Von Bismarck zu Büchmann
Wie der Begriff »Zivilcourage« entstand
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Das Münchener Blatt tz-online berichtete vor einigen Tagen über den Präsidenten des FC Bayern München: »Uli Hoeneß ruft die jungen Menschen zu mehr Zivilcourage auf.« Die Zeitung RP-Online kommentierte die kürzlich erfolgte Abwahl des Duisburger Oberbürgermeisters : »Das ist eine großartige Sache. Für das Image der Stadt ist das nur posi-tiv. Heute hat man gesehen: Bürgerengagement und Zivilcourage lohnen sich.«
Unter einem anderen Aspekt fand das Thema vor einigen Tagen auch im Handelsblatt Beachtung, wobei abschließend eine grundsätzliche Frage aufgeworfen wurde: »Wer öffentlich darüber spricht, was bei seinem Arbeitgeber alles schief läuft, riskiert noch immer seinen Job – mag die Kritik noch so berechtigt sein. Braucht Deutschland ein Gesetz, das Zivilcourage schützt?« Der Begriff, der die Presse beschäftigt, gilt als komplex. Das Züricher Psychologische Institut ist seit Jahren mit »zivilcouragespezifischen« Arbeiten befasst.
Glossare nennen als Synonyme: Beherztheit, Bravour, Furchtlosigkeit, Heroismus, Mumm, Schneid und Verwegenheit. Etymologische Lexika meiden jeglichen Eintrag. Anders Jacob und Wilhelm Grimms 1838 initiiertes Deutsches Wörterbuch (DWB), dessen Schlußband 1961 erschien. Das von Marcel Reich-Ranicki als »interessantester Roman und das allerwichtigste Buch in deutscher Sprache« gepriesene Opus forderte für alle Stichwörter Literaturbelege dreier Verfasser. Gerhard Powitz, Bearbeiter des Lemmas »Zivilcourage«, nannte 1956 einen Kunsthistoriker und zwei jüdische Autoren: Dehio, Feuchtwanger und Stefan Zweig.
Georg Dehio (1850–1932) betont in der Geschichte der deutschen Kunst (1926): »Im Soldatenrock, leider oft in fremdem, fand man noch tapfere Deutsche, aber die Zivil-courage, um dies Bismarcksche Wort zu brauchen war (im 18. Jahrhundert) abhanden gekommen.«
Den Hinweis erläutert der Diplomat Robert von Keudell 1901 in seinen Erinnerungen aus den Jahren 1846 bis 1872. Danach klagte Bismarck 1864 über zähe Beratungen einer Gesetzesvorlage: »Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut; aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Civilcourage fehlt.« Damit war das Wort geboren, das seither im Sinne Georg Büchmanns Flügel trägt.
Lion Feuchtwanger nutzte es im Zeitroman Die Geschwister Oppermann (1933) – für Klaus Mann »die wirkungsvollste, meistgelesene erzählerische Darstellung der deutschen Kalamität« –, als er den jüdischen Schüler Bertold Oppermann beschrieb. Der fand Luthers Bibelübersetzung und Gutenbergs Erfindungen wichtiger als die Armi-niusschlacht, was seinen regimetreuen Lehrer empörte. Die Familie riet zu taktischer Abbitte: »Du hast Zivilcourage genug gezeigt. Aber es hat keinen Zweck, solchen Bur-schen gegenüber auf einer Behauptung zu bestehen, bloß weil sie wahr ist. Da ist nordische List viel besser angebracht als Bekennermut.«
Feuchtwangers Abrechnung mit den Nazis wurde schon zu dessen Lebzeiten anerkannt. Tucholsky schrieb 1933 an Walter Hasenclever: »Feuchtwangers ›Oppenheims‹ werden ein gutes Werk tun.« Zwölf Jahre zuvor hatte er selbst als Theobald Tiger in der Weltbühne einen »Nachruf« zum Kriegstod eines Jungen verfasst: »Gehasst, weil du Zivilcourage den Herren vom Monokel zeigst – weil du schon Siebzehn die Blamage der Ludendörffer nicht verschweigst. So fielst du. Hinter deiner Bahre gehn grinsend, die den Mord gewollt: in Uniform und im Talare – der wildgewordne Teutobold.«
In seinen Erinnerungen eines Europäers, als Die Welt von Gestern im Exil notiert und posthum 1942 publiziert, bemerkt Stefan Zweig zum Pazifisten Henri Guilbeaux, an ihm habe er »das unumstößliche Gesetz der Geschichte bestätigt gesehen, dass in Epochen jäher Umstürze, insbesondere während eines Krieges oder einer Revolution, hitzige Zivilcourage entscheidender sein kann als Charakter und Stetigkeit.«
Wer diese Texte liest, braucht keine zivilcouragespezifischen Elaborate. Knapp definiert das DWB den Begriff als »unerschrocken aufrechte Haltung, entschlossen zupackendes Verhalten im bürgerlichen Leben.«
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Neben seiner wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit arbeitet Prof. Dr. Christoph Gutknecht seit Jahren für Rundfunk- und TV-Anstalten als Off- und Voice-Over-Sprecher – hauptsächlich für politische und historische Dokumentationen, spricht Werbespots, Hörbücher, deutsch- und englischsprachige Imagefilme für große Unternehmen und präsentiert mit großer Freude gemeinsam mit Musikern – so z. B. mit der Berliner Gruppe ebelmusic* – literarisch-musikalische Collagen. / Foto und Text (C) http://www.christoph-gutknecht.de
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Christoph Gutknecht - 20. Februar 2012 ID 00000005775
Weitere Infos siehe auch: http://www.christoph-gutknecht.de
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