UNSERE NEUE GESCHICHTE (Teil 57)
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Mit vereinten
Kräften
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Bewertung:
Im Juni 2025 wird in Nizza die fünftägige UN-Ozean-Konferenz stattfinden. Der Zustand unserer Meere ist bedenklich, und so haben sich vor rund drei Jahren versierte Filmschaffende zusammengeschlossen, um eine Art Bestandsaufnahme zu produzieren: Toby Nowlan, Keith Scholey und Colin Butfield als Regisseure, der Unterwasserkameramann Doug Anderson und die Cutterin Philippa Edwards haben alle u.a. für die BBC gearbeitet, die seit Generationen als Kaderschmiede im Naturfilmbereich etabliert ist. Deren bekannteste Koryphäe ist der Naturwissenschaftler David Attenborough, dessen Programme legendär sind und mit denen er seit rund 70 Jahren sein Publikum in den Bann zieht. In Ozean mit David Attenborough fungiert er als Erzähler und hat mit seinen 98 Jahren noch nichts von seiner Begeisterungsfähigkeit und Klarheit eingebüßt. Die Dokumentation wurde unabhängig von der BBC produziert und kam gestern (am 8. Mai) in die Kinos, konkret dem Tag, an dem Attenborough seinen 99. Geburtstag feierte.
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Der Film beginnt mit der Beschreibung der Schönheit der Meere. Es gibt rund 40.000 „Gebirge“ unter Wasser, die nach und nach kartografiert werden. Die hohe See ist also keine strukturlose Wüste, sondern bildet komplexe Ökosysteme, die wir erst anfangen zu verstehen. So ist das einzellige Plankton die Grundlage des Meereslebens und bindet gleichzeitig mehr CO2 als die Regenwälder, und - es verbraucht nicht nur CO2, sondern produziert reichlich Sauerstoff. Doch diese Idylle ist gefährdet. Schleppnetzfischer streifen mit einer Kette oder einem Metallbalken über den Meeresboden und zerstören ihn, was der Film in bislang einzigartigen Unterwasseraufnahmen in seinen destruktiven Auswirkungen zeigt. Oft fischt man nur nach einer einzigen Fischsorte, sodass drei Viertel der Ausbeute wieder entsorgt werden. Dabei werden auch große Mengen CO2 freigesetzt und die Spuren der Verwüstung, die diese Schleppnetze hinterlassen, können sogar vom Weltall aus gesehen werden. Die Filmbilder zeigen besorgniserregend nah den verhängnisvollen Einsatz dieser Methode, der sonst im Verborgenen stattfindet.
Der ehemalige Muscheltaucher Donald Macneish hat von der Isle of Arran in Schottland aus beobachtet, wie die Schleppboote immer näher kamen und wieder und wieder den Meeresboden aufwühlten. „Das alles für ein paar Jakobsmuscheln“, bedauert er. Ein Beteiligter ließ ihn wissen, dass sie das Recht dazu haben und es völlig legal ist. Macneish erzählt:
„Sie stahlen dem Meer seine Zukunft und der Inselgemeinde hinterließ man die Trümmer. Eine völlige Ungläubigkeit machte sich breit. Wie kann das erlaubt sein? Heute kann man nicht mehr beschreiben, wie schön es früher war und man kann das Ausmaß des Verlustes auch nicht ermessen.“
Attenborough erklärt, dass die Grundschleppnetzfischerei nicht nur legal ist, sondern mit 20 Milliarden Dollar jährlich sogar staatlich gefördert wird. Die Schiffe sind schwimmende Fabriken und der Fang wird auf ihnen vor Ort verarbeitet.
Dasselbe wie in Schottland spielt sich auch in Liberia an der westafrikanischen Küste ab, wo die einheimischen Fischer sich und ihre Familien kaum noch ernähren können. Die Kamera hat die Größenverhältnisse zwischen den einheimischen Fischerbooten und dem Schleppnetzschiff in beeindruckender Weise festgehalten. Attenborough erzählt, dass drei Milliarden Menschen für ihr Überleben auf das Meer angewiesen sind. Er nennt es „modernen Kolonialismus auf dem Meer“, denn heute durchkreuzen 400.000 Industrieschiffe jeden Winkel der Weltmeere. - Antarktischer Krill ist für Wale, Fische und Pinguine die Nahrungsgrundlage im gesamten südlichen Ozean. Weil die Fischbestände weltweit zurückgehen, wird jetzt nach Krill in der Antarktis gefischt. Die Bilder sind in ihrem Kontrast herrlich und erschreckend zugleich.
Wir saugen dem Meer das Leben aus, und unsere Zeit läuft ab, stellt Attenborough fest und er wäre verzweifelt, wenn er nicht wüsste, dass das Meer in der Lage ist, sich schneller zu erholen, als wir das für möglich gehalten haben. Ein Beispiel dafür sind die Kanalinseln vor der kalifornischen Küste, wo man eine Fläche von 750 Quadratkilometern schützte. Dort breitete sich der Seeigel auf dem verwüsteten Boden massiv aus, wodurch die Raubfische, die sich von ihm ernähren, zurückkehrten. In nur fünf Jahren hatte sich das Ökosystem erholt und ein Unterwasserwald aus Seetang neu gebildet. Auch der Hummer kam zurück, und dessen Larven können Tausende von Seemeilen reisen. Das Schutzgebiet wird von Meereslebewesen geradezu überschwemmt, denn der Ozean hat das Potenzial, sich selbst zu retten, wenn man ihn sich selbst überlässt, erklärt Attenborough.
Das größte Schutzgebiet befindet sich in Papahanaumokuakea in Hawaii. Die fast ausgestorbenen Albatrosse können dort die Landzungen nutzen, die sie zum Brüten brauchen. Mittlerweile kommen rund 14 Millionen Seevögel verschiedener Spezies dorthin. Auch die Thunfischpopulation ist gewachsen und breitet sich sogar in ungeschützte Gebiete aus. Man ist dort nicht gegen die Fischerei an sich, aber sie muss nachhaltig und mit dem Naturschutz vereinbar sein. - Die Korallenriffe sind weltweit in Gefahr, weil sie der Erwärmung nicht standhalten können. Sie werden von Algen erstickt und sterben. In den Schutzgebieten stellen sich aber Fische ein, die die Algen fressen, wodurch neue Korallen wachsen können. Das Korallenriff der mikronesischen Insel Kiribati hat sich auf diese Weise erneuern können und gilt als das robusteste der Welt.
Bislang sind nur weniger als 3 Prozent der Meeresfläche geschützt. Wissenschaftlichen Forschungen zufolge müsste mindestens ein Drittel unter Schutz stehen, um den bevorstehenden Kollaps zu verhindern. Auf Papier haben die meisten Nationen dem schon zugestimmt, jetzt muss man schauen, wie das konkret umgesetzt werden kann. David Attenborough hat in seinem Leben schon einmal die Erfahrung gemacht, dass ein solches Umdenken möglich ist, als der Walfang verboten wurde. Indem wir die Meere retten, retten wir die Welt, meint er.
Mit geballter Handwerkskunst und Kompetenz hat die gestandene Filmcrew ein Werk geschaffen, das den Konferenzteilnehmern in Nizza als anschauliche Vorlage dienen könnte, mit bislang unbekannten Schreckensbildern von den Verwüstungen durch die Schleppnetze, aber in erster Linie mit unverwüstlichem Optimismus, dass die Rettung der Meere noch möglich ist. In anderthalb Stunden gewinnt man eine Übersicht über die derzeitige Lage mit spektakulärer filmischer Beweisführung und Hinweisen, was zu tun bzw. zu unterlassen wäre. Zudem wird der Film höchstwahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit auf die Konferenz lenken und damit den öffentlichen Druck erhöhen. Ein achtenswerter und inspirierter Liebesdienst für unseren Planeten.
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Seit 70 Jahren bringt David Attenborough den Menschen die Faszination der Natur näher | © Piece of Magic Entertainment
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Helga Fitzner – 9. Mai 2025 ID 15257
Weitere Infos siehe auch: https://intl.oceanfilm.net/
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