Mit der flachen Hand
aufs Wasser geklatscht
MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN nach dem gleichnamigen Roman von Lukas Rietzschel am Staatsschauspiel Dresden
|
Bewertung:
Ich will mich künftig kürzer fassen.
Also: Eine erfreulich stringente und schnörkellose Regie der Niederländerin Lisbeth Coltof, die erstmals in Dresden inszenierte, die Bühne von Guus van Geffen mit sehr plausiblen Visualisierungen, Video, Musik und Kostüme manchmal hart am Klischee, aber insgesamt doch gelungen. Und ein gut und passend besetztes Schauspielensemble, in dem auch die Neuzugänge und Gäste überzeugen konnten.
Soweit alles prima. Doch zum herausragenden Abend fehlte es am überzeugenden Stück.
Mag sein, dass ich da überempfindlich bin. Aber ich kann sie nicht mehr hören, die Mär vom achsoschweren Nachwendeleben im nahesten Osten, das insbesondere der Dorfjugend keine andere Wahl ließ außer zum Nazi-Schläger zu mutieren, weil der böse Staat das eigene Leben partout nicht organisieren wollte (zumindest so lange nicht, ehe man nicht im Knast gelandet war). Das Buch von Lukas Rietzschel, das dem Stück als Vorlage diente, fügt diesem Klagelied nur eine weitere Strophe hinzu (zumindest war auf der Bühne nicht mehr zu erkennen), angereichert um die zu jeder Zeit schwere Trennung der Eltern, die es zu verkraften gilt.
Aber in Summe bleibt mal wieder nicht viel mehr als eine erstaunliche Selbstüberhöhung der Leiden Ossi, ja geradezu die Glorifizierung der eigenen Probleme mit der wirtschaftlichen Entwicklung der blühenden Landschaften, wo es laut Onkel Kohl ja niemandem schlechter zu gehen hatte. Die Ärmlichkeit dieses Ansatzes wird schnell klar, wenn man das Geschehen mal in eine Plattenbausiedlung in Kosice, Slowakische Republik, verlagert. Die hatten auch eine Wende, wenn auch ohne Westverwandtschaft. Langfristig gesehen dürfte das die bessere Variante gewesen sein.
Man muss dieser Larmoyanz hier nicht zu viel Raum geben, dafür gibt es den MDR, der gerne mal das Große Fest des Selbstmitleids feiert. Aber Herrn Rietzschel, der im inhaltlich leider auch sonst übersichtlichen Programmheft die Absicht äußert, „den Westen mit Ostthemen zuzuschütten, bis er es endlich begriffen habe“, möchte ich gerne raten, seinen Blick geographisch und historisch zu weiten, bevor er seinen Kleinewelt-Schmerz weiter ins Universum heult.
(Transparenzhinweis: Ich bin nicht etwa ein böser Besserwessi mit treuhandermöglichtem Reichtum, sondern im weiteren Sinne Landsmann von Herrn Rietzschel, wenn auch etwas südlicher gebürtig und deutlich älter. Die klassischen Abwehrreflexe greifen also nicht, ich bedaure.)
|
Sandro Zimmermann - 14. September 2019 ID 11677
MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN (Kleines Haus 1, 13.09.2019)
Regie: Liesbeth Coltof
Bühne: Guus van Geffen
Kostüme: Carly Everaert
Musik: Vredeber Albrecht
Licht: Andreas Barkleit
Dramaturgie: Julia Weinreich
Besetzung:
Tobias ... Tillmann Eckardt
Philipp ... Daniel Séjourné
Vater / Ramon ... Ingo Tomi
Mutter / Direktorin ... Betty Freudenberg
Uwe / Christoph / Marcos Vater ... Sven Hönig
Kathrin / Menzel ... Ursula Hobmair
Marco / Robert ... Franziskus Claus
Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden: 13. September 2019
Weitere Termine: 18., 27.09. / 08., 25.10.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de
Post an Sandro Zimmermann
teichelmauke.me
Neue Stücke
Premierenkritiken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|