Bahnhofskinos
In der DDR hießen sie Zeitkinos
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Bewertung:
Der Dokumentarfilmer Oliver Schwehm hatte im vorigen Jahr einen interessanten Beitrag zur Geschichte der sog. Bahnhofskinos vorgestellt - Cinema Perverso wird (nachdem der Film vom Sender mehrmals ausgestrahlt wurde) unter Bestellnummer 101 in der ARTE EDITION als DVD vertrieben...
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Ich - ein Groupie (1970) mit Ingrid Steeger von Erwin C. Dietrich ist ein Klassiker des Bahnhofskinos. | (C) Elite Film 1970
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Das nostalgische DDR-Kind in mir erinnert sich:
Während der Studienzeit (noch vor der Wende) streunte ich als damaliger Endzwanziger oft um so ein Exemplar herum und tat es schließlich, fast schon regelmäßig, auch von drinnen inspizieren...
Das schon legendäre sog. "DEFA-Zeitkino" im Leipziger Hauptbahnhof galt weit und breit als Kult. Es wurde 1950 in einem Tunnelstück unter der Osthalle - zwischen den früheren Gleisen 22 und 23 - gebaut und zeigte in Endlosschleife von früh bis spät zeitgenössische Filme. 1992 wurde das Zeitkino wegen baulicher Mängel geschlossen.
Es hatte freilich auch - was so nicht in die nachträgliche "Kult-Nachlese" reingepasst hätte - diesen doch irgendwie verrufenen und schmuddeligen Beigeschmack. Man tat das Kino meistens oder immer, wenn es dunkel war, betreten. Und da suchte man sich halt dann einen Platz, also im Dunkeln... Und für einen in der damaligen Zeit so Ungeouteten und auch noch "Unbegriffenen" und "Ungeklärten" (was die homosexuelle Ausrichtung bertraf) zählte wohl dieser Kinosaal zu den womöglich aufregendsten nachkindlichen also vorgeouteten Entdeckungs- und Erwecksplätzen, die es jemals hätte geben können. Und entweder wurde man von unbekannten also dunklen Händen neben oder hinter sich im Hosenschlitzbereich bedrängt, oder man ging höchstselbst bei Anderen, bei Gleichgesinnten sozusagen, in die sexuelle Offensive; dort, in diesem schönen alten Kinosaal, wurde mir schließlich auch zum allerersten Male überhaupt einer geblasen - - welcher Film da zufälliger Weise grade vorne abgelaufen war; ich weiß es heute in der Tat nicht mehr.
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Im Osten hießen sie halt "Zeitkino" - im Westen, also in der alten Bundesrepublik, "Bali" (Abkürzung für die Bahnhoflichtspiele).
Zeitzeugen von damals - wie die Promi's Ben Becker, Mechthild Großmann oder Wolfgang Niedecken - berichten in kurzen Interviewaussagen von ihren Erinnerungen und Eindrücken, die sie mit den "Bali" in Verbindung brachten...
Der Filmhändler Kai Nowak und der Regisseur Jörg Buttkereit bringen ein bisschen Licht hinter das (Schmuddel-) Dunkel dieser Kinos: Sie decken bahnhofs- als wie filmwirtschaftliche Zusammenhänge und Sachverhalte auf; und man erfährt, dass beispielsweise US-amerikanische Streifen, die nie und nimmer einen Verleiher für die großen (und normalen) Kinos gefunden hätten, ausgerechnet in den "Bali" eine letzte Trostheimatstätte fanden...
Gertrud Sonnenburg, eine der wenigen noch "übrigen" Kartenverkäuferinnen aus alten Tagen, sieht man in schönen Nahaufnahmen - und sie nennt einige der anstößigen Titel von zig Filmen, die die "Bali" damals ausstrahlten: Blutiger Freitag oder Heiße Katzen in der grünen Hölle oder oder oder...
Insgesamt hätte es 30 "Bali" in der alten Bundesrepublik gegeben - bis heute wären 3 davon noch existent; doch spielen tut wohl keines mehr.
Das mit den "Zeitkinos" im Osten Deutschlands - als nicht ganz unwesentlichem Vorwende-Vergleich zwischen hüben und drüben - kam allerdings dann leider mit keinem Satz (nicht einem einzigen) in Cinema Perverso vor.
Insgesamt jedoch: ein aufschlussreicher und v.a. auch ein sehr vergnüglich anzuschauender Dokumentarfilm!
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Die Bahnhofslichtspiele führten erstmals den Nonstop-Betrieb ein. | (C) Schill/Lunabeach
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Das Berliner Programmkino Babylon widmete sich gestern - anlässlich der bevorstehenden Wiederausstrahlung im rbb-Fernsehen (und zwar am 28. April 2016, 22:45 Uhr) - "einen ganzen Abend lang in einem Doku-Triple diesen legendären Leinwandhäusern mit Gleisanschluss"; zu sehen gab es da - außer Cinema Perverso - überdies noch Zuständig: Bahnhofswache Zoo (SFB 1976) sowie The Last Pornoshow von Stephan Holl (2016), einen fünfminütigen "Abgesang auf eines der letzten Bahnhofskinos der Bundesrepublik, dem AKI im Frankfurter Hauptbahnhof, welches Mitte der 90er seine Pforten schloss".
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Andre Sokolowski - 6. April 2016 ID 9239
Weitere Infos siehe auch: http://www.babylonberlin.de/cinemaperverso.htm
http://www.andre-sokolowski.de
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