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Dokumentarfilme

Dieser

verdammte

Körper!




Der Zufall will es, dass zeitgleich zwei Dokumentarfilme in deutschen Kinos starten, Der Papst ist kein Jeansboy und Seht mich verschwinden, die von zwei äußerst eigenwilligen Persönlichkeiten handeln, zu deren kreativem Potential auch der ständige Widerstreit mit der eigenen physischen Existenz gehörte: der Wiener Künstler, Talkshow-Moderator und Schwulenaktivist Hermes Phettberg (* 1952) und das französische Model Isabelle Caro (1982-2010). Beide Filme sind eindringliche Porträts zweier verletzter, rastloser Seelen, die im Rampenlicht so etwas wie kurzzeitige Linderung von ihren Obsessionen fanden. Phettbergs wie Caros beeindruckendes wie mitleidheischendes Mitteilungsbedürfnis bestimmt die Filme, von denen Der Papst ist kein Jeansboy der stilistisch konsequentere (in Schwarz-Weiß), Seht mich verschwinden der unterhaltsamere, weil abwechslungsreichere ist.


Isabelle Caro - Seht mich verschwinden | (C) farbfilm


Caro wurde durch Fotos des Benetton-Fotografen Oliviero Toscani berühmt-berüchtigt, der sie im Jahre 2007 stark abgemagert ablichtete, um vermittels eines Schockeffekts auf das Phänomen Magersucht hinzuweisen. Damals wog Caro bei einer Körpergröße von 1,65 Meter kaum mehr als 32 Kilogramm und war dem Tod bereits näher als dem Leben, auch wenn sie dank der zweifelhaften Bekanntheitssteigerung durch die Fotokampagne kurzzeitig viele Auftritte akquirierte. Die 1982 in San Francisco geborene Künstlerin und Dokumentarfilmerin Kiki Allgeier hat Isabelle Caro im Nachgang der Fotokampagne eine Zeit lang mit der Kamera begleitet, entsprechend Caros Niedergang bis zur Beerdigung gefilmt. Aus diesem Material und Interviews mit Caro, ihrem Vater und einigen anderen Personen versucht Allgeier, die Hintergründe sichtbar zu machen, die zu Caros verhängnisvoller psychischer Krankheit geführt haben, die den physischen Tod zur Folge hatte.


Die lassen sich schnell beschreiben (was der Film nicht tut; aber ich verrate damit nicht zu viel): Die kleine Isabelle wuchs weitgehend ohne Vater auf, die Mutter wurde zunehmend depressiv und klammerte sich an das Mädchen, um eigene Defizite und Lebensängste zu kompensieren. Erwachsen werden, so sagt es Isabelle Caro im Film selbst einmal, durfte sie nicht, um der Mutter nicht zu entkommen. Dieses Psychogramm bietet zwar einigen Aufschluss darüber, warum es ausgerechnet die Magersucht wurde, in die Caro schon mit 11 Jahren flüchtet, um der übermächtigen Mutter und deren Projektionen entkommen zu wollen. In einer quälenden Prozedur verkehrte Caro das eigene Schöne allmählich ins Hässliche, ohne Hilfe von Außenstehenden annehmen zu können. Doch wie tief die Überforderungen sich in das Unbewusste der jungen Isabelle eingegraben haben müssen, lässt sich aus dem irritierenden Umstand deuten, dass Caro oft vor Lebensfreude sprühte und vor der Kamera aufgeschlossen und spontan agiert. Ihre eigenen Depressionen spiegeln sich – zumindest im Film – eher über das Aussehen als ihre Handlungen.

Bewertung:    




Auch Hermes Phettberg, eigentlich Josef Fenz, erweckt im Film des in Berlin lebenden Schriftstellers und Dokumentarfilmers Sobo Swobodnik einen mitleidserregenden Anblick – was denn auch eines der Hauptprobleme des Porträts ist, das die Grenze zum Voyeurismus à la Truman-Show einige Male streift. Der einst sehr übergewichtige, heute von mehreren Schlaganfällen gezeichnete, abgemagerte Künstler Hermes Phettberg ist bekennender Schwuler mit sadomasochistischem Fetisch, dem er früher bei öffentlichen Performances, heute nur mehr beim Internetsurfen huldigt. Außerhalb der österreichischen Landesgrenzen wurde das Wiener Original Phettberg durch die vom ORF und 3sat zwischen 1996-97 ausgestrahlte Nette Leit Show, bei der er als Moderator witzig-absurde Interviews mit Prominenten führte.

Wer Phettberg seit dieser berüchtigten Auftritte nicht mehr gesehen hat, die von seiner abgewetzten, kuriosen Erscheinung und frechen Art der Gesprächsführung lebten (von der sich Kollege Karl Dall noch eine Scheibe hätte abschneiden können), wird über Phettbergs Zustand anno 2011 erschrocken sein. (Der Film wurde schon vor vier Jahren gedreht und hat erst spät, aber gottlob dann doch, einen engagierten Filmverleih, „W-Film“, für den deutschen Kinoeinsatz gefunden.) Doch schon nach einigen Bildern wird klar, dass Phettberg an sarkastischem Witz und sprachlicher Raffinesse nichts eingebüßt hat. Nur flüssig und gut verständlich kann Phettberg nicht mehr sprechen, weshalb sich Regisseur Swobodnik dazu entschlossen hat, die Texte, die Phettberg in seinem eigenen Internetblog oder dem Wiener Stadtmagazin „Falter“ veröffentlicht, vom österreichischen Kabarettisten Josef Hader (bekannt als Privatdetektiv Simon Brenner in den Wolf-Haas-Krimiverfilmungen) aus dem Off vorlesen zu lassen.

Dessen schnöselig-sonore Stimme passt ideal zu den halb poetisch, halb provozierend, teils pornografisch verzierten Texten Phettbergs, der als ehemaliger katholischer Pastoralassistent mit seiner Religiosität im Dauerclinch liegt. Schade nur, dass über die reiche, verschlungene Vita von Hermes Phettberg, der die "dunklen", unbekannten Sexualfantasien der schulen Sadomaso-Szene zum Thema künstlerischer Performances machte, so gut wie gar nichts berichtet wird. Für Nicht-Eingeweihte bleibt die Bedeutung des Eigenbrötlers daher nur ansatzweise verständlich. Swobodnik begnügt sich mit der Porträtierung des Ist-Zustandes einer Kultfigur, die wie Isabelle Caro ihren Körper in eine Ruine verwandelt hat, aber deren Überlebenswille stärker ist.

Bewertung:    



Max-Peter Heyne - 2. Juli 2015
ID 00000008741

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Literaturtipp: DIE PHETTBERGFARM
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