UNSERE NEUE GESCHICHTE (Teil 40)
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Der Natur
eine Stimme
geben
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Bewertung:
Die wütenden Proteste GEGEN den Naturschutz waren lautstark. Die DemonstrantInnen konnten es nicht fassen, dass die Betreiber des Nationalparks Bayerischer Wald den Wald einfach sterben ließen, ohne einzugreifen. Nach einigen Orkanen waren viele Bäume umgekippt, die man einfach dort beließ. Schließlich fielen die Borkenkäfer über die angeschlagenen Nadelbäume her, und es entstand eine Wüstenlandschaft, aus der nur noch die abgestorbenen Baumstämme herausragten. Das war in den 1990er Jahren, und in seinen Kerngebieten überließ man den Wald tatsächlich sich selbst. (In einigen Außenregionen gab man dem Druck nach und bekämpfte den Borkenkäfer). Die deutsche Filmemacherin Lisa Eder zeigt in ihrer Dokumentation Der wilde Wald – Natur Natur sein lassen atemberaubende Wald- und Tieraufnahmen und illustriert, warum es so wichtig ist, der Natur dabei zuzuschauen, wie sie mit klimatischen und sonstigen Herausforderungen umgeht, um für unsere Hege der noch bestehenden Wälder daraus zu lernen.
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Diana Six ist eine renommierte Entomologin aus Montana, USA, also auf Insektenkunde spezialisiert, die sie zusammen mit der Forschungsabteilung des Nationalparks Bayerischer Wald betreibt. Sie sagt, dass es die Natur sei, die uns am Leben erhalte: „Wenn wir sie beschützen, beschützt sie uns auch... Die Nationalparks sind die letzten... Orte, an denen wir noch lernen können, wie die Natur die Dinge regelt. Es herrscht dort Schönheit und Verbundenheit.“
Die Philosophin Christina Pinsdorf beschäftigt sich mit Fragen zur Tierethik und Naturphilosophie und habilitiert aktuell zur Philosophie der Wildnis. Sie erklärt: „Der Mensch ist Teil der Natur. In dieser Wildnis kann man diese ursprüngliche Verbindung noch spüren... Wildnis kann dazu beitragen, unsere Stellung innerhalb der Natur neu zu verorten...Unsere Existenz wird nicht durch die Wildnis bedroht sondern durch unsere Zivilisation.“
Der Förster Peter Langhammer leitet einen privaten Waldbetrieb nach den Kriterien einer naturnahen Waldwirtschaft und weiß, dass ein achtsamer Umgang mit der Natur und wirtschaftlicher Erfolg miteinander vereinbar sind: „Doch es besteht außerhalb des Naturschutzgebietes eine gesetzliche Verpflichtung, den Borkenkäfer zu bekämpfen. Dafür werden viele Bäume abgeholzt, ohne dass es einen Nutzen hätte. Man muss der Natur vertrauen, dass sie damit zurecht kommt. Wir Menschen können das nicht steuern, weil unser Wissen über die Zusammenhänge sehr begrenzt ist.“ Langhammer setzt sich dafür ein, auch in Wirtschaftswäldern mehr Wildnis zuzulassen, weil natürlicher Wald ein wichtiger Wasserspeicher ist und resistenter als Plantagen, die einfach nur Ackerbau mit Bäumen sind.
Die Regisseurin hat 2017 die nach ihr benannte Lisa Eder Film GmbH gegründet, um unabhängig Filme produzieren zu können, allerdings sind einige Fernsehsender und etliche Filmförderfonds an dieser Produktion beteiligt. Eder führte bereits Dreharbeiten in Nationalparks in Namibia, Botswana, der Wüste Gobi sowie Samarkand durch, aber auch immer wieder in ihrer bayerischen Heimat: „Wälder faszinieren mich. Denn sie waren schon lange vor uns Menschen da. Bäume können ohne uns leben, aber wir nicht ohne sie. Sie binden klimaschädliches CO2 und wirken so der Erderwärmung entgegen. Von ihrem Schicksal hängt das unsere ab... Warum fällt es uns so schwer, Natur nicht zu gestalten oder gar auszubeuten, sondern staunend in die Rolle eines Beobachters zu schlüpfen? Und was können wir von ihr lernen, um in Zeiten des Klimawandels Wälder auch für künftige Generationen zu bewahren?“
Heute sind die einst verwüsteten Waldgebiete am Boden wieder grün. Die Naturverjüngung hat viel schneller stattgefunden, als man gedacht hatte, die Vielfalt hat zugenommen, und die neue Vegetation passt sich leichter an die neuen klimatischen Bedingungen an. Diana Six erklärt, dass wir dadurch lernen können, was die Natur in solchen Fällen tut. Fakt ist: Die Temperaturen sind höher, und der Regen ist weniger, was Stress auslöst, und weil dadurch der Borkenkäfer in Massen gedeihen kann, gefährdet er auch gesunde Bäume, insbesondere Fichten. Durch das Licht, das durch den Verfall der alten Bäume bis zum Boden vordringen konnte, begann dort neues Wachstum, zu dessen Gewinnern - die Fichte - selbst gehört. Es hat also in der Tat keine Vernichtung gegeben sondern eine Verjüngung. Durch die Motorsäge sterben mehr Bäume als durch alles andere zusammen, (180 Millionen Bäume wurden in Deutschland zwischen 2018 und 2020 zerstört).
Die Insektenfauna ist ein Schlüsselelement, die zum Erhalt der Artenvielfalt unabdingbar ist. Six dringt mit einem Team tief in den Wald vor, um bestimmte Insekten zu finden. Die Ambrosia-Käfer z. B. sind winzig, kaum sichtbar und leben auf Pilzen. Trotzdem sind sie elementar für den Kreislauf von Nährstoffen im Wald. Sie ist fasziniert von der Diversität und dem Zusammenspiel der einzelnen Arten der Kleinstlebewesen und überzeugt davon, dass man Wälder verwildern lassen muss, sonst würden wir noch mehr an den Beständen verlieren. Unter dem Mikroskop können wir den Ambrosia-Käfern bei der Körperpflege und beim Hausputz zusehen.
Lisa Eder hat den Krankenpfleger und Hobbyfotografen Bastian Kalous auf seinen regelmäßigen Streifzügen begleitet, der im Film stellvertretend für die ZuschauerInnen ausgedehnte Wanderungen durch das Naturschutzgebiet macht. Dort fühlt er Ruhe, Ausgeglichenheit und Verbundenheit. Er ist einer von 1,3 Millionen BesucherInnen im Jahr, der aber lieber für sich allein bleibt. Viele Gäste machen sich auch in den verschiedenen Besucherzentren, Gehegen und Informationsstellen klug.
Nur knapp 1 Prozent der Fläche in Deutschland ist heute noch frei von menschlichem Einfluss. Wir müssen aber lernen, Wildnis zuzulassen, und unsere Existenz hängt vom Überleben unserer Wälder ab. Es ist den visionären Gründervätern des 1970 gegründeten Nationalparks zu verdanken, dass es heute das größte Waldschutzgebiet in Mitteleuropa ist, das der Bayerische Wald zusammen mit Naturschutzgebiet Šumava in Tschechien bildet. Der Naturschützer Robert Weinzierl und der Zoologe und Tierfilmer Bernhard Grzimek entwarfen das damals völlig neue Konzept, gar keinen Eingriff mehr in die Natur vorzunehmen. Eder zeigt skeptische Fernsehberichte von 1970 und aus den 1990er Jahren, als die Proteste stattfanden. Wie weitsichtig und standhaft die beiden Herren und ihre NachfolgerInnen waren und sind, wissen wir heute.
Für die Bildgestaltung der Naturaufnahmen zeigen sich Heiko Knauer, Dietmar Nill und Robin Jähne verantwortlich, die Luchse, Wölfe, Spechte, Auerhähne, Raubvögel, Biber, sogar Elche, Insekten, allerlei Pflanzen und Bäume vor die Linse bekamen. Die Filmmusik stammt von dem erfahrenen Filmkomponisten Sebastian Fillenberg. Dem Team ist ein wichtiger Film gelungen, der klar macht, dass der Mensch nicht über der Natur steht, im Gegenteil von ihr abhängig ist. Wenn wir fortfahren, sie auszubeuten anstatt zu behüten, wird das den Menschen stärker schaden als der Natur, die sich ganz offensichtlich immer einen Weg zu bahnen weiß.
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Neben dem Luchs sind viele andere Tiere, Insekten und Pflanzen zurückgekehrt © mindjazz pictures 2021
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Helga Fitzner - 7. Oktober 2021 ID 13190
Weitere Infos siehe auch: https://mindjazz-pictures.de/filme/der-wilde-wald/
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