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BERLINALE

WETTBEWERB / PANORAMA

Varda par Agnès /
Serendipity



Die Drehbuchautorin, Produzentin, Regisseurin und bildende Künstlerin Agnès Varda, geboren 1928 in Brüssel, ist neben Jean-Luc Godard die letzte noch lebende Vertreterin der Emanzipationsbewegung von Filmemachrinnen und der französischen Erneuerungsbewegung Nouvelle Vague der frühen 1960er Jahre. Gemessen an ihrem Alter ist ihre Filmografie mit rund 35 abendfüllenden Spiel- und Dokumentarfilmen übersichtlich. In Deutschland wurde sie von einem breiteren Publikum relativ spät wahrgenommen, nämlich Mitte der 80er Jahre mit dem filmischen Porträt über Jane Birkin, Jane B. par Agnes V. (1987) und das Ausreißerinnen-Drama Vogelfrei (1985), das Sandrine Bonnaire zum Star machte. Schon vor über zehn Jahren rekapitulierte Varda – die nach eigenen Angaben vor dem 80. Geburtstag mehr Angst hatte als vor dem 90. – ihre turbulente Karriere anhand einer Dokumentation, Les plages d'Agnès (Agnes‘ Strände).

Nun kehrte Agnès Varda, das kleine Energiebündel mit der markanten, gefärbten Bobfrisur, mit einem weiteren selbstreflexiven Dokumentarfilm zurück zur Berlinale. Sprach sie in Agnes‘ Strände überwiegend über ihr Leben und die Ehe mit ihrem schon 1990 verstorbenem Partner, Autor und Regisseur Jacques Demy (Die Regenschirme von Cherbourg, 1964), geht es in Varda par Agnès um die Motivation bestimmte Filme herzustellen und deren Entstehungsgeschichte. In Anlehnung an das Interviewbuch von Francois Truffaut mit Alfred Hitchcock gab sie bei öffentlichen und privaten Vortragsterminen Antworten auf die Frage: "Madame Varda, wie haben Sie das gemacht?"

Für eingefleischte Cineasten ist dieses rund zweistündige Making-Of natürlich ein Fest. Neben Vardas Auftritten – in denen sie sich auch als Vortragende als unterhaltsame Entertainerin erweist – gibt es Interviews mit ihren Kollaborateuren wie z.B. Sandrine Bonnaire, aber auch dem Leiter der Filmabteilung des New Yorker Museums of Modern Art. Denn was selbst fleißige Kinogänger kaum wissen: Seit rund zwanzig Jahren arbeitet Agnès Varda verstärkt auch als Fotografin, Performance- und Videokünstlerin, die die Auseinandersetzung mit lebenslangen Themen in andere Medien und Kontexte hineinverlängert. Selbst in ihrem eigenen Garten hat sie eine Hütte mit einer Videoinstallation integriert, die von jedermann betreten und angeschaut werden kann – vor allem von Kindern.

Agnès Varda verkörpert nun schon seit fast siebzig Jahren geradezu idealtypisch jene Art Powerfrau und Künstlerin, für deren quotierte Unterstützung auch auf dieser Berlinale mit Nachdruck geworben wurde: eine emanzipierte, feministische, tolerante, innovative, für die Rechte der Frauen und Schwachen in der Gesellschaft kämpfende, allen künstlerischen und technischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossene Bürgerin, die sich trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge nie aufgegeben hat. Gäbe es sie nicht, müsste man sie erfinden. Jedenfalls passte sie zu dieser frauenbewegten Berlinale wie kein anderer Gast. Außerdem bot sie mit ihrer altersbedingten Abgeklärtheit die besten Zitate auf einer Pressekonferenz. Befragt nach ihrer Unermüdlichkeit als Künstlerin, sagte sie, es sei doch besser sich Gedanken zu machen und neue Ideen zu entwickeln, als doof herumzusitzen. Chapeau, Madame!

Bewertung:    



Varda par Agnès | (C) Cine Tamaris 2018


* *

Agnès Varda begegnete man auch in einem zweiten, autobiografischen Dokumentarfilm von und mit einer ungewöhnlichen Künstlerin: in Prune Nourrys Serendipity. Die 1985 geborene, in Paris lebende und arbeitende Nourry ist keine Filmschaffende, sondern drückt sich überwiegend mit Installationen, Fotografien und Skulpturen verschiedenster Materialien und Größen aus, die auf großen, internationalen Kunstausstellungen zu sehen sind. So lernte Nourry auch Agnès Varda kennen, die eine Art feministische Mentorin und Mitstreiterin für sie wurde.

Der Film ist einerseits Making-Of, also ein Film, der dokumentiert, wie einige von Prune Nourrys Werken in ihrem Kopf und anschließend in ihrem Atelier entstehen. Unter anderem ist zu sehen, wie die Französin die mehr als 2.000 Jahre alten, im chinesisch-kaiserlichen Auftrag entworfenen Terrakotta-Armeestatuen kopiert, aber mit den Gesichtern junger, chinesischer Frauen versieht, in Peking in einer Grube aufstellen und eingraben lässt, auf dass diese in 30 Jahren wieder ausgegraben werden. „Auch dann, wenn ich schon gestorben sein sollte“, sagt Nourry.

Denn andererseits ist ihr Film eine Art Videotagebuch und therapieunterstützende Maßnahme, als Nourry erfährt, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist und eine Amputationsoperation durchführen lassen muss. Die Angst, Wut und Hilflosigkeit im Angesicht der Krankheit verarbeitet Nourry mit schwarzem Humor im Film, aber vor allem zu beeindruckenden künstlerischen Werken – unter anderem riesige, mit farbigen Stacheln übersäten Köpfen und Körperteilen aus Pappmaché, die an Nourrys Erfahrungen mit Akupunktur anknüpfen. Prune Nourrys exklusive Ausstellung Destruction is not an end in itself, die 2017 vom Musée des Arts Asiatiques-Guimet in Auftrag gegeben wurde, ist das ergreifende Resultat einer selbstbewussten, aber angegriffenen Künstlerin, deren eigenes Schicksal ihren Blick auf den weiblichen Körper in der männlichen geprägten Gesellschaft und die Fragilität des menschlichen Lebens noch einmal intensiv katalysiert hat.

Ein ebenso aufschlussreiches wie bewegendes Dokument, nicht nur für Kunstfreunde.

Bewertung:    



Serendipity | (C) Léa Crespi/Pasco/Prune Nourry Studio

Max-Peter Heyne - 17. Februar 2019 (2)
ID 11229
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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