Unverhüllte
Entgrenzungen
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Bewertung:
Wir sehen weit geöffnete Augen, Brustwarzen, gespannte Arme, muskulöse Schultern, Körperbehaarung, Tattoos, einen gespannten Fuß. Aleksandr M. Vinogradov zeigt Details nackter Männerkörper mit Weichzeichnungseffekten zu Trance-Elektro-Soundscapes von Francisco López. Schnelle Schnitte setzen später Bezüge zu Renaissance-Ölbildern von Hieronymus Bosch. Der niederländische Künstler malte oft entblößte Figuren in seinen heute legendären, fantastisch anmutenden Wimmelbildern vom Garten der Lüste oder von Höllenvisionen. Nackte Seelen möchte vielleicht auch der belgische Choreograph Thierry Smits mit einem nur männlichen Cast porträtieren. Seine Choreographie Anima Ardens – 2016 in Brüssel aufgeführt – zeigt elf, die meiste Zeit nackte Tänzer und handelt von (männlichen) Ritualen.
Der junge, russische Filmregisseur Aleksandr M. Vinogradov realisierte nicht nur für das Thor Studio eine Filmaufnahme dieser etwa 65minütigen Performance, die auf Vimeo abgerufen werden kann. Jüngst erschien seine Filmdokumentation Bare auf DVD. Sie dokumentiert das Casting, die Einstudierung und die Premiere der Choreographie.
Wir sehen Star-Choreograf Thierry Smits beim Betrachten der Tänzerbewerbungen und erleben ihn auch in undankbaren Momenten, wenn er während des Castings wiederholt Tänzern Absagen erteilt. Der Kubaner Nelson Reguera schafft es als letzter ausgewählt zu werden und sich gegen andere Kandidaten durchzusetzen. Mehrfach im Fokus ist der Tänzer Peter De Vuyst, der für das Engagement in Anima Ardens eine Produktion der belgischen Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker ausschlägt. Gegen Ende erleidet De Vuyst während einer Tanzimprovisation heftige Rückenschmerzen wegen einem blockierten Wirbel und muss kurzzeitig aussetzen.
Thierry Smits gibt während der Proben nachdrückliche Anweisungen. Er lässt Tänzer oft Bewegungen zu von ihm vorgegebenen Stimmungen improvisieren. Smits korrigiert Bewegungsfolgen der Tänzer und lässt sie diese wiederholen, bis er zufrieden ist. Oft diskutiert er auch lebhaft mit ihnen oder anderen Crewmitgliedern.
Neben Fokussierungen auf gemeinschaftliche Bewegungen während der oft synchronen Performance setzt die Doku auch attraktive Tänzer wie Emeric Rabot, Michal Adam Goral oder Bruno Morais gekonnt mit langen Porträtaufnahmen in Szene. Einige Tänzer werden in dem Film eingehender betrachtet, als andere. Oliver Tida fällt als einziger schwarzer Tänzer der Performance auf. Er hinterlässt mit starken Solo-Tanzperformances den wahrscheinlich nachhaltigsten Eindruck.
Schnelle Bildfolgen kontrastieren mit langen Einstellungen. Der Kamerablick liegt auch manchmal lange auf Nebenfiguren wie Smits Hund Vasco oder einer Probenzuschauerin namens Juliette. So bleiben Filminhalte unbestimmt, ähnlich wie in Smits Produktion. Der Choreograph Smits beschreibt den Tänzern gegenüber auch mal eingehend ein Detail in einem Pieter Brueghel-Ölbild. Die Doku zeigt die Ansprache Smits, ohne das bildliche Detail in Landschaft mit dem Sturz des Ikarus filmisch einzublenden. Smits fragt die Tänzer mehrfach: „You know the painting, where you just see two legs in the sea?“ Der Dokubetrachter steht wohl genauso auf dem Schlauch, wie die Tänzer.
Bare wird nicht nur bei den abgebildeten Körperteilen sehr explizit. Sie zeigt auch intime Momente beim Kennenlernen der Tänzer; wenn sich einige der jungen Männer in Probenpausen vertraut über schwule Beziehungen und schwulen Sex unterhalten. Frisch geduschte Tänzer flirten auch in einer längeren Szene gegen Ende ausgiebig und offensiv mit dem filmenden Mann hinter der Kamera. Sie treten einzeln nackt auf ihn zu, während er den Blick auf die Umkleide filmt, die unmittelbar an den Duschraum angrenzt. Einer der Tänzer singt kokett „You make me feel like a natural woman“. Ein schöner und heißer Blick hinter die Kulissen einer sicherlich gewagten Produktion.
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Choreograph Thierry Smit bespricht mit den Tänzern die mögliche Umsetzung seiner Idee Foto © Salzgeber
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Ansgar Skoda - 26. Januar 2022 ID 13422
Weitere Infos siehe auch: http://www.salzgeber.de/bare
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