Wer ist hier
die Bestie?
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Bewertung:
Wenn je ein Straßenhund einen kometenhaften Aufstieg hingelegt hat, dann war es Laika: 1957 umrundete die Moskauer Hündin in der Raumfähre Sputnik 2 die Erde und war damit das erste irdische Lebewesen im Weltall. Doch Laika starb nur wenige Stunden nach dem Start, und beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühte schließlich ihre Raumkapsel. Die Geburt einer Legende: Seit diesem Zeitpunkt soll der Geist der Hündin angeblich durch Moskaus Straßen wandern.
Diesem bisher wenig beleuchteten Aspekt der weltbekannten Story widmet sich der mehrfach prämierte Dokumentarfilm Space Dogs (2019) von Elsa Kremer und Levin Peter, der am 24. September in den deutschen Kinos angelaufen ist. Das Konzept des Films klingt so banal wie ungewöhnlich: Einen Plot gibt es nicht, stattdessen begleiten wir zwei Moskauer Straßenhunde auf ihren Streifzügen durch die russische Hauptstadt. Immer auf Augenhöhe folgt die Kamera den Tieren durch Hochhaussiedlungen, vorbei an Nachtclubs und durchs Grüne.
Ein Gegengewicht zu den traumwandlerischen Szenen vor den Lichtern der nächtlichen Großstadt setzen die Regisseur*innen von Space Dogs mit bisher ungezeigtem Filmmaterial aus der Ära der sowjetischen Raumfahrt. Dialoge gibt es keine, nur hin und wieder erklingt die Stimme Aleksei Serebryakovs aus dem Off, der im Tonfall eines Märchenerzählers von den tierischen Kosmonauten erzählt, und von den Mythen, die um sie entstanden.
All das macht Space Dogs zu einem Film, der aus dem Rahmen fällt. Er ist es aber vor allem deshalb, weil er seine tierischen Protagonisten rollenuntypisch zeigt und mit unseren von Disney geprägten Sehgewohnheiten bricht. Wenn Yunus Roy Imers Kamera in berückenden Großaufnahmen die von Streitlust und Zärtlichkeit geprägte Beziehung der beiden Hunde einfängt, kann bisweilen das Gefühl entsteht, dass man einen Hund zum ersten Mal wirklich SIEHT. Nicht als Schoßtier, nicht einmal als Gefährten des Menschen – sondern als autonomes Subjekt mit eigenem Willen und eigenen Bedürfnissen.
Ähnlich wie Pawel Salzman in seinem Roman Die Welpen hinterfragen die Macher von Space Dogs auch fast beiläufig das Verhältnis von Mensch und Tier und unsere Idee von „Bestialität“. Ist die Bestie der Hund, der eine Katze tot beißt und – von der Kamera in einer peinvoll langen Einstellung festgehalten – auf dem Kadaver herumkaut? Oder der Mensch, der Tausende frei lebende Hunde in Käfige pfercht, um sie dann für wissenschaftliche Zwecke zu missbrauchen? Eine der letzten Filmszenen liefert eine klare Antwort auf diese Frage.
Space Dogs ist hart an der Realität, nichts für zarte Gemüter - und schon gar nicht das magische Kinoerlebnis, als das es von vielen Pressestimmen dargestellt wird. Und das ist genau richtig so, war doch das Leben Laikas und vieler ihrer Nachfolger*innen ein Hundeleben im wahrsten Sinne des Wortes. Dies schonungslos aufzuzeigen, darin liegt die ganze Tragik des Films. Aber auch seine Faszination, und sein Potenzial, uns Zuschauer*innen gehörig aufzurütteln.
Eine unbedingte Filmempfehlung für Hundeliebhaber*innen und Cineast*innen, die der Gedanke an eine Entzauberung des Mythos vom „besten Freund des Menschen“ nicht schreckt.
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Space Dogs | Copyright RAUMZEITFILM
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Jo Ojan - 19. Oktober 2020 ID 12537
Weitere Infos siehe auch: https://www.raumzeitfilm.com/spacedogs-kino
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