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Zum Gedenken

Die "First Lady

der deutschen

Wirtschaft"

Vor 10 Jahren starb Grete Schickedanz /
Schon in der Schule die Beste

Ihr Leben klingt wie ein Märchen: Sie machte eine Traumkarriere vom armen Lehrmädchen bis zur Chefin des größten Versandhauses Europas. Der Aufstieg zur "Grande Dame" des deutschen Versandhandels gelang ihr dank ihres Fleißes und ihrer Intelligenz. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker bezeichnete sie einmal als "First Lady der deutschen Wirtschaft". Die ungewöhnlich tüchtige Frau, von der hier die Rede ist, war die fränkische Unternehmerin Grete Schickedanz (1911-1994), geborene Lachner, die vor 10 Jahren starb.

Grete Lachner kam am 20. Oktober 1911 als Tochter einer kinderreichen Familie in Fürth bei Nürnberg (Bayern) zur Welt. In der Volksschule war sie die Klassenbeste, durfte aber trotzdem nicht in eine höhere Schule wechseln und ein Studium beginnen, weil ihre Eltern eine solche Ausbildung nicht finanzieren konnten.

Wegen der Einkommensverhältnisse ihrer Eltern verzichtete Grete Lachner später auch auf ihren Berufswunsch, Kindergärtnerin zu werden. Statt dessen trat sie im Januar 1927 mit 15 Jahren als fünftes kaufmännisches Lehrmädchen in die am 7. Dezember 1922 von Gustav Schickedanz (1895-1977) gegründete Großhandlung für Kurz-, Weiß- und Wollwaren in der Moststraße 35 von Fürth ein.

Im November 1927 eröffnete Gustav Schickedanz in Fürth das Versandgeschäft "Quelle" in der Königswarterstraße 10 (heute: Fürther Freiheit). Die Einstellung von Grete Lachner erwies sich als Glücksfall für den kleinen Betrieb. Das "Fräulein Grete" arbeitete fleißig an sechs Tagen in der Woche von sieben Uhr früh am Morgen bis spät in die Nacht sowie häufig auch an Sonn- und Feiertagen. Nach offiziellem Geschäftsschluss ging es noch lange nicht nach Hause, denn dann wurden erst die tagsüber versandfertig gemachten Pakete mit Leiterwagen zur Post oder zur Bahn gebracht. Außerdem betreute Grete immer öfter die beiden Kinder Leo und Louise des Ehepaares Schickedanz.

Ein schwerer Schicksalsschlag traf Gustav Schickedanz am Samstag, 13. Juli 1929: Bei einem tragischen Autounfall erlitten seine erst 33 Jahre alte Frau Anna, sein fünfjähriger Sohn Leo und sein Vater Leo tödliche und er selbst schwere Verletzungen. Nur die vierjährige Tochter Louise blieb wie durch ein Wunder unversehrt.
Als Helferin in der Not erwies sich damals Liesl Kießling (1893-1978), die kaufmännisch ausgebildete Schwester von Gustav Schickedanz. Sie leitete bis zur Genesung ihres Bruders dessen Unternehmen und richtete ihn allmählich seelisch wieder auf. Die fast schon ausgelernte Grete Lachner kümmerte sich liebevoll um die kleine Tochter Louise.
Nach Abschluss ihrer Lehrzeit arbeitete Grete Lachner im Einkauf, den sie wegen ihres besonderen Geschicks bald leitete. Allmählich entwickelte sie sich zur engsten Mitarbeiterin des Chefs, den sie auch bei Geschäftsreisen immer öfter begleitete.

Seit dem Erwerb des Areals einer Schuhfabrik in Fürth 1932 nahm die Eigenfertigung von "Quelle"-Artikeln merklich zu. Im gleichen Jahr erregte Gustav Schickedanz in ganz Deutschland Aufsehen, als er für 9,95 Mark eine komplette Herrenausstattung mit Hose, Hemd, Pullover, Gürtel und Strümpfen anbot, was sonst nirgends für diesen günstigen Preis zu haben war. 1936 gab es bereits eine Million "Quelle"-Kunden und 500 Mitarbeiter.

Die 30-jährige Grete Lachner und der 47 Jahre alte Gustav Schickedanz heirateten am 8. Juni 1942 in der St.-Pauls-Kirche in Fürth. Ein Jahr später, im August 1943, wurde das Unternehmensgebäude durch einen Bombenangriff zerstört. Am 20. Oktober 1943 brachte Grete Schickedanz im Bunker der Nürnberger Frauenklinik ihre Tochter Madeleine zur Welt.

Ab 1943 lebte die Familie Schickedanz auf einem eigentlich nur für Wochenendaufenthalte erworbenen Anwesen auf dem Michelsberg in Hersbruck unweit von Nürnberg. Nach Kriegsende erhielt Gustav Schickedanz, der im "Dritten Reich" dem Stadtrat von Fürth angehörte, Berufsverbot, verlor sein Haus und lebte danach mit seiner Familie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Hersbruck.

1946 eröffnete Grete Schickedanz in der Hersbrucker Braugasse einen Textilladen und besuchte mit einem alten Lastwagen, den ein Fahrer steuerte, frühere Lieferanten, während zwei ehemalige Mitarbeiterinnen aus Fürth den Verkauf besorgten. 1948 zog der Laden in größere Räume am Eisenhüttlein um. Damals lag der Umsatz bei etwa 315000 Mark.

Im April 1949 kehrte Gustav Schickedanz, dessen Berufsverbot aufgehoben wurde, in die Firma zurück. Die Eheleute Schickedanz wagten nun gemeinsam einen Neubeginn für das Versandhaus "Quelle". 1954 erreichten sie bereits einen Umsatz von 260 Millionen Mark. Damals wurde Grete Schickedanz Generalbevollmächtigte und Mitglied des Konzernbeirats.

1974 betrug der Umsatz der "Quelle" schon 6,4 Milliarden Mark, und die Zahl der Mitarbeiter kletterte auf 36000. Anfang 1975 trat Grete Schickedanz als persönlich haftende Gesellschafterin in die neugebildete "Gustav und Grete Schickedanz Holding KG" ein.
Energisch engagierte sich Grete Schickedanz für soziale Verbesserungen in ihrem Unternehmen. Auf ihre Initiative gehen unter anderem der Bau eines Altersheims und eines Kindergartens in Fürth zurück. Außerdem setzte sie für die "Quelle"-Mitarbeiter und -mitarbeiterinnen eine fortschrittliche Altersruhegeldregelung durch, wie sie erst Jahre später gesetzlich verankert wurde.

Als Gustav Schickedanz am 27. März 1977 starb, übernahm seine Witwe die Firmenleitung des Versandhauses "Quelle". Selbst als Chefin kümmerte sie sich noch um alles. Sie entschied nicht nur über Investitionen in Millionenhöhe, sondern suchte bei Musterungen die Pullover für den nächsten Katalog aus, gab Fotografen Tipps für Aufnahmen von Kleidungsstücken, band Managern auf Geschäftsreisen wärmende Schals um und versorgte ihre Jet-Piloten mit Butterbroten.

Für sich selbst hatte Grete Schickedanz stets wenig Zeit. In ihrer Chefetage brannte oft bis spät in die Nacht noch das Licht, während ringsum schon längst alles finster war. Sogar mitten im privaten Kreis oder im Gespräch mit Freunden griff sie nicht selten zum Telefon, um einen Mitarbeiter, auch zu spätester Stunde, wegen eines Problems oder einer Idee anzurufen. Ihre erstaunliche Fitness bis ins reifere Alter verdankte sie außer ihrer Arbeit auch dem Skifahren und dem Schwimmen.

Im Frühjahr 1983 legte Grete Schickedanz ihre Führungs- und Aufsichtsämter nieder. Für ihre großartigen Leistungen als Unternehmerin erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Man verlieh ihr unter anderem das "Große Bundesverdienstkreuz" (1976) mit Stern (1981) und Schulterband (1991), den "Bayerischen Verdienstorden" (1979), die Ehrensenatorwürde der Universität Tübingen (1978), die Professorenwürde der Republik Österreich (1981), die "Goldene Bürgermedaille" von Fürth (1978) sowie die Ehrenbürgerwürde von Fürth (1981) und Hersbruck (1981). Zudem war nach dem Tod ihres Mannes dessen Titel als griechischer Wahlkonsul auf sie übergegangen.

Das Leben und das Werk der Fürther Unternehmerin sind mehrfach in Büchern gewürdigt worden. Anlässlich ihres 75. Geburtstages erschien die Firmendokumentation "Grete Schickedanz. Ein Leben für die Quelle" (1986). Lebensläufe von Grete Schickedanz sind unter anderem in "Bavarias Töchter. Frauenporträts aus fünf Jahrhunderten" (1997), "Frauen, die Spitze sind. 35 Porträts aus Chefetagen" (1986) und "Superfrauen 4 - Wirtschaft und Verkehr" (2001) enthalten.

Grete Schickedanz starb am 23. Juli 1994 im Alter von 82 Jahren in Fürth. Nach ihrem Tod ging die Schickedanz-Gruppe in die Hände ihrer Tochter Madeleine Schickedanz sowie ihrer Stieftochter Louise Dedi, geborene Schickedanz, über.


Ernst Probst - 23. Juli 2004
ID 1160
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Ernst Probst Verlags




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