Öder Osten
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Bild: ARD
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Bewertung:
Wir Fernsehzuschauer konstatieren seit geraumer Zeit, dass im TV die Erst- und Nachausstrahlungen von Krimis inflationäre Züge angenommen haben. Hatten Sie und ich - als leidenschaftlich bekennende Fernsehkrimikonsumierer - es vor paar Jahrzehnten ausschließlich noch mit so Traditionsformaten wie den TATORTs oder POLIZEIRUF 110 (im Ersten) oder mit DER ALTE und EIN FALL FÜR ZWEI und DERRICK (im Zweiten) zu tun, griff dieses Genre peu à peu auch auf die Vorabendprogramme über, wo dann nach und nach der meistfalls mundartlich durchsetzte "Regionalkrimi" sich sehr erfolgreich durchzusetzen begann; die mittlerweile so ziemlich alle Landesteile unsrer Republik bespielenden SOKO-Filme seien nur als Beispiel angeführt. Und selbstverständlich zogen auch dann die Privatrechtlichen kräftig mit, die ihrerseits mit Krimiserien, und das auch ziemlich erfolgreich, aufzuwarten in der Lage waren; wer von uns hat nicht schon mal den einen oder andern Teil aus WOLFFS REVIER oder KOMMISSAR REX gesehen - wird ja alles mittlerweile x-mal wiederholt.
Und vom Filmkünstlerischen her sind alle diese Produktionen - mit gelegentlichen Ausnahmen - freilich vergessenswert. Der gute Serienkrimi sollte halt auch nicht mit dem (längst ausgestorbenen) "Autorenfilm" verwechselt werden; und obgleich natürlich solche Koryphäen wie der Fassbinder zum Beispiel jeweils Krimilastiges in ihren Filmen stecken hatten, Querelle, Die Sehnsucht der Veronika Voss, Berlin Alexanderplatz etc. pp.
Die besten Serienkrimis - wenn es ganz allein nach meinem persönlichen Geschmack ginge - machen sowieso die Skandinavier; derzeit werden wieder mal paar WALLANDERs im Ersten wiederholt, o ja, die schaue ich mir alle nochmal an, aber nur deshalb, weil es die mit Krister Henriksson sind, also nicht die mit Kenneth Branagh, nein, diese, die die BBC drehte, fand ich (verglichen mit denjenigen mit Krister Henriksson) irgendwie scheiße.
Doch genug geschwätzt.
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Jetzt gibt es ein besonders aus dem Rahmen fallendes Sonder-Krimiformat, das aktuell (zunächst auf arte) bestaunt zu werden lohnte:
Lauchhammer - Tod in der Lausitz heißt die sechsteilige Serie; eine Folge dauert jeweils 45 Minuten (arte zeigt sie aber dann im Dreierpack, also zwei Ausstrahlungen à 135 Minuten).
"Maik Briegand hatte seiner Heimat inmitten der Niederlausitz den Rücken gekehrt, wo vor der Wende seine Polizeilaufbahn begann. Doch der LKA-Ermittler kommt für die Aufklärung des Mordes an einem jungen Mädchen zurück – und ist wieder konfrontiert mit den Kollegen seines ehemaligen Reviers, der gescheiterten Ehe, seiner Familie und seiner Vergangenheit. Die Kommissarin Annalena Gottknecht will sich nicht in Briegands alte Abhängigkeiten hineinziehen lassen. Doch je mehr sich die energische Ermittlerin den Menschen vor Ort und der spröden Schönheit der Lausitz öffnet, desto größer wird ihr Verständnis für ihren Kollegen. Wie die riesigen Schaufeln der Förderbagger, die Schicht um Schicht abtragen, um der Erde ihre Braunkohle zu entreißen, graben sich die beiden Ermittler in den Fall, der sie schließlich Jahrzehnte in die Vergangenheit führt – zurück in Maik Briegands Jugend und einem traumatischen Erlebnis…" (Quelle: arte.tv)
Also:
Alle scheinen sich in diesem Film zu kennen, und es hat beinahe eine inzüchtige Dimension. Versippungen, Verschwägerungen, Freundschaften, Bekanntschaften, private und berufliche Verstrickungen, Liebe, Hass, Tod... das ganze Spektrum menschlicher Beziehungsarten abgekürzt, verdichtet und (auf zweimal 2 Stunden 15 Minuten) konzentriert.
Die Handlungszeiten sind, wegen der jeweiligen Individualerinnerungen einzelner Personen, auf Jahrzehnte rück- und ausgedehnt.
Der Handlungsort bleibt allerdings immer dergleiche: rund um Lauchhammer - inmitten einer unendlichen Weite aus- und abgebaggerter Lausitzer Erde; Kameramann Felix Novo de Oliveira sorgte für spektakuläre Landschaftsaufnahmen von wideriger Schönheit, immer wieder ist der TAKRAF-Schaufelradbagger, ein sensationelles Ungetüm aus alten DDR-Tagen, zu sehen, wie er unsrer schönen und doch unschuldigen Mutter Erde an das Leben geht, sie unter seine messerscharfen Folterinstrumente zwingt und ihr wegen dieser paar Krümel Braunkohle, die es zu fördern galt und auch noch weiterhin zu fördern gilt, unreparierbare Unfruchtbarkeit beschert. Ein Einheimischer sagt im ersten Teil, dass der entstand'ne Baggersee, an dessen Hängen Arndt Klawitter (als Immobilienhaiheuschrecke Florian Langendorff) Luxus-Appartements bauen lassen will, doch nur ein Riesenloch mit Wasser wäre, also ohne Fische, ohne Fauna, Flora; alles das bräuchte Jahrzehnte, um renaturiert zu werden.
Das dann wiederum treibt jugendliche Umweltaktivisten auf den Plan, zu denen es auch Ella Lee (als Jackie Briegand) zieht; sie ist die Tochter von Mišel Maticevic (als Kriminalkommissar Briegand) und die letzte in der über sechs Lauchhammer-Folgen lang ermittelten Serienmordreihe, die - was erst am Schluss rauskommt - der TAKRAF-Schaufelradbagger-Museumsführer Martin Jaschke (gespielt von Kai Ivo Baulitz) zu verantworten hatte; er ist derjenige, den alle (bis zur sechsten Lauchhammer-Folge) vergeblich suchten, und er war und ist ein Psychopath, dessen schon hahnebüchene Mördergeschichte (Drehbuch: Frauke Hunfeldt & Silke Zertz) als finaler Hype erzählend aufgedröselt wird.
Ein Kriminalfall als Mittel zum Zweck, um über Land und Leute - Lauchhammer - Tiefschürfendes wie Tiefgeschürftes zu erfahren, was in summa aufs Vorzüglichste gelingen sollte!
Regiesseur ist Till Franzen, produziert hat Oliver Berben.
Anschauen, unbedingt!!!!!!
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Lauchhammer - Tod in der Lausitz: Marc Hosemann (als Polizist André Pötschke) kannte Romana, das erste Opfer, aber er war natürlich nicht ihr Mörder... | Bild: MDR/Moovie/Steffen Junghans
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Bobby King - 17. September 2022 ID 13808
Lauchhammer - Tod in der Lausitz (6-teilige TV-Serie à 45 min)
Regie: Till Franzen
Buch: Frauke Hunfeldt und Silke Zertz
Kamera: Felix Novo de Oliveira
Musik: Andreas Weidinger und Christoph Zirngibl
Besetzung:
Maik Briegand ... Mišel Maticevic
Annalena Gottknecht ... Odine Johne
André Pötschke ... Marc Hosemann
Jackie Briegand ... Ella Lee
Jannick Wolf "Junior" ... Jacob Matschenz
Oliver Bartko ... Lucas Gregorowicz
Martin Jaschke ... Kai Ivo Baulitz
Juri Schavadenov ... Malik Blumenthal
Liese Noack ... Petra Kelling
Erich Noack ... Christian Grashof
Jennifer Schinschke ... Martina Schöne-Radunski
Florian Langendorff ... Arnd Klawitter
Daniela Briegand ... Julischka Eichel
Walter Schubert ... Hilmar Eichhorn
Uwe Voigt ... Andreas Leupold
Marianne Bethke ... Ramona Kunze-Libnow
Klara Goll ... Thelma Buabeng
Dorothea Kotzian "Dodo" ... Jennifer Demmel
Klimaaktivist Janosz Radomski ... Andreas Dyszewski
Dr. Leyla Hamadi ... Halima Ilter
Lars Kessler ... Daniel Séjourné
Ramona Schinschke ... Jule Hermann
TV-Erstausstrahlungen (je 3 Folgen) auf arte am 8. + 15. September 2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.arte.tv/de/videos/RC-022864/lauchhammer-tod-in-der-lausitz/
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