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Veranstaltungen - Eindrücke
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Die Redaktion
Eindrücke
von der Europäischen Kinder- und Jugendbuchausstellung, die
im Oktober 1999 im Europahaus Baden-Württemberg in Stuttgart
stattfand.
"Bücher
überwinden Grenzen" lautete das Motto der europäischen Kinder-
und Jugendbuchausstellung, die das Europa Zentrum Baden-Württemberg
zusammen mit der Stadtbücherei Stuttgart veranstaltete. Nationale
Grenzen in Europa verlieren immer mehr ihre trennende Funktion.
Historische Feindschaften werden zunehmend überwunden. Europa
wächst immer mehr zusammen.
Doch auch
wenn äußere Grenzen ihre Bedeutung verlieren, beseitigen Unkenntnis,
ungenügendes Wissen über andere Länder und Lebensweisen doch
noch nicht trennende Vor-Urteile. Daß ein dauerhafter Friede
nur durch gemeinsame Verständigung und Austausch zu erreichen
ist, wurde besonders nach Ende des Zweiten Welt-krieges deutlich.
Die Vision von einem gemeinsamen Europa ohne trennende Grenzen
wurde in vielen Ländern ein wichtiges politisches Ziel.
Auch im
Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur führte der Gedanke
der internationalen Verständigung zu einer wichtigen Gründung:
Vor 50 Jahren, am 14. September 1949, wurde in München die
Internationale Jugend-bibliothek eröffnet. Die Idee zu einer
solchen Bibliothek stammte von der aus der britischen Emigration
zurück-gekehrten Jella Lepman. Sie war 1891 in Stuttgart geboren
worden und wuchs in einem jüdisch-liberalen Eltern-haus auf.
1936 emigrierte sie zusammen mit ihren beiden Kindern nach
Großbritannien, da sie in Deutschland ihren Beruf als Journalistin
nicht mehr ausüben konnte. Im Exil arbeitete sie zunächst
für den britischen Rund-funk BBC, später dann für eine amerikanische
Rundfunkstation. Ende 1945 kehrte sie im Auftrag der amerikani-schen
Militärregierung als Beraterin für Frauen- und Jugendfragen
im Rahmen des Reeducation-Programms nach Deutschland zurück.
Schon
bald entwickelte sie den Plan, durch Kinder- und Jugendbücher,
durch eine "Kinderbuchbrücke", wie sie ihre 1964 erschienenen
Erinnerungen nannte, internationale Verständigung anzuregen
und zu fördern. Zunächst organisierte sie im Sommer 1946 eine
internationale Ausstellung "Das Jugendbuch", mit über 800
gespendeten Büchern aus 20 Ländern, die auch in der Württembergischen
Landesbibliothek in Stuttgart und noch in weiteren Großstädten
gezeigt wurde. Aus diesem erfolgreichen Projekt entstand dann
durch das große Engagement von Jella Lepman die Internationale
Jugendbibliothek in München.
Jella
Lepman war es auch, die Erich Kästner zu seinem später weltberühmten
Buch "Die Konferenz der Tiere" anregte, bei der es um die
Zukunft der Kinder und um den Frieden in der Welt geht. Sie
setzte sich noch für viele weitere Aktivitäten im Bereich
internationaler Kinder- und Jugendliteratur ein. 1956 hat
sie den Hans Christian Andersen Preis mitbegründet, die international
bedeutendste Auszeichnung für Kinder- und Jugendliteratur.
Heute erinnert der Jella-Lepman-Raum in der Kinderbücherei
im Wilhelmspalais an die Stuttgarterin und ihren Beitrag zur
internationalen Verständigung durch Kinder- und Jugendbücher,
eben durch eine "Kinderbuchbrücke".
Zur
Konzeption der Ausstellung
Die Ausstellung wollte auf die europäische Vielfalt der
Traditionen und Kulturen hinweisen, die auch in der Kinder-
und Jugendliteratur zum Ausdruck kommt, und auf gemeinsame
Wurzeln in Geschichte und Kultur. Neben Büchern deutscher
Autorinnen und Autoren waren in der Mehrzahl Übersetzungen
aus dem europäischen Ausland vertreten, außerdem auch einige
fremdsprachige Ausgaben.
Ausstellungen
können nach vielen Aspekten zusammengestellt sein, z.B. nach
Ländern, Lesealtern etc. Ich hatte mich für einzelne Themengebiete
entschieden, für Märchen, Sagen/Fabeln, Kinderbuchklassiker,
Geschichte/ Zeitgeschichte und Europa kennenlernen.
Wie kaum
bei einer anderen Gattung lassen sich in den europäischen
Märchen gemeinsame kulturelle Wurzeln erkennen:
zum einen kommt hier die Eigenart jedes Volkes und jeder Epoche
zum Ausdruck, über die nationa-len, zeitlichen und individuellen
Verschiedenheiten hinweg zeigen sich aber auch manche gemeinsame
Züge. In der Ausstellung fanden sich Volksmärchen neben Kunstmärchen,
Märchensammlungen neben farbenfroh illustrierten Bilderbuch-
und Einzelausgaben. Es war ganz im Sinne dieser Ausstellung
gewesen, wenn die darin gezeigten Bücher zu einem Wiederentdecken
des Märchenlands Europa inspirierten.
Hexen
sind in ganz Europa zu Hause. Zu diesem Thema wurden Bücher
ganz unterschiedlicher Gattungen zusammengestellt. Der Band
"Flammenhaar. Märchen und Sagen von Hexen und weisen Frauen"
enthält Erzäh-lungen aus ganz Europa. Ein Bilderbuch im besten
Sinne, für Kinder und für Erwachsene gleichermaßen, ist "Das
Hexeneinmaleins" mit einem Text aus Goethes Faust und illustriert
von Wolf Erlbruch. Als Abzählreim findet sich das Hexen-Thema
im Bilderbuch "Morgens früh um sechs kommt die kleine Hex".
Und mit Otfried Preusslers "Kleiner Hexe" haben Generationen
von Kindern auf der ganzen Welt ein freundliches und hilfreiches
Wesen kennengelernt - das Buch wurde in 39 Sprachen übersetzt,
davon in 29 europäische (darunter sogar Platt-deutsch). In
dieser Ausstellung waren Ausgaben von neun europäischen Sprachen
zu sehen, die alle noch lieferbar sind und die der Thienemann
Verlag in Stuttgart für diese Ausstellung freundlicherweise
zur Verfügung gestellt hat (in baskischer, griechischer, holländischer,
italienischer, spanischer, katalanischer, portugiesischer,
türkischer und ungarischer Sprache).
Auch in
Sage, Legende und Fabel lassen sich gemeinsame
kulturelle Traditionen erkennen. Neben bekannten Sagensammlungen
wie denen des Klassischen Altertums oder Einzelausgaben, z.B.
Orpheus und Eurydike, waren Fabeln von Äsop und, weniger bekannt,
Leonardo da Vinci ausgestellt, aber auch die von Peter Hacks
neu erzählte Geschichte "Prinz Telemach und sein Lehrer Mentor"
über den Sohn von Odysseus und Penelope.
Bei der
Auswahl der Jugendbuchklassiker stand zum einen
der Bekanntheitsgrad der einzelnen Werke über nationale Grenzen
hinaus im Vordergrund, z. B. Saint-Exupery's "Der kleine Prinz"
oder Prokofjews "Peter und der Wolf". Zum anderen geben viele
Jugendbuchklassiker aber auch Auskunft über ihr Land und über
den Alltag der Kinder, z.B. Lindgren's "Wir Kinder aus Bullerbü",
Lagerlöfs "Nils Holgerssons wunderbare Reise zu den Wildgänsen",
Cervantes "Don Quijote".
Bei den deutschen Jugendbuchklassikern hatte ich mich im Jahr
des 100. Geburtstags von Erich Kästner für "Emil und die Detektive"
entschieden - zusammen mit der eingangs erwähnten "Konferenz
der Tiere". Und natürlich durfte auch der Bilderbuchklassiker
"Frederick" nicht fehlen in den Wochen um den landesweiten
"Frederick-Tag", des Lese- und Literaturfests in Baden-Württemberg.
Die Titel
zur Geschichte umspannten einen großen Zeitraum,
vom Altertum über das Mittelalter bis zur Neuzeit, wobei gemeinsame
historische Wurzeln und die europäische Vielfalt der Kulturen
deutlich werden. So konnte man etwas erfahren über das Leben
der Alamannen, über jüdisches Leben im mittelalterlichen Europa,
über die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern,
über eine Technikkatastrophe in Schweden (der Untergang der
Vasa im 17. Jahrhundert).
Auskunft gaben auch Biographien über einzelne Persönlichkeiten
und ihr Lebenswerk, wie die Äbtissin und Heilkundige Hildegard
von Bingen, die Natursammlerin und Malerin Maria Sybilla Merian
oder die erste Trägerin des Friedensnobelpreises, Bertha von
Suttner. Die Einbindung der individuellen Lebensgeschichte
in politische Umbrüche von europäischem Ausmaß zeigten die
Bücher über Olympe de Gouges und ihr Wirken während der Französischen
Revolution oder die Geschichte von Jette und Frieder um das
Revolutionsjahr 1848.
Bei den
zeitgeschichtlichen Themen nehmen seit einigen
Jahren Auseinandersetzungen mit Zweitem Weltkrieg und Nationalsozialismus
einen deutlichen Schwerpunkt ein. Für diese Ausstellung wurden
dazu Bücher ausge-wählt, die die Ereignisse von europäischen
Nachbarländern aus und durch Erzählungen und Biographien von
Einzelschicksalen beleuchten. Neben der bekannten Lebensgeschichte
von Anne Frank konnte man etwas erfahren über Mojsche und
Rejsele aus Warschau, über den jungen Widerstandskämpfer Kim
aus Dänemark, der dort so bekannt ist wie hier die Geschwister
Scholl, oder über einen jungen Deutschen jüdischer Abstammung
und eine Schwedin, die sich Anfang der 30er Jahre verlieben,
für die es aber in der Zeit des Nationalsozialismus keine
gemeinsame Zukunft geben kann.
Auch zum politischen Umbruch von 1989 sind bereits einige
Jugendbücher erschienen, so die Geschichte eines Berliner
Hauses vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Mauerfall vor
10 Jahren (Luise Lewin: Hinterhof Nord) oder das neue Leben
im Prag der Nachwende-Zeit, geschildert aus der Sicht zweier
Jugendlicher (Sheila Och: Karel, Jarda und das wahre Leben).
Europa
kennenlernen
- unter diesem Thema wurden Berichte und Erzählungen über das heutige
Europa zusam-mengestellt. Allerdings kommt das Zusammenwachsen Europas
als eigenständiges Thema in der Kinder- und Jugendliteratur bisher
kaum vor. Die wenigen Titel sind allesamt Neuerscheinungen der letzten
Jahre: "Ich lebe in Europa", "Gipfeltreffen. Das EU-Lesebuch für
junge Leute" sowie eine "Rätselreise durch Europa" informie-ren,
unterhalten und machen neugierig. Der Europa-Roman "Tee im Himmel"
wurde als europäisches Gemein-schaftsprojekt von über 50 Schülerinnen
und Schülern aus vier bilingualen Gymnasien in Budapest, Genf, Luxemburg
und Stuttgart verfaßt.
Über das Leben
von Kindern und Jugendlichen in Europa, in Nord und Süd, in Ost
und West, berichten viele Erzählungen und Geschichten. Auch über
das Surfen im Internet läßt sich viel über fremde
Länder erfahren. Besonders spannend ist dies mit der Europäischen
Virtuellen Kinderbibliothek der Stadtbücherei Stuttgart, die von
hier aus auch persönlich besucht werden kann.
Was wäre
eine europäische Jugendbuchausstellung ohne fremdsprachige
Ausgaben? Neben den Übersetzungen von Otfried Preußlers "Kleiner
Hexe" aus dem Thienemann-Verlag haben auch das Institut Francais
und das Kulturinstitut der Republik Ungarn, beide mit Sitz
in Stuttgart, Jugendbuchausgaben in französischer und ungarischer
Sprache und Übersetzungen ins Deutsche zur Verfügung gestellt.
Dr.
Christl Ziegler - Ausstellungskonzeption und Realisierung
Info:
Europahaus
Baden-Württemberg
Europahaus
Baden-Württemberg
Nadlerstraße 4 (gegenüber dem Rathaus)
70173 Stuttgart
Telefon: 0711/2 34 93 67
Fax: 0711/2 34 93 68
E-mail: europa.bw@t-online.de
Bürozeiten:
Montag - Freitag, 10.00 - 12.00 Uhr und 14.00 - 16.30 Uhr
Ausstellungsbereich:
Montag - Donnerstag, 8.00 - 17.30 Uhr Freitag, 8.00 - 15.00
Uhr
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