Eindrückliche Filme
aus der Ukraine
und ein kleiner
Handke-Eklat
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Ein Festival des osteuropäischen Films in Zeiten des Krieges im Osten Europas - Wie kann das gehen? Das 32. FILMFESTIVAL COTTBUS hat reagiert, seinen „Russky Den“ (den Russischen Tag) gecancelt und stattdessen einen „Ukrainischen Tag“ veranstaltet. Es sei nicht die Zeit russisches Kino zu feiern, ließ der Cottbuser Programmdirektor Bernd Buder verlauten. Filme aus Russland haben den Wettbewerb des Festivals in den letzten Jahren mehrfach dominiert. Dass sich das ukrainische Kino nicht verstecken muss, konnte man bereits 2014 bei einem Special mit 10 Dokumentar-, Kurz- und Langspielfilmen auf dem 24. FILMFESTIVAL COTTBUS sehen. Nun standen also 13 Filme aus und 3 Filme über die Ukraine aus den Jahren 1991 bis 2022 auf dem Programm.
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Neben einigen aktuellen Spielfilmen wie dem Eröffnungsfilm und ukrainischem Wettbewerbsbeitrag Luxembourg, Luxembourg (2022) über zwei ungleiche ukrainische Zwillingsbrüder auf der Suche nach ihrem aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Vater, Pamfir (2022) über den Überlebenskampf eines kleinen Schmugglers im rumänischen Grenzgebiet oder Blindfold (2020) über eine junge Mixed-Martial-Arts-Kämpferin, die, nachdem ihr Freund als Soldat in der Ostukraine gefallen ist, ihren eigenen Weg der Trauerbewältigung sucht, waren auch Filme zur Geschichtsaufarbeitung in Abgrenzung zu den großrussischen Narrativen eines Wladimir Putin im Angebot. „Slovo“ House, Unfinished Novel (2017) von Regisseur Taras Tomenko erzählt in Retro-Schwarz-Weiß die Geschichte einer Schriftsteller-Kommune in einem von Stalin errichteten „Haus des Wortes“ im Charkiw der 1930er Jahre. Die ukrainische Intelligenzija frönt hier dem Ballspiel, der Liebe und der sozialistischen Dichtkunst, während in den Dörfern umher der Holodomor wütet und sich das Gebäude immer mehr zu einem Haus der Angst ähnlich dem Moskauer Hotel Lux entwickelt. Ein junger, wenig talentierter Nachwuchsdichter wird hier zuerst zum Spitzel, der das Leben der anderen über eine installierte Abhöranlage aufschreibt, bis er selbst zum willigen Vollstrecker mutiert.
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Eurodonbas | (C) Kornii Gritsyuk
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Die systematische Auslöschung der ukrainischen Kultur-Elite während der Sowjetzeit ging einher mit der Russifizierung der Wirtschaft. Das zumindest legt der Dokumentarfilm Eurodonbas (2021) von Kornii Hritsyuk nahe. Der Regisseur hat nach alten, in der Ukraine und Russland nicht mehr vorhandenen Dokumenten geforscht und festgestellt, dass sich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts belgische, deutsche, walisische und amerikanische Unternehmen im Donbass ansiedelten und industrielle Zentren der Soda-Produktion und der Metallindustrie aufbauten. Beispiele dafür sind Niederlassungen des belgischen Soda-Fabrikanten Ernest Solvay in Lysychansk (nicht zu verwechseln mit dem durch Umweltzerstörung und Gesundheitsschäden verursachendem Abbau von Nickel in Guatemala bekanntgewordenen Schweizer Bergbauunternehmen Solway, das auch in Russland aktiv war), oder die 1869 gegründete metallurgische Fabrik des walisischen Ingenieurs John Hughes im damals nach ihm benannten Yuzhivka. Die 1924 in Stalino umbenannte Stadt ist das heutige Donezk.
Der Film wirft Russland eine bewusste Zerstörung dieses einzigartigen europäischen Architekturerbes während des Angriffskriegs gegen die Ukraine vor. Viele Gebäude wie Wohn- und Krankenhäuser, die damals für belgische, deutsche oder französische Arbeiter gebaut wurden, existieren nicht mehr. Die Stadt Lysychansk ist praktisch dem Erdboden gleichgemacht. Das erfahren wir in einem Nachspann zu dem ein Jahr vor dem Krieg fertiggestellten Film, dessen Regisseur weitere Orte wie Mariupol, Druzhivka oder das einst von Deutschen bewohnte Dorf New York besucht hat und Menschen vor Ort sowie ukrainische Historiker, eine Philosophin und einen Sammler von historischen Dokumenten zu Wort kommen lässt. Im Fall von Donezk hatte allerdings bereits die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg für die fast vollständige Zerstörung der Stadt gesorgt, die dann als sowjetische Musterstadt wiederaufgebaut wurde. In alten, animierten Fotografien lässt nun Hritsyuk das alte europäische Kulturerbe wieder entstehen, nicht ohne die damalige Ausbeutung ukrainischer und ausländischer Wanderarbeiter unerwähnt zu lassen. Auch das ein Stück notwendige Vergangenheitsaufarbeitung.
Krieg ist auch immer ein Krieg der Bilder. Propaganda gehört zum Handwerk und davor ist gerade auch die Filmkunst nicht immer gefeit. Soweit lässt es aber Mantas Kvedaravičius, der litauische Regisseur des Dokumentarfilms Mariupolis 2 (2022), gar nicht erst kommen. Er filmt nicht die kämpfenden ukrainischen Heroen im naheliegenden heiß umkämpften Stahlwerk, sondern konzentriert sich allein auf eine Gruppe Zivilisten, die in einer Kirche der Stadt vor der russischen Bombardierung Zuflucht gesucht haben. 2015 filmte Kvedaravičius das erste Mal in Mariupol, im Februar 2022 ist er zurückgekehrt, um das Leben der Menschen in der belagerten Stadt festzuhalten. Letztendlich hat er das mit seinem Leben bezahlt, vermutlich von russischen Soldaten erschossen. Das Filmmaterial konnte gerettet und von Kvedaravičius‘ Lebensgefährtin Hanna Bilobrova außer Landes gebracht werden. Gemeinsam mit der Cutterin Dounia Sichov ist dieser 112-minütige Rohschnitt entstanden.
Kvedaravičius filmt die Menschen beim Essenkochen, beim morgendlichen Dankgebet oder beim Durchstreifen der Ruinen, immer auf der Suche nach Brauchbarem, wie einem Stromgenerator, den sie vor dem Haus zweier bei einem Bombenangriff Getöteter finden. Ein Taubenzüchter steht vor einem Bombentrichter, wo früher sein Haus stand, und sinniert über sein Leben. Die Gespräche der Leute handeln nicht nur über Alltägliches, es geht auch um Politik. Fast schon resignierend ist die Aussage eines Mannes: „Je ehrlicher die Regierungen, desto schlechter werden unsere Leben.“ Das bleibt nicht unwidersprochen, aber als Resultat der andauernden Zermürbung ein denkwürdiges Zeichen.
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Mariupolis 2 | (C) REA
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Bedenklich auch zu guter Letzt die Vorführung des Dokumentarfilms Waiting for Handke und die anschließende Q & A mit dem serbischen Regisseur Goran Radovanovic. Der hat zwar keinen Film über die Ukraine gedreht, nutzte die Bühne aber für ein Statement gegen den Militäreinsatz der Nato gegen Serbien im Kosovo-Krieg und verstieg sich zu Vergleichen mit dem russischen Angriffskrieg, was ihm einiges an Widerspruch einbrachte aber auch lautes Türenknallen. Eine etwas unglückliche Figur machte dabei auch Interviewer Bernd Buda, der etwas sprachlos Radovanovic kaum wieder einfangen konnte. Wie schon der Titel seines Filmes besagt, geht es um den umstrittenen österreichischen Literaturnobelpreisträger Peter Handke, der in der serbischen Enklave Velika Hoča ein Held ist, im umgebenden Kosovo aber zur „Persona non grata“ erklärt wurde.
Der in Velika Hoča ansässige Winzer Srdjan Petrović, bei dem Peter Handke mehrere Male übernachtet hat, möchte dem Literaturnobelpreisträger eine Gedenktafel stiften und ruft in dieser Sache öfter Bekannte oder Bildhauer in Serbien an. Dazu muss er wegen des schlechten Handy-Empfangs immer zur auf einer Anhöhe liegenden Kapelle laufen. Der Film folgt ihm auch öfter beim Rollen eines Weinfasses zu seinem Laden, wo er ein Foto Handkes auf einer Staffelei vor die Tür stellt. Ein tägliches Ritual, das fast schon tragikomisch die dauernde Abwesenheit des großen Schriftstellers verdeutlicht. Die Verehrung Handkes, der seinem Besuch in dem 2009 erschienenen Buch Die Kuckucke von Velika Hoča verewigte, wird im Dorf hoch verehrt. Die Kinder in der kleinen Dorfschule zeichnen Handke-Portraits und ein Musiker hat ihm ein Lied gewidmet. Handke ist aber auch die große Leerstelle des Films, der so auch Warten auf Godot heißen könnte.
In elegischen Bildern fängt der Regisseur die Tristesse des Dorflebens im Vier-Jahreszeiten-Rhythmus ein. Der Film zeigt den Winzer und seinen Sohn bei der täglichen Arbeit, einen Schnitzer von Holzkreuzen oder einen alten Arzt mit Krücken. Die Kamera streift kommentarlos über zerstörte serbische Grabsteine, in denen sich der Himmel spiegelt. Auch die Kuckucke sind zu hören, wie auch der Ruf eines Muezzins. Das wäre als Statement der Ohnmacht noch verständlich, entbehrt aber auch nicht einer gewissen Ironie, die der Regisseur so sicher nicht beabsichtigt hat. Man kann die Bilder so oder so interpretieren, in Zeiten des Krieges verliert auch die Kunst zuweilen ihre Unschuld.
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Waiting for Handke | (C) Nama Film
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Stefan Bock - 16. November 2022 ID 13915
Weitere Infos siehe auch: https://www.filmfestivalcottbus.de/
Post an Stefan Bock
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