Filmemacher als Filmstoff
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Vom 10. September bis 12. Oktober fand im Zeughauskino Unter den Linden das erst 2006 gegründete Filmfestival DOKU.ARTS statt, das nach einigen Jahren Exil in Amsterdam vor zwei Jahren den Weg zurück nach Berlin angetreten hat. Zum zweiten Mal lautete der Programmschwerpunkt und die Begleitkonferenz „Second Hand Cinema“, denn ein Festival, dass sich Dokumentarfilmen über Künste und Künstler widmet, ist in besonderer Weise davon betroffen, dass die Filme überwiegend und sogar ausschließlich aus Archivmaterial bestehen. Kurzum: Wer sich für die verschiedenen Aspekte des Kulturlebens interessiert, kommt um die DOKU.ARTS (Leitung: Andreas Lewin) nicht herum, bei denen kaum ein Beitrag langweilt. Gezeigt wurden dieses Jahr über einen Zeitraum von fast fünf Wochen (!) 46 Filme aus 24 Ländern, darunter größtenteils Deutschlandpremieren wie der neue Dokumentarfilm von Martin Scorsese, The New York Review of Books: A 50 Year of Argument, über die traditionsreichste und renommierteste Kulturzeitschrift der USA. Über zwei der berühmtesten Autoren und Intellektuellen der USA, Susan Sontag (Regarding Susan Sontag) und Gore Vidal (The United States of Amnesia), aber auch über den brasilianischen Schriftsteller und Judenhelfer im Zweiten Weltkrieg, Jaoa Gunimaraes Rosa (Outro Sertao) und über die 1992 verstorbene brasilianische Architektin Lina Bò Bardi (Precise Poetry) gab es aufschlussreiche Porträtfilme zu sehen.
Die meisten Beiträge der DOKU.ARTS waren wieder einmal filmische Porträts von Filmschaffenden - beispielsweise über Billy Wilder bei den Dreharbeiten zu seinem vorletzten Film Fedora (dazu bald mehr bei der Vorstellung der DVD), den Ungar Béla Tarr, den Österreicher Michael Haneke und den 1997 verstorbenen US-Regisseur Samuel Fuller sowie den mexikanischen Kameramann Gabriel Figuera.
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Was den Schweden Ingmar Bergman (1918-2007) betrifft, so ist nach einer Fülle verschiedener Porträts oder Reportagen kaum noch vorstellbar, dass etwas Neues über den europäischen Autorenfilmer par excellence zutage gefördert werden kann. Doch das schwedisch-tschechische Regie-Duo Jane Magnusson & Hynek Pallas belehrten die Zuschauer mit Trespassing Bergman, der die Zusammenfassung einer schwedischen TV-Miniserie ist, eines Besseren. Der Trick bestand darin, berühmte Regiekollegen und –kolleginnen wie Scorsese, Woody Allen, Zhang Yimou, Francis Ford Coppola oder Lars von Trier über ihr Vorbild sprechen zu lassen und einige von ihnen (Alejandro Iñárritu, Claire Denis, John Landis, Michael Haneke u.a.) sogar in Bergmans früherem Sommerquartier auf der entlegenen Ostseeinsel Fårö zu locken, die sich zu einer Art Pilgerstätte entwickelt hat. In dem ehrwürdigen Haus, das sich ein norwegischer Millionär und Bergman-Fan unlängst gesichert hat, ohne Veränderungen vorzunehmen, sah sich der Schwede allabendlich Filme an. Die gigantische Sammlung an Videokassetten erlaubt so manchen Aufschluss über Bergmans Sehgewohnheiten, die neben Filmkunst viel Unterhaltungsware enthält (z.B. nie zurückgegebene Leihkassetten mit englischen Horrorfilmen der 50er Jahre, wie John Landis amüsiert feststellt), mit der Bergman – wie wir alle – Zerstreuung und Entspannung suchte.
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Ingmar Bergmans Videokassetten-Archiv - Foto (C) DOKU.ARTS
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Während Claire Denis den Aufenthalt im Haus des Verstorbenen nicht verkraftet und flüchtet, versuchen sich Iñárritu, Haneke und Landis darin, die kryptischen Zeichen, die Bergman auf Türen malte, zu deuten. Erhellender für die Entschlüsselung der Person Bergman und seines Werkes sind freilich die Urteile und Einordnungen der Kollegen, die deutlich machen, dass der stilistische Wagemut des schwedischen Altmeisters weltweit für Hochachtung sorgte und noch immer sorgt. Der sich betont respektlos gebende Lars von Trier, der sich vorstellt, wie der sexuell besessene, aber in völliger Isolation lebende Bergman wohl ständig masturbieren musste, nennt die Strategie des Schweden als vorbildlich für eigene Ambitionen: Bergman begann als Autor von Komödienstoffen für andere Regisseure, hatte dann selbst inszenatorischen Erfolg mit freizügigen Nacktszenen (in Ein Sommer mit Monika) und mythischen Motiven (Das 7. Siegel, Die Jungfrauenquelle). Mit zunehmendem Erfolg erlaubte sich Bergman, sein Stammpublikum auch mit stilistisch strengeren, nicht leicht zu entschlüsselnden Stoffen zu konfrontieren und auf seine ganz individuelle künstlerische Entdeckungsfahrt mitzunehmen.
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Ingmar Bergman - Foto (C) DOKU.ARTS
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Bei den Schilderungen Scorseses, Coppolas und Allens wird deutlich, welche bedeutende Rolle Bergman gerade für jene US-Filmschaffenden spielte, die in den 60er Jahren den Hollywoodstil durch persönlichere Handschriften zu revitalisieren versuchten. Nicht zuletzt wegen seiner Hinwendung zu existentiellen Lebensfragen und seiner bisweilen abstrakten, vieldeutigen Symbolik wird Bergman auch im asiatischen Raum geschätzt, wie Zhang Yimou und Ang Lee berichten. Das Patchwork an ebenso unterhaltsamen wie einsichtigen Interviews, Bildern aus Bergmans Wohnhaus und Ausschnitten aus seinen berühmtesten Filmen ist ein hervorragender Einstiegskurs in das Werk des großen Schweden, aber auch die Filmgeschichte des letzten Jahrhunderts im Allgemeinen. So bleibt zu hoffen, dass sich ARTE erbarmt und eines Tages die gesamte TV-Serie von Magnusson und Pallas ausstrahlt.
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Ein Land, in dem Künstler nicht geschätzt, sondern systematisch verfolgt und drangsaliert und ihre Werke verboten werden, ist Weißrussland. Wer dort Kunst machen möchte, muss automatisch einen Kampf um elementare Menschenrechte mit einem übermächtigen Gegner führen. Wie schwer es ist, selbst in der Nische von Europas letzter Diktatur kritisches Theater zu inszenieren und zu spielen, zeigte bei den DOKU.ARTS die britisch-amerikanische TV-finanzierte Dokumentation Dangerous Acts: Starring the Unstable Elements of Belarus von Madeleine Sackler Daniel Carter und Larissa Kabernik. Der Film beschreibt über einen Zeitraum von rund zwei Jahren das Schicksal der experimentellen Theatergruppe Belarus Free Theatre, die in kleinen Privatzirkeln auftrat, bevor mehrere ihrer Mitglieder aufgrund massiver Repressionen ins englischsprachige Ausland exilieren mussten. Denn viele der Schauspieler oder Autoren der Gruppe haben – wie Tausende andere belarussische Bürger – gegen die Wahlfälschungen bei der letzten Präsidentenwahl 2012 und gegen den immer noch amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko protestiert. Wie mehrere oppositionelle Politiker wurden damals auch Intellektuelle und Künstler verhaftet.
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Dangerous Acts: Starring the Unstable Elements of Belarus - Foto (C) DOKU.ARTS
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Doch nicht nur die triste und unsinnliche Lebensrealität in Weißrussland steht die Arbeit der Gruppe an ihren Theaterstücken im Mittelpunkt des Films, dem es gelingt, anhand kurzer Ausschnitte die innovative und vitale Kraft der Theatermacher zu vermitteln. Die Gruppe arbeitet ihre Wut auf sehr produktive Weise ein, arbeitet mit viel Witz und Ironie, Hintersinn und einer innovativen Mischung aus politischer Satire, abstraktem Aktionstheater und musikalischen Elementen. Im Ausland wurde die unabhängige Gruppe dafür mit Preisen bedacht, aber in ihrer Heimat bleib der Kampf um mehr Liberalität und Meinungsfreiheit bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Obwohl: Die Gruppe darf sich rühmen, ein wichtiges, wenn auch kaum sichtbares Zeichen in Weißrussland gesetzt zu haben. Der weißrussische Regisseur Victor Asliuk sagte übrigens bei einer Diskussion beim ähnlich klingenden, ebenfalls just zu Ende gegangenen Filmfestival mit Dokumentarfilmen „dokumentART“ im mecklenburgischen Neubrandenburg, er sehe Russland dem weißrussischen Weg folgend, wenn es in Moskau so weiter gehe. Ganz so schlimm sei es aber noch nicht – ein schwacher Trost.
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Max-Peter Heyne - 16. Oktober 2014 ID 8173
Weitere Infos siehe auch: http://doku-arts.de
Post an Max-Peter Heyne
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