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DVD-Kritik

"Umso stärker ist auch die Explosion!"



Bewertung:    



„Betrachten Sie mich jetzt! […] Ich habe mich in die Sprache gerettet.“

Diese Aufforderung oder Selbstaussage Elfriede Jelineks laden dazu ein, eine Doku über die Österreicherin zu entdecken, die jüngst auch auf DVD erschien. In ihren Werken erinnert die Schriftstellerin an generationsübergreifende Traumata und widmet sich gesellschaftlichen Themen mit Wortschöpfungen wie den „Sündenstolz“. Unerbittlich, konsequent und radikal zeigt sie Konflikte auf und provoziert mit kontroversen Inhalten unbequem und widerständig. Jelinek warnt vor Zerstörung und lebensbedrohliche Krisen und begehrt auf gegen Unterdrückung, Antisemitismus oder das Patriarchat. Für ihren "musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen" erhielt die heute 76-Jährige 2004 den Literaturnobelpreis. Die Künstlerin meidet scheu die Öffentlichkeit, denn sie leidet seit langem an einer Angststörung.

Germanistin Claudia Müller beleuchtet in ihrer Doku Elfriede Jelinek. Die Sprache von der Leine die politische Auseinandersetzung, die Positionen und den Stil der wohl derzeit renommiertesten österreichischen Schriftstellerin. Dies wurde 2023 als bester Dokumentarfilm mit dem Deutschen und dem Österreichischen Filmpreis und der Romy ausgezeichnet. Müller führte im Sommer 2021 ein Gespräch mit Jelinek, das teilweise wiedergegeben wird. Die Regisseurin setzt, zusammen mit Editorin Mechthild Barth und Kamerafrau Christine A. Maier, Ebenen des Werks und das Leben der Autorin vielschichtig miteinander in Beziehung. Das über anderthalbstündige anspruchsvolle Porträt greift auch zurück auf Archivaufnahmen, altes Video- und Fernsehmaterial sowie Material aus dem privaten Fundus Jelineks.

Regisseurin Müller, die zuvor bereits Künstlerinnen wie Annette Humpe, Susanne Lothar oder Jenny Holzer dokumentarisch porträtierte, beginnt chronologisch in der Kindheit der Autorin, die 1946 im steiermärkischen Mürzzuschlag geboren wird. Die Doku erzählt von der Jugend der Autorin, ihrer dominanten, ehrgeizigen katholischen Mutter Olga, dem jüdischen Vater Friedrich, einem Wissenschaftler und Sozialisten, der früh in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde und hier 1969 verstarb.

In Bildern verschränken sich verschiedene Zeitebenen, vom Entstehungsprozess der Werke über Darstellungen, die auf Abläufe verweisen, bis hin zur Zeit der Werkbetrachtungen. Textflächen mit Collagen aus Romanausschnitten Jelineks werden durch namhafte Schauspieler wie Sandra Hüller, Sophie Rois, Maren Kroymann, Martin Wuttke, Ilse Ritter und Stefanie Reinsperger vorgetragen. Der Hintergrund der assoziativen Passagen bleibt mitunter unklar; eine Rätselhaftigkeit erhöht jedoch teils die Spannung. Filmisch experimentell begleiten die vorgetragenen Textflächen Kamerafahrten mit Landschaftsaufnahmen in der Steiermark – von Schnee oder Nebel bedeckt – oder Stadtaufnahmen aus Wien.

Wir erfahren im Mittelteil der Doku, dass die porträtierte Autorin den Roman Die Kinder der Toten (1995) als ihr Hauptwerk oder Opus magnum ansieht. Nach 2004 veröffentlichte Werke werden in der Doku hingegen wenig thematisiert. Gegen Ende bezeugt jedoch eine beeindruckende Liste die künstlerische Produktivität der Porträtierten.

Claudia Müller und ihr Team verzichten auf Interviews mit Weggefährten oder Kommentare aus dem Off. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Antrieb und der Methodik des Schreibens der politisch engagierten Frau.

Elfriede Jelinek erzählt in ihrem oft ironischen oder zynischen Prosawerk von Traumata, indem sie Teile einer gespaltenen Identität sichtbar macht. Ihre mitunter grausamen Bilder beunruhigen und zeigen eindringlich Missstände, ausufernde Brutalität und Unterdrückung auf. Claudia Müller verdeutlicht Konstanten, Motive und Hintergründe im Werk Jelineks, das stets auch dazu inspirieren möchte, Ungerechtigkeiten historischer und aktueller Machtsysteme zu erkennen und, falls möglich, Widerstand zu leisten.
Ansgar Skoda - 28. September 2023
ID 14406
Farbfilm-Link zur Elfriede Jelinek-DVD


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