das explizit schwarzes Selbstbewusstsein in den Mittelpunkt der Handlung stellte. Auch hier wird sicher niemand zur Erbauung eines weißen Publikums ausgebeutet. Der Spaß am Tanz, das exzellente Können und der Drang zur Selbstermächtigung ist den Jugendlichen aus Hillbrow buchstäblich anzusehen. Und so heißt es auch in einem Song des Abends: „Wir werden siegen.“
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Hillbrowfication von Constanza Macras | Foto (C) THEMBA
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Stefan Bock - 6. Juni 2018 ID 10738
HILLBROWFICATION - A Part of Space Tales, Future Cities (Maxim Gorki Theater Berlin, 03.06.2018)
Konzept + Regie: Constanza Macras, Lisi Estarás
Bühne und Ausstattung: Roman Handt + Outreach Foundation‘s
Kostümdesign: Roman Handt
Lichtdesign: Sergio de Carvalho Pessanha
Dramaturgie: Tamara Saphir
Mit: Emil Bordas, Rendani Dlamini, Zibusiso Dube, Nompilo Hadebe, Karabo Kgatle, Tshepang Lebelo, Brandon Magengele, Jackson Magotlane, Bongani Mangena, Tisetso Maselo, Vusi Magoro, Amahle Meine, Sakhile Mlalazi, Sandile Mthembu, Bigboy Ndlovu, Thato Ndlovu, Simiso Ngubane, Blessing Opka, Miki Shoji, Peral Sigwagwa, John Sithole, Ukho Somadlaka und Lwadlile Thabethe
Weitere Infos siehe auch: http://www.dorkypark.org
Post an Stefan Bock
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