Metropole aus
Stahl und
Pixeln
Über die Entstehung von BABYLON BERLIN, der aufwendigsten Serie in der deutschen Fernsehgeschichte
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Die Berlins der Wilden Zwanziger Jahre, die damals als schillerndste Metropole des alten Kontinents galt, und die Ufa als europäisches Pendant zur Traumfabrik Hollywood – das sind zwei so attraktive Mythen, dass sie die Nachwelt bis heute in Bann schlagen. Einer derjenigen, die das Bild Berlins als kulturellem und politischem Zentrum der Weimarer Republik, als Partystadt und Sündenpfuhl, als Hochburg von Verbrechen und sozialer Spaltung nutzte, ist der Schriftsteller Volker Kutscher. Sein Kriminalromanzyklus Babylon Berlin spielt Ende der 1920er Jahre, als das schnell wachsende Berlin von politische Unruhen und wirtschaftlichen Krisen immer stärker erschüttert wird. Inmitten der quirligen Metropole und einem Reigen individueller Schicksale muss Kriminalkommissar Gereon Rath Mordfälle aufklären, die illustrieren, dass Berlin in jener Zeit eben auch ein hartes Pflaster war.
Als Regisseur Tom Tykwer seinen Kollegen von der Berliner Produktionsfirma X Filme im Jahre 2013 erstmals seine Vision einer Verfilmung der Krimis Babylon Berlin präsentiert, erkennen die Beteiligten rasch das große Potenzial: eine unterhaltsame Story voller vielschichtiger Figuren vor dem Hintergrund einer mythisch aufgeladenen Ära, die einen gravierenden Wendepunkt deutscher, aber auch europäischer Geschichte markiert. In den Händen eines der renommiertesten Regisseure Deutschlands würde eine deutsche Serie entstehen, die auch international konkurrenzfähig wäre. Allerdings hatte Tykwer zusammen mit seinen Autoren- und Regiekumpels Henk Handloegten und Achim von Borries den ersten Krimi Volker Kutschers nicht etwa eingedampft, sondern noch erweitert. Und im inzwischen hart umkämpften Markt sogenannter Qualitätsserien zu bestehen, durfte sowieso nicht klein gedacht werden.
So gelang es Stefan Arndt von der Berliner Produktionsfirma X Filme, eine denkwürdige Kooperation zwischen deutscher Filmindustrie und TV-Sendern zu schmieden, die sich bisher als harte Konkurrenten begriffen: Der private Pay-TV-Sender Sky stemmte die auf sechzehn Folgen angesetzte Verfilmung von Babylon Berlin zusammen mit der ARD-Tochterfirma Degeto und X Filme. Auf Sky Atlantic war die Serie exklusiv jeweils als Doppelfolgen-Event schon vor einem Jahr zu sehen. Ko-Finanzier ARD darf erst jetzt nachziehen.
Über Zahlen wird offiziell nicht gesprochen, aber wer Erfahrungswerte zugrunde legt, liegt mit Produktionskosten von annähernd 40 Millionen Euro wohl nicht falsch. Serien müssen „eine eigene Identität und unverwechselbare Perspektive“ transportieren, wenn sie heutzutage international erfolgreich sein wollen, sagte Produzent Michael Polle von X Filme München auf dem Filmkunstfest Schwerin zum Thema Serienhype. Statt englischsprachige Vorbilder zu imitieren, galt es, das spezifisch deutsche bzw. berlinerische in den Babylon Berlin-Drehbüchern zu betonen und – nicht selbstverständlich bei einem derartigen Budget – in deutscher Sprache zu drehen.
Als einer der wichtigen Faktoren für die Exportfähigkeit der Serie galt bei allen Produzenten von vorherein der visuelle Stil, der die Atmosphäre Berlins Ende der zwanziger Jahre überzeugend wiederauferstehen lassen würde, denn die Stadt Berlin ist der eigentlich Star der Serie, wie es Ko-Regisseur Achim von Borries es ausdrückt. Die erfahrenen Kulissenbauer in Babelsberg unter der Leitung des Szenenbildners Uli Hanisch nahmen die Mammutserie zum Anlass, eine neue "Berliner Straße" auf dem Studiogelände zu entwerfen, nachdem die alte, die 1998 für Leander Haußmanns Komödie Sonnenalle errichtet worden war, ausgedient hatte und abgerissen wurde.
Für Babylon Berlin wurde aber nicht nur ein Straßenzug gebaut, sondern das, was man in Hollywood ein „Metropolitan Backlot“ nennen, nämlich eine aufwendige Kulisse, die einen ganzen Stadtteil – in diesem Fall sogar mehrere – simulieren kann. Schließlich spielen die Schicksale in Babylon Berlin in Mitte, in Kreuzberg, im Wedding oder in Charlottenburg. So bauten 300 Fachkräfte in mehrmonatiger Arbeit vier unterschiedliche Straßenzüge mit verschiedenen Fassaden, die Berliner Büro- oder Wohnhäuser, edle Einkaufstempel oder mickrige Läden, mondäne Varietés oder verruchte Kneipen nachbilden, in Potsdam zusammen. Insgesamt ergab das eine 500-Tonnen-Stahlkonstruktion mit einer meist hölzernen, teils aber auch verputzten Fassadenfläche von 8.400 qm, die rund 600 Türen und Fenster hat. Beeindruckende Zahlen, die den Aufwand verdeutlichen, der aber für die Erfordernisse der Serien nicht ausreichte.
Erfahrene Szenenbildner wie Uli Hanisch wissen, dass eine gebaute Straßenkulisse immer auch eine andere Seite braucht, die bei Schnittfolgen innerhalb der Handlung unvermeidlich in das Blickfeld der Kamera gerät. Damit in diesen Szenen nicht erkennbar ist, dass die Häuserkulissen nur wenige Meter hoch konstruiert wurden und dann abrupt enden, mussten sie digital in die Höhe erweitert werden – was allemal weniger aufwendig ist, als die Vorderfronten eines ganzen Stadtviertels aus Stahl, Holz und Glas nachzubauen. Vor Ort wurde entschieden, welche Perspektiven beim Drehen verwendet würden und wo entsprechend Hausfassaden, etwa Geschäfte und Lokalitäten, in der Entfernung zu sehen sein müssten.
Schließlich galt es, eine Situation zu simulieren, in der die Fassaden mit Verwitterungsgraden und digitalem Schmutz, die Straßen mit Bäumen, Autos und Menschenmassen versehen wurden. Gleichzeitig durfte die Szenerie auch nicht zu überladen wirken, sondern luftiger wirken, damit der Zuschauer den Hauptpersonen in die Straßen und Hauseingänge noch folgen können würde – und weil gerade Berlin eine Stadt der breiten Boulevards und großen Plätze ist.
Hier kam die Berliner Firma RISE FX ins Spiel, die unter anderem schon für etliche Marvel-Comicverfilmungen die digitalen Spezialeffekte entworfen hat. Die seit einem Jahrzehnt etablierte Firma mit derzeit rund einhundert Festangestellten und bis zu einhundert projektbezogenen, zusätzlichen Mitarbeitern zeichnet für die komplette digitale Gestaltung und bzw. das Design der Serie Babylon Berlin verantwortlich.
Für die Serie waren über 120 Mitarbeiter in den Büros in Berlin, München und Köln beschäftigt, um die gebauten Kulissen des Filmsets zu erweitern. Dazu waren umfangreiche Recherchen anhand von Bildbänden mit historischen Stadtansichten nötig, die als Referenzen für Skizzen, vor allem aber digitale Pre-Visualisierungen dienten. Während die Skizzen beim Drehen zur Orientierung genutzt wurden, konnte anhand der digitalen Entwürfe beurteilt werden, wie das fertige Filmbild inkl. aller digital hinzuzufügenden Bestandteile aussehen wird, erläutert Florian Gellinger von RISE. Diese maßstabsgetreuen, auf 3D-Scans echter Häuser basierende „Animatics“ erlaubten die Erweiterung der Perspektive zu einem kompletten Berliner Viertel um 1925.
Die Designer von RISE entwickelten sogar einen „Dachschindel-Tool“, wie Florian Gellinger sagt, mit dessen Hilfe einzelne Schindeln zu großen Dachaufsichten vervielfältigt wurden. Aber auch Bäume, fließende Verkehrsbewegungen, Rasenflächen mit Blumen wurden für verschiedene Szenen recycelt. Gleichzeitig durfte die Szenerie auch nicht zu überladen wirken, sondern luftiger wirken, damit der Zuschauer den Hauptpersonen in die Straßen und Hauseingänge noch folgen können würde.
Außerdem galt es, Fassaden mit digitalen Verwitterungsgraden und Schmutz zu versehen. So entstand eine virtuelle Bibliothek von Gebäudeeinzelteilen für Babylon Berlin, die nach Bedarf neu arrangiert werden konnten. Dabei kam den digitalen Tüftlern zugute, dass es in Berlin schon damals eine strenge Regelung gab, nach der Wohnhäuser eine bestimmte Traufhöhe nicht überschreiten durften. Drohnenaufnahmen des heutigen Alexanderplatzes dienten als Vorlage für Rekonstruktionen z.B. des Standortes der „Roten Burg“, des legendären Polizeireviers am Alex.
Aufgrund der sehr erfolgreichen Ausstrahlung der ersten und zweiten Staffel (16 Folgen) auf Sky und den vielen Auslandsverkäufen schreiben Tykwer & Co bereits die Drehbücher für die dritte Staffel.
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Babylon Berlin: König (Marc Hosemann, 2. v. li.) bei einem seiner zwielichtigen Filmdrehs. Im Rahmen seiner Ermittlungen gegen einen Pornoring stößt Gereon bei einer Razzia auf ein brisantes Foto. | Bild: ARD Degeto
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Max-Peter Heyne - 30. September 2018 ID 10945
Weitere Infos siehe auch: http://babylon-berlin.com
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