7 Synagogen
Steven Spielberg machte KAZIMIERZ, das jüdische Stadtviertel von Krakau, weltberühmt
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Die Hohe Synagoge im Krakauer Stadtteil Kazimierz in der Ulica Jozefa 38 | Foto (C) Andre Sokolowski
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Eine der niederschmetterndsten Filmszenen aus Steven Spielbergs Schindlers Liste (1993) ist der Liquidation des Krakauer Ghettos gewidmet: Der SS-Scherge Amon Göth (Ralph Fiennes), der von der Naziführung mit der Errichtung des Zwangsarbeitslagers Plaszow betraut gewesen war, "lässt das Krakauer Ghetto räumen, indem er Truppen befehligt, alle Menschen abzutransportieren und jeden zu erschießen, der dazu nicht in der Lage ist, sich weigert oder versteckt"...
"Krakau wurde am 6. September 1939 während des Polenfeldzuges von deutschen Truppen erobert. [...] Am 3. März 1941 befahl der Chef des Verwaltungsdistrikts Krakau, der SS-Gruppenführer Otto Wächter, die Einrichtung einer jüdischen Wohnsiedlung in Podgórze, einem Viertel im südlichen Teil der Stadt. Zum 20. März 1941 mussten alle jüdischen Bewohner Krakaus in dieses Ghetto umgezogen sein. [...] 15.000 Menschen waren in einem Stadtteil zusammengepfercht, in dem vorher 3.000 Einwohner lebten. [...] Am 19. März 1942 wurden rund 50 prominente Juden verhaftet, deportiert und in Auschwitz ermordet. Am 28. Mai wurde das Ghetto abgeriegelt und bis zum 8. Juni 1942 wurden 6.000 Juden ins Vernichtungslager Belzec geschafft. [...] Bei einer weiteren Räumungsaktion am 27. und 28. Oktober 1942 wurden 7.000 Juden nach Belzec und Auschwitz verschleppt und 600 im Ghetto erschossen. Das Gelände wurde wiederum verkleinert und im Dezember in Ghetto A und Ghetto B unterteilt, wobei die Bewohner nach vermuteter Arbeitsfähigkeit eingewiesen wurden.
Die endgültige Liquidation begann am 13. März 1943. Die als arbeitstauglich eingestuften Juden wurden in das Konzentrationslager Plaszow verlegt. Von ihnen überlebten letztendlich nur einige hundert. Die anderen Bewohner des Ghettos – etwa 2.300 alte und geschwächte Erwachsene und Kinder – wurden am 14. März 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau geschafft.
[...]
Heute sind vom Ghetto nur noch Teile der Mauer an der ul. Lwowska sowie die Ghetto-Apotheke erhalten. Der Film Schindlers Liste wurde nicht auf dem Gelände des Ghettos, sondern im unmittelbar nördlich angrenzenden Stadtteil Kazimierz gedreht."
(Quelle: Wikipedia)
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Wir sind im Stadtteil Kazimierz:
Seine Geschichte ist von der jahrhundertelangen Nachbarschaft von Christen und Juden, die schon Ende des 15. Jahrhunderts aus Krakau hierher ghettosiert gewesen waren, geprägt. Die heutige Szeroka-Straße galt schon damals als Verkehrshauptader, und in ihrer unmittelbaren Umgebung wurden mehrere Synagogen [s.u.], jüdische Schulen und Institutionen gebaut und errichtet; eines der bedeutendsten geistigen Zentren der jüdischen Kultur in Europa entstand auf diese Art. Der berühmte Gelehrte und Rektor der Talmudakademie Moses Isserles , genannt Remuh, wirkte schon im 16. Jahrhundert hier. Sein Grab, das legendäre Wunder in sich bergen würde, wird bis heute von den Juden aus der ganzen Welt besucht... Im 19. Jahrhundert wurde Kazimierz zum Zentrum des orthodoxen Mosaismus und Ziel jüdischer Pilger aus der ganzen ehemaligen polnisch-litauischen Republik. 1822 wurde der Mauerrring um die Jüdische Stadt abgebrochen, und von da an konnten sich die Juden überall in Kazimierz niederlassen. In den 1930er Jahren stellten sie ein Viertel der Gesamtbevölkerung von Krakau - bis zum Holocaust.
Nach der politischen Wende 1989 - und insbesondere infolge der weltweiten Wahrnehmung von Steven Spielbergs Schindlers Liste - begann der nach dem Krieg völlig heruntergekommene Stadtteil aufzublühen. Heute gibt es in Kazimierz Galerien, Ateliers, Restaurants, Kneipen, Hostels und Hotels. Auf dem Nowy-Platz kann man mit Antiquitäten handeln, und zig kleinere Elektro-Mobile transportieren die Touristen von einer zur anderen Sehenswürdigkeit im nahen und im weiteren Umwelt dieses so geschichtssträchtigen Viertels. Das Gedächtnis an diese so außergewöhnliche Historie wird von verschiedenen Kulturinstitutionen und Vereinen, v.a. aber von der sich neu gebildet habenden Jüdischen Gemeinde, gehegt und gepflegt.
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Wohn- und Geschäftshäuser in Kazimierz, einem Krakauer Stadtteil südlich der Wawel-Anhöhe, wo jahrhundertelang die jüdische Bevölkerung lebte - heute eine der wichtigsten Touristenattraktionen in der alten Weichselstadt | Foto (C) Andre Sokolowski
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Die sieben Synagogen Kazimierz':
Die Alte Synagoge, deren baulicher Kern aus dem Jahre 1557 stammt und die von ihrem Bautyp her der Altneu-Synagoge in der Prager Josefstadt vergleichbar wäre, ist die älteste erhaltene Synagoge in ganz Polen. Eine Vorhalle mit zwei Betsälen für Frauen und das Haus der Ältesten der jüdischen Gemeinde in Kazimierz stammen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Während der deutschen Besatzung wurde das Gebäude von den Nazis als Lager genutzt, seine ursprüngliche Ausstattung wurde vernichtet oder ging verloren. 1956 bis 1959 wurde es dann wieder restauriert. Es dient nun als Museum - seit dem Jahre 1961 stellt es die jüdische Geschichte und Kultur in Krakau dar.
Das im Stil der späten Renaissance errichtete Gebäude der (bereits 1553 gegründeten und vier Jahre später durch einen Brand völlig zerstörten) Remuh-Synagoge wurde im 17. und 18. Jahrhundert mehrfach baulich verändert; nach seiner Restaurierung erhielt es 1829 das heutige Aussehen. Während der deutschen Besatzung wurde es als "Haupttreuhandstelle Ost" beschlagnahmt und geplündert. Die Bima - zum Auflegen der Tora (bestehend aus Pult, Podium, Tisch und Treppe) - war gestohlen worden, doch der Bau blieb unzerstört. 1957 wurde die zweitälteste Krakauer Synagoge durch den engagierten Einsatz der Jüdischen Gemeinde komplett restauriert und der Innenraum wieder hergestellt. Besucher haben hier von 10 bis 17 Uhr (außer an jüdischen Feiertagen und am Sabbat) die Möglichkeit in der Ostwand die Arche zu sehen, neben der das Ewige Licht flackert.
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Vor der noch immer als Gotteshaus dienenden Remuh-Synagoge im Stadtteil Kazimierz in Krakau | Foto (C) Andre Sokolowski
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Die Hohe Synagoge [s. Foto o.re.] in der Ulica Jozefa 38 wurde im 16. Jahrhundert als drittes Gotteshaus der Jüdischen Gemeinde errichtet. Da sie sich unmittelbar am Haupttor des jüdischen Viertels befand, gab es permanente Straßenlärmbelästigungen für die Betenden und wohl auch starke Sicherheitsbedenken - daher beschloss man seiner Zeit den Betsaal der Männer im ersten Stock unterzubringen; deshalb auch der Name "hohe" Synagoge als ein Synonym für "hoch" wie "hoch gelegen". Die heute profanierte Synagoge hat einen Buchladen im Erdgeschoss, wo ein reiches Angebot an Judaica ausliegt; man kann dort außerdem CDs mit Klesmer Musik käuflich erwerben. Seit 2005 wird sie auch für Ausstellungen und Konzerte genutzt.
Die 1643 gegründete und im Barockstil mit einer quadratischen Gebetshalle im Inneren gebaute Kupa-Synagoge dient der Jüdischen Gemeinde heute als einer ihrer Orte für religiöse Zeremonien und kulturelle Feste, so z.B. für das alljährlich stattfindende Jüdische Kulturfestival in Krakau. Nach Verwüstungen im Zweiten Weltkrieg wurde sie sorgfältig restauriert. Ihre Nordfront ist mit den Überresten der mittelalterlichen Stadtmauer von Kazimierz verbunden, während seine südliche Flanke der Ulica Warchauera zugewandt ist. Ihr farbenfrohes Innere dient als Ausstellungshalle. Die Synagoge ist reich mit Gemälden aus den 1920er Jahren dekoriert, die an Wänden, an der Decke und in der Frauenabteilung zu sehen sind.
Die Isaak-Synagoge stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und gilt vielen Krakau-Besuchern als die schönste Synagoge der Stadt. Lt. ihrer Geschichte hätte Isaak einen Traum von einem Schatz gehabt, der in Prag nahe der Karlsbrücke versteckt gewesen wäre. Er ging dorthin und nahm eine Menge Soldaten auf der Brücke wahr. Einer von ihnen näherte sich ihm und fragte, was er hier geschäftlich wollte. Als Isaak von seinem Traum erzählte und nach jenem ominösen Schatz zu suchen beginnen wollte, lachte der Soldat über ihn und sagte: "Nur ein Narr würde so was träumen können! Ich selbst habe freilich auch so einen Traum, dass in einem Haus eines Krakauer Juden namens Isaak, Sohn Jakobs, ein Schatz unter dem Ofen versteckt sei. Aber ich bin nicht so töricht extra deswegen nach Krakau zu gehen, um nach ihm zu suchen. Schließlich heißt jeder zweite Jude Isaak und jeder dritte Jakob!" Isaak dankte ihm, kehrte nach Krakau zurück, zerlegte den Ofen und fand den großen Schatz. Er wurde einer der reichsten Bürger von Kazimierz und gründete 1664 die besagte Synagoge. Sie beherbergt heute eine Ausstellung über die Geschichte der polnischen Juden mit bewegenden Fotografien von ehemaligen Einwohnern von Kazimierz, und sie behandelt jenen legendären Hauptschatz mit der Aufzeigung diverser Exponate.
An der Ulica Szeroka 16 befindet sich die 1620 von dem reichen jüdischen Kaufmann und Finanzier Wolf Popper gebaute und nach ihm benannte Popper-Synagoge. Sie ähnelt einem prachtvollen Stadtpalais. Während der deutschen Besatzung wurde das Innere der Synagoge durch die Nazis zerstört; die wertvolle Innenausstattung ging unwiederbringlich verloren. Nach dem Krieg befand sich das Gebäude in einem desolaten Zustand. Wegen eines Bombeneinschlags brach das Dach zusammen, und die Mauer zu Ulica Dajwór wurde schwer beschädigt. Es erfolgten umfangreiche Renovierungsarbeiten in den 1970er Jahren: die Aussparung für den Toraschrein wurde vermauert, der Eingang an der Ulica Dajwór wurde zu einem Fenster und die hölzernen Vordächer und Nebengebäude abgerissen. Danach wurde die Synagoge, mit Zustimmung der Jüdischen Gemeinde, zu einer Niederlassung des örtlichen Jugendkulturzentrums umfunktioniert. 2005 führte man weitere Renovierungsarbeiten durch, bei welchen das Gebäude verputzt wurde und die Fenster ausgetauscht, so dass es dem Bau vor dem Krieg stark ähnelte.
Im 19. Jahrhundert beschlossen progressiven Juden von Krakau ein "unorthodoxes" Gotteshaus für die jüdische Jugend und Intelligenz zu errichten. Die fortschrittliche Tempel-Synagoge wurde im maurischen Stil nach Plänen von Ignacy Hercok 1860 bis 1862 entlang der Ulica Miodowa erbaut und steht unter Denkmalschutz. Vorbild war der Wiener Leopoldstädter Tempel - das lag daran, weil Krakau damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Die Grundsätze für Gottesdienste, die hier abgehalten wurden, formulierten deutsche Gelehrte und Rabbiner. Man hat viele Neuheiten wie z.B. Orgelmusik, Gesang oder Predigten von gebildeten Akademikern in Nationalsprachen eingeführt. Der Name Tempel bezieht sich auf den zerstörten Tempel des Salomon in Jerusalem. Die reformierten Juden lehnten nämlich die Idee der Wiedererrichtung dieses Tempels ab und sahen ihr einziges Vaterland in ihren neuen Heimaten. Während der deutschen Besatzung wurde die Synagoge als Lagerraum und Stall genutzt, der Innenraum wurde allerdings nicht so schwer in Mitleidenschaft gezogen wie bei den übrigen Synagogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der Synagoge zunächst Gottesdienste gefeiert, nach dem Tod des letzen Kantors Abraham Lesman im Jahr 1985 aber eingestellt. Heute ist die Tempel-Synagoge Ort des Gebets, aber auch Veranstaltungsort für Kulturereignisse, darunter Konzerte im Rahmen des Festivals der jüdischen Kultur. Im Hinterraum befindet sich wieder eine Mikwe - das ist, lt. Wikipedia, ein "Tauchbad, dessen Wasser nicht der Hygiene, sondern der Reinigung von ritueller Unreinheit durch rituelles Untertauchen dient"...
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Das prachtvolle Innere der 1860 im maurischen Stil durch die Fortschrittlichen Israeliten gebauten sog. Tempel-Synagoge, einem damaligen Zentrum der jüdischen liberalen Intelligenz | Foto (C) Andre Sokolowski
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Die Renaissance des ehemaligen jüdischen Stadtteils von Krakau ging - wie bereits angedeutet - stark einher mit jener weltweit wahrgenommenen Erfolgsgeschichte um den Steven Spielberg-Film zu Schindlers Liste, der zum Teil dann auch in Kazimierz gedreht wurde, obgleich es nicht der Originalschauplatz des historischen Ghettos war. Erst mit 60 Jahren erfuhr Spielberg übrigens von seinen ukrainisch-jüdischen Wurzeln. Auf seine Initiative hin wurde 1994, auch unter dem Eindruck von Spielbergs Erfahrungen in Krakau, die Shoah Foundation, eine gemeinnützige Organisation, die Aussagen von Überlebenden der Shoah archiviert, gegründet. Mitte der 2000er Jahre wurde die Stiftung an die University of Southern California (USC) in Los Angeles bzw. das dort gegründete Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, wo das gesammelte und archivierte Material inzwischen in dessen Visual History Archive zu Forschungs- und Lehrzwecken bereitgestellt wird, übergeleitet.
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Andre Sokolowski - 19. November 2017 ID 10381
Weitere Infos siehe auch: Jewish Kazimierz
http://www.andre-sokolowski.de
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