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Rezension


„Der Gott des Gemetzels“ (Frankreich, Spanien, Deutschland, Polen 2011)

Regie: Roman Polanski

Starttermin: 24. November 2011

In jedem von uns schlummert ein wildes Tier und unsere Kultiviertheit und Zivilisation ist nur allzu fragil. Das erlebt auch das Ehepaar Penelope (Jodie Foster) und Michael Longstreet (John C. Reilly), als ihr elfjähriger Sohn von einem Gleichaltrigen im Streit die Vorderzähne ausgeschlagen bekommt. Wie dünn die kulturelle Schicht nicht nur bei den Kindern ist, zeigt sich, als sie die Eltern des Übeltäters zu sich einladen, um die Sache in aller Ruhe zu besprechen. Nancy Cowan (Kate Winslet) ist Börsenmaklerin und gibt zu, manchmal mit der Erziehung ihres Sohnes überfordert zu sein. Ihr Mann Alan ist zwar körperlich anwesend, telefoniert aber ständig auf seinem Handy. Der Manager eines Pharmaunternehmens versucht gerade, einen Skandal um die Nebenwirkungen eines Medikamentes herunterzuspielen. So nimmt die facettenreiche Satire mit einer teils irrwitzigen Komik ihren Lauf.

“Das Faszinierende ist, dass es am Anfang um etwas völlig anderes geht als das, was sich daraus entwickelt“ , erklärt Kate Winslet. Jodie Foster ergänzt: „Das, was wir Moral nennen, ist ein Konstrukt. Im Grunde sind wir alle primitiv. Jeder von uns kann zum Monster werden. Wenn wir das einsehen würden, kämen wir vermutlich besser zurecht.“

Noch glauben sie, alles im Griff zu haben: Michael (John C. Reilly), Penelope (Jodie Foster, Alan (Christoph Waltz) und Nancy (Kate Winslet) © Constantin Film Verleih GmbH
Penelope hat nicht nur als Mutter des verletzten Kindes zu leiden, sie fühlt sich auch in den Grundfesten ihres Gutmenschentums erschüttert. Sie ist Schriftstellerin, politische Aktivistin und versucht, etwas gegen die Missstände in Afrika zu tun. Das prallt an dem neoliberal eingestellten Ehepaar Cowan völlig ab. Irgendwann steht Penelope alleine da, weil sich ihr verweichlichter Ehemann auf die Seite der zunächst Stärkeren, der Cowans, schlägt. Doch auch bei denen tun sich Abgründe auf und so jonglieren die Allianzen von Ehepaar gegen Ehepaar, drei gegen Penelope, Frauen gegen Männer, und dann wird wieder umgeschwenkt. Der reichlich fließende Alkohol trägt zur Enthemmung mit bei. Als „Opfer-Vater“ Michael dann mitbekommt, dass seine Mutter eben jenes Medikament nimmt, dessen gefährliche Nebenwirkungen Alan gerade zu vertuschen sucht, geht der Kampf auf das nächst tiefere Level des Abgrunds.

Temporäre Waffenruhe: Die Kontrahenten sortieren sich neu © Constantin Film Verleih GmbH
Seit seiner Uraufführung 2006 hat das dem Film zugrunde liegende Theaterstück von Yasmina Reza seinen Siegeszug durch die Theater fortgesetzt. Die Verfilmung war nur eine konsequente Weiterentwicklung. Roman Polanski und Yasmina Reza haben gemeinsam an dem Drehbuch gearbeitet. Sie haben darauf Wert gelegt, es in „Echtzeit“ zu verfilmen. Es finden also keine Schnitte statt, die vergangene Zeit überbrücken. Die Proben für den Film waren Theaterproben sehr ähnlich. „Aber keiner von uns hätte geahnt, das Roman Polanski uns alle das gesamte Drehbuch auswendig lernen lassen würde, von der ersten bis zur letzten Zeile“, erzählt Kate Winslet. “Das half uns und auch Roman, denn so konnte er den Dreh für sich besser strukturieren. Die Proben haben uns eng zusammengeschweißt.“ Auch Christoph Waltz pflichtet dem ungewöhnlichen Vorgehen Polanskis bei: „Die Proben waren bei diesem Projekt praktisch unverzichtbar. Sie gaben uns Zeit zum Experimentieren. Diesen Luxus – nämlich Zeit – hat man bei regulären Dreharbeiten sonst nie.“

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Roman Polanski hat sich wieder als Meisterregisseur erwiesen. Schade, dass das alte Strafverfahren gegen ihn noch nicht zum Abschluss gekommen ist. Polanski wird seit 1977 von den US-Behörden verfolgt, weil er sich an einer 13-Jährigen sexuell vergriffen hatte. Auch nach 34 Jahren wurde der Haftbefehl nicht aufgehoben, obwohl 2010 das Opfer sich dahingehend geäußert hat, dass sie sich durch die Justizbehörden mehr geschädigt fühle als durch Polanski, den sie als genug bestraft ansähe. Polanski ist in diesem Jahr 78 Jahre alt geworden. Bis heute kann er in keine Länder reisen, die einen Auslieferungsvertrag mit den USA haben. Das soll auf keinen Fall heißen, dass irgendeiner – auch Roman Polanski nicht – das Recht hat, sich an einer Jugendlichen zu vergreifen. Aber die Strafsache ist aus dem Lot geraten und fast ist es so, wie im „Gott des Gemetzels“: Während sich die Eltern noch bekriegen, haben sich die Kinder schon längst versöhnt.


Helga Fitzner - 23. November 2011
ID 5492

Weitere Infos siehe auch: http://dergottdesgemetzels.de





 

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