Ausgewählte Meisterleistungen des Neuen Bauens in Sachsen-Anhalt
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Magdeburg vom Albinmüller-Turm aus mit Stadthalle, Pferdetor und der Innenstadt im Hintergrund | Foto: Helga Fitzner
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Magdeburg zeigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wiedervereinigung als wahres Stehaufmännchen und wird auch heute noch emsig restauriert und bebaut. Leider wurde die Elbmetropole schon früher - während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) - zerstört und regelrecht dem Erdboden gleich gemacht, sodass der mittelalterliche Stadtkern verloren ging. So verheerend das gewesen ist, gab es der nachfolgenden Architektur große Freiräume, und die Magdeburger gingen insbesondere in den 1920er Jahren recht unerschrocken mit innovativen Bauvorhaben um und setzten diese konsequenter als jede andere Stadt auch real um. 1921 berief der sozialdemokratische Oberbürgermeister Hermann Beims den Architekten und Stadtplaner Bruno Taut, einen Vertreter der Avantgarde der Klassischen Moderne, zum Baurat. Neues Bauen hieß eine Bewegung der 1910er bis 1930er Jahre, die sich Städtebau und Architektur auf die Fahnen geschrieben hatte und Alternativen zu beengten und ungesunden Wohnräumen in Hinterhöfen und Mietskasernen entwarf. Durch die fortschreitende Industrialisierung war zudem eine Wohnungsnot entstanden, der möglichst schnell Abhilfe geschafft werden sollte. Die Architekten sorgten insgesamt zwar für Luft und Licht, waren durch ihre radikale Schlichtheit und Einheitlichkeit für manchen zeitgenössischen Mieter aber gewöhnungsbedürftig. Taut und sein Kollege Carl Krayl sorgten daher bewusst für Farbe und brachten Magdeburg den Ruf der „bunten Stadt“ ein. Das Neue Bauen zeugt von einem sozialen Bewusstsein, das heute vielfach verloren gegangen ist.
Die von Taut errichtete dreigeschossige Hermann-Beims-Siedlung entstand zwischen 1924 und 1932 in der Innenstadt und war auf den Bau von 5.000 Wohnungen angelegt, von denen aber nur 2.000 realisiert werden konnten: diese allerdings mit Vorgärten, bepflanzten Höfen, Gemeinschaftseinrichtungen und Kindergarten. Die Besichtigung einer Musterwohnung ist auf Anmeldung möglich und zeigt, dass die Wohnungen für heutige Ansprüche eher klein geraten sind, aber für die damaligen einkommensschwachen Familien einen außergewöhnlichen Komfort mit Küche, mehreren Zimmern und einem modernen Sanitärbereich boten.
Magdeburg war 1927 der Austragungsort der Deutschen Theaterausstellung, zu deren Zweck die Stadthalle, der Albinmüller-Turm, das Pferdetor und die Lichtstelen errichtet wurden, die im Rotehornpark auf der Elbinsel Werder liegen und bei gutem Wetter zu einem Fahrradausflug einladen. Auch wenn die Schönheit der Bauten im Auge des Betrachters liegt, werden sie nach aktuellen Ratsbeschlüssen weiter restauriert. Die Stadthalle ist eine sehr effizient und funktional gestaltete Mehrzweckräumlichkeit der Architekten Johannes Göderitz und Wilhelm Deffke, ein Stahlskelettbau mit tief gebauten Fenstern im Klinkerbaustil, der früher Lichtbänder an der Fassade hatte, die bald wieder reaktiviert werden. Der nebenan befindliche, nach seinem Erbauer Albin Müller genannte Turm ist längst zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden, dessen Aussichtsplattform bequem mit dem Fahrstuhl erreicht werden kann. Da sich Magdeburg als Europäische Kulturhauptstadt für 2025 bewirbt, werden aktuell Konzepte erstellt und Mittel freigegeben, was von ungebrochenem Aufbauwillen zeugt. Magdeburg hat zudem den Vorzug, eine sehr grüne Stadt mit einem Füllhorn an weiteren Angeboten zu sein.
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Die Stadthalle und der Albinmüller-Turm sind Beispiele des Neuen Bauens. | Foto: Helga Fitzner
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Zickzackhausen:
Ein weiteres Beispiel von gelungenem Siedlungsbau befindet sich in Bernburg an der Saale aus dem Jahr 1929. Ursprünglich „Gartensiedlung auf der Friedrichshöhe“ genannt, setzte sich wegen der schräg versetzten Häuser schnell der Volksmund durch, und seitdem heißt die Siedlung Zickzackhausen. Der Architekt Leopold Fischer optimierte mit dieser Form die Haus- und Gartenfläche sowie die Privatsphäre der Einfamilienhäuser. Er war mit dem Gartenbauarchitekten Leberecht Migge befreundet, der sich ebenfalls für nachhaltige Siedlungsentwicklung einsetzte, wozu für ihn Selbstversorgungsgärten, Regenwassernutzung, Kleintierhaltung und insgesamt eine umweltfreundliche Kreislaufwirtschaft gehörten. Das selbsttätige, wasserlose Streuklosett „Metroclo“ ermöglichte die Herstellung des eigenen Dungs für den Garten, was für eingefleischte Gartenliebhaber unter den Mietern ein Fest gewesen sein mag. Die optimale Ausnutzung der Sonne wurde bei der Planung durch die entsprechende Ausrichtung der Häuser und Gärten erzielt. Es konnten nur 90 Bauten fertiggestellt werden, obwohl mehr als 2.000 geplant waren, was überwiegend der Weltwirtschaftskrise geschuldet war. Wir erleben derzeit eine Renaissance von urbanem Gärtnern und der Selbstversorgung, auch in öffentlichem Raum durch Essbare Städte, die eine Weiterentwicklung von städtischem Gartenbau sind, der vor 100 Jahren schon einmal einen Durchbruch erlebte. Auch das Modell der Genossenschaften findet heute wieder verstärkt Anklang.
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Heute sind die Häuser in Zickzackhausen individueller gestaltet. | Foto: Helga Fitzner
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Neuvandsburg in Elbingerode:
Nach längerer Wanderschaft fanden die aus dem westpreußischen Vandsburg stammenden Diakonissinnen 1921 im Harz ein neues Zuhause und einen neuen Wirkungskreis. Der Architekt Godehard Schwethelm erbaute 1934 Neuvandsburg im damals modernen Stil des Neuen Bauens, der zweckmäßig, schlicht und zeitlos ist, aber in diesem Fall von einer einzigartigen Ästhetik und Schönheit. Mehr noch, er beobachtete längere Zeit den Arbeitsalltag der Schwestern, um ihre Bedürfnisse nach Ausübung ihrer Religion und denen für ihre diakonische Arbeit, die überwiegend aus der Betreuung Schwerkranker besteht, kennenzulernen. Schwethelms Frau war Innenarchitektin und beteiligte sich am Konzept, und so entstand ein Haus, das in unvergleichlicher Weise maßgeschneidert ist, sich sonst eher unübliche Rundbauten erlaubt und derart nachhaltig mit guten Werkstoffen gebaut wurde, dass heute noch das Meiste im Original erhalten ist. Es gibt viele Einbauschränke, Stauräume, die Küche ist idealtypisch strukturiert, es hat alles seinen gut überlegten und praktischen Platz, ein perfekter Ort, der an der Lebenswirklichkeit der Schwestern orientiert ist und an dem man sich wohlfühlen kann. Ein Maschinenraum und Hochdruckkessel, mit denen Dampf erzeugt wird, waren wichtige technische Voraussetzungen zur Energieerzeugung. Der Kirchraum kann durch Öffnen einer Schiebetür zu einem großen Veranstaltungssaal umgestaltet werden, es gibt sogar ein Schwimmbad direkt unterhalb der Kirche. Es wurde einfach an alles gedacht, nur an eins nicht, wie scherzhaft geunkt wird: Der Architekt hätte unter der Kanzel eine Vorrichtung anbringen können, die einen Pfarrer im Falle einer arg überlangen Predigt ins direkt unter der Kanzel befindliche kühle Nass befördert.
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Die Kirche im Diakonissen-Mutterhaus, unter der sich das Schwimmbad befindet | Foto: Helga Fitzner
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Viele Architekten der Zeit waren vom Neuen Bauen inspiriert, und die Bauhaus-Schule lieferte wesentliche Impulse. Derzeit wird aber wegen des 100jährigen Bauhaus-Jubiläums vieles mit Bauhaus etikettiert, was sehr weit hergeholt ist. Sachsen-Anhalt ist eine klassische Hochburg, und ein neues Bauhaus-Museum wird im September 2019 seine Pforten öffnen. Der immense Einfluss von Walter Gropius und seinen MitstreiterInnen soll keinesfalls gemindert werden, aber an dem Ausverkauf des Begriffs wird sich an dieser Stelle nicht beteiligt. In Quedlinburg befindet sich allerdings die Lyonel-Feininger-Galerie, und Feininger war ein führender Bauhaus-Meister, und hier ist der Bezug ein realer und authentischer.
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Helga Fitzner - 16. Mai 2019 ID 11415
Weitere Infos zum Neuen Bauen in Sachsen-Anhalt
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