Kattowitz
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Im Volksmund heißt sie Spodek - Untertasse - weil die Mehrzweckhalle in Kattowitz (Katowice) einer fliegenden Untertasse ähnelt. Abgehoben ist das 1971 eröffnete Gebäude zwar noch nicht, aber was die oberschlesische Metropole mit dem Bau der Kulturzone geleistet hat, ist ein wahrer und gelungener Höhenflug. Wegen des Niedergangs vor allem der Kohle- und Stahlindustrie fand eine Umorientierung zum Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort statt, und die Stadt setzt nun auf Musik, Kultur, Bildung, Fremdenverkehr und insbesondere auf Geschäftstourismus. Das Spodek ist das inoffizielle Wahrzeichen der Region, wurde aber zu klein für den wachsenden Bedarf und so bekam es im Jahr 2015 einen neuen „Kollegen“ an die Seite gestellt, das Internationale Kongresszentrum Kattowitz, MCK. Das ist ein Mehrfunktionsobjekt der Premiumklasse mit 18 Sälen, in dem entweder ein großer oder mehrere kleinere Kongresse stattfinden können. Beide Gebäude sind miteinander verbunden und können auch gemeinsam operieren. Die Kulturzone entstand auf einer stillgelegten Zeche mitten in Kattowitz, begreift die industrielle Vergangenheit aber als Erbe und integriert dieses in die Architektur. Ein Teil der Dächer des MCK ist begrünt, als Vision vom grünen Tal, während das Foyer über eine dunkle, unregelmäßige Decke verfügt, die an einen Schacht erinnert. In unmittelbarer Nähe erstrecken sich die Gebäude des Schlesischen Museums mit dem restaurierten Förderturm.
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Das „Spodek“ und das MCK bilden eine ungewöhnliche Einheit, Foto: Helga Fitzner
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Das 2014 eröffnete Konzerthaus Kattowitz direkt gegenüber ist der Stolz vieler Musikliebhaber. Als neuer Sitz des Polish National Radio Symphony Orchestra (NOSPR) gehört es zu den Spielstätten mit der weltweit besten Akustik. Die Zusammenarbeit des Kattowitzer Architektenbüros Konior Studio mit dem berühmten japanischen Top-Unternehmen Nagata Acoustics erwies sich als sehr fruchtbar, denn die Klangreinheit ist beispielgebend, und so ist das Konzerthaus auch gleichzeitig das größte Aufnahmestudio Polens. Es hat klare und schnörkellose Formen und wirkt von außen sehr zurückgenommen, fast unscheinbar. Vor Baubeginn wurde sorgfältig der durch die Minen geschädigte Untergrund aufgefüllt und stabilisiert. Die roten Backsteinfronten sind funktional und vage Förderbändern und Schienen nachempfunden. Innen sind die Wände des Konzertsaals mit dunklen, wellenförmigen Wandpaneelen ausgekleidet, die wieder an den Bergbau erinnern, aber so gestaltet sind, dass sie zur fantastischen Akustik beitragen. Das für die Seiten verwendete Holz ist aus harter Birke, wie das auch bei Musikinstrumenten, wie für Geigen von Stradivari der Fall ist, der Bühnenboden dagegen ist aus weicher Alaska-Zeder gefertigt, die zwar gut für die Akustik, aber schlecht bei den High Heels der Damen ist, und deshalb gelegentlich erneuert werden muss. Der Boden im Zuschauerraum besteht des Klangs zuliebe aus Eiche, die Stadt Kattowitz hat also richtig viel, aber sinnvoll investiert. Der große Saal bietet Platz für 1.800, der kleine Saal für 300 Besucher, beide entsprechen modernsten Anforderungen. Die Orgel ist derzeit noch Attrappe und soll im Jahr 2021 eingebaut werden. Wenn das NOSPR spielt, gibt es verhältnismäßig günstige Karten, die sich auch die Bewohner mit geringerem Einkommen leisten können, die sich hier wohl- und zugehörig fühlen sollen. Das Haus ist zu 100 Prozent ausgelastet und organisiert neben anderen Events alle zwei Jahre das „Festival of World Premieres“ - „Polish Modern Music“. Musik ist die Leidenschaft der Einwohner, allein 27 Musikfestivals im Jahr zeugen davon und Kattowitz wurde von der UNESCO zur Creative City of Music ernannt.
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Das Konzerthaus in Kattowitz hat eine besonders gute Akustik, Foto: Helga Fitzner
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Zwischen der Kulturzone und dem Bahnhof liegt das Hotel Monopol, dessen alte Fassade von 1902 restauriert wurde. Innen wurde es aber modernisiert und auf höchsten Standard gebracht, damit es mit seinen fünf Sternen adäquate Räumlichkeiten für die illustren Gäste aus Musik, Sport, Politik und andere Persönlichkeiten bieten kann. Insgesamt ist die Gegend mit Hotels und Restaurants verschiedener Preisklassen gut ausgestattet. Da es über 20 Hochschulen gibt mit über 80.000 StudentInnen, ist die Stadt auch sehr jung und dynamisch mit einer der geringsten Arbeitslosenraten in Polen. Seit 1991 besteht eine rege Städtepartnerschaft mit Köln.
Das sind nicht die einzigen Sehenswürdigkeiten, wir haben uns auf die beschränkt, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden. Architektonisch gesehen, erfüllte Kattowitz schon immer hohe Ansprüche und ist ein Mekka für Interessierte an der Architektur der Moderne, und weil so viele Hochhäuser dabei waren, wurde es Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts als „Chicago Polens“ bezeichnet. Zugegeben: Es gibt noch einige Ecken, die vom Verfall gezeichnet sind, aber die sind innerhalb weniger Jahre so geschrumpft, dass das pulsierende Kattowitz in dieser Hinsicht über den Berg ist. Bei der bestehenden Dynamik ist das nur eine Frage nicht allzu langer Zeit, bis diese Spuren beseitigt sind.
Wer richtig in die Vergangenheit eintauchen will, besichtigt die Bergarbeitersiedlungen Nikiszowiec (Nikischschacht) und Giszowiec (Gieschewald), wo die Kumpels der Gieschegrube angesiedelt wurden. Man fährt mitten durch den Wald und befindet sich trotzdem innerhalb der Stadt, denn Kattowitz ist zu 40 Prozent grün. Das war schon zu Zeiten der Industrialisierung so, in denen es offensichtlich ein paar vernünftige Vordenker gab. Die Berliner Architekten Emil und Georg Zillmann haben sich für die Grubenarbeiter zwei wunderbare Siedlungen einfallen lassen. In Nikiszowiec sind es mehrstöckige Häuser in unterschiedlicher Größe und Form. Einige Häuser sind um einen riesigen und dadurch geschützten Spielplatz herum gebaut, es gibt eine Grundschule, nahe gelegene Kleingärten und natürlich eine Kirche. Damals gab es noch einen Kolonialwarenladen. An der Kirche ist eine Wand, in deren Steine die Namen der ums Lebens gekommenen Bergarbeiter eingraviert sind. So idyllisch es hier aussieht, leicht war das Leben nicht. Der Grubeneingang war nur eine kurze Strecke entfernt. Die Kolonie Giszowiec liegt etwas weiter weg, ist dafür aber großzügiger angelegt. Ein Teil davon existiert heute nicht mehr, aber damals war dort Platz für 600 Familien, die jede ein kleines Haus und einen Garten hatten, alles mitten im Wald gelegen. Dort konnten auch Tauben, Kaninchen und Hühner gehalten werden. Die Mine war fußläufig zu erreichen. Zwei Drittel der Gieschesiedlung musste zugunsten von Plattenbauten weichen, aber es sind noch genug Häuser erhalten, um einen Eindruck zu vermitteln. Die Siedlung Nikiszoviec wurde privatisiert aber unter Auflagen, denn sie steht unter Denkmalschutz.
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Die Bergarbeitersiedlung Nikiszowiec (Nikischschacht) war eine idealtypische Unterbringung für die Kumpels und ihre Familien, Foto: Helga Fitzner
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Bereits im 13. Jahrhundert wurde in Kattowitz auch Silber und Blei abgebaut. Wer sich dafür interessiert, ist am besten im 25 Kilometer entfernten Tarnowitz aufgehoben. Dort wird das Schaubergwerk Tarnowskie Góry betrieben, das zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt, was zum Teil auch an der damals innovativen Gravitationsentwässerungsanlage liegt. Die Hartgesottenen können eine Stunde lang unter Tage verbringen, bei 10 Grad Celsius und feuchten Wänden, werden dafür aber mit einer Bootsfahrt und vielen Attraktionen belohnt. Oben gibt es ein Restaurant und eine Freiluftausstellung von verschiedenen Dampfmaschinen.
Wer danach immer noch abenteuerlustig ist, kann von dort aus mit einer Schmalspurbahn fahren, die aber nicht täglich betrieben wird und bislang nur eine polnischsprachige Website hat. (Die Bahn gehört jetzt einer Stiftung und engagierte Enthusiasten restaurieren die Loks und Waggons mit viel Liebe und wenig finanziellen Mitteln. Man bekommt ein richtig schönes Eisenbahn-Feeling.
Wer die schlesische Küche liebt, muss sich nur ein wenig umschauen, denn auch hier sind die Polen traditionsbewusst. Die Speisen sind mitunter Teil eines internationalen Menüs und werden meist in modernem Ambiente serviert.
All das ist ein idealtypischer und beispielgebender Umgang, Tradition und Moderne miteinander in Einklang zu bringen.
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Helga Fitzner - 4. September 2018 ID 10890
Weitere Infos siehe auch: http://www.katowice.eu/de/de
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