Unsere
Neue
Geschichte
Teil 6
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Bewertung:
Von „Blutdiamanten“ haben viele schon gehört, dass aber auch der Abbau von Gold eine große Umweltzerstörung und Todesopfer fordert, ist nicht ganz so weitläufig bekannt. Wegen unserer ungedeckten Fiat-Währung werden Goldanlagen immer beliebter, doch die haben einen höheren Preis, als es vordergründig den Anschein hat. Um nur einen Goldring herzustellen, können bis zu 20 Tonnen Erdreich vergiftet werden.
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Die Bewohner des kirgisischen Dorfes Barskoon sind die Leidtragenden des Goldabbaus in der nahegelegenen Kumtor-Mine. Die deutsche Filmemacherin Mirjam Leuze hat sich in ihren Dokumentarfilmen schon häufiger mit dem trügerischen Glanz des Goldes auseinandergesetzt. In Flowers of Freedom begleitet sie eine Gruppe von Frauen, die lieber Mädchen genannt werden wollen und sich gegen die übermächtigen kanadischen Minenbesitzer und diktatorische Politiker zur Wehr setzen. Es war anfangs nur eine kleine Gruppe von Mädchen, die die auffälligen Todes- und Krankheitsfälle nicht hinnehmen wollten, nachdem 1998 ein mit dem hochgiftigen Zyanid beladener Laster in den Fluss stürzte. Im Jahr 2003 gründeten sie die Umweltgruppe KAREK. Sie demonstrierten, blockierten, reichten Petitionen ein und wurden bedroht und angegriffen. Doch sie ließen sich nicht einschüchtern. „Wenn wir nichts tun, wer dann?“ fragt Tamara Djusheeva, die heutige Leiterin von KAREK. Sie hat das Amt von der Anführerin Erkingül Imankodjoeva übernommen, die inzwischen als demokratisch gewählte Abgeordnete im kirgisischen Parlament sitzt. Aber das war ein langer Weg, den Mirjam Leuze seit 1998 begleitet hat, zunächst als Ethnologin, die letzten vier Jahre als Filmemacherin mit der Kamera. Da Leuze kirgisisch spricht und ohne Team und Übersetzer unterwegs war, entstanden sehr intime Frauenportraits.
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Die „Mädchen“ lieben ihre Heimat und Traditionen und setzen sich für die Umwelt ein. Die dritte von links ist die heutige Abgeordnete Erkingül | © Toposfilm
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Kirgistan liegt in Zentralasien und ist eine ehemalige Sowjetrepublik. Das Volk wehrte sich 2005 in der Tulpenrevolution gegen die diktatorische Regierung, und 2010 kam es gar zum Umsturz, und Präsident Bakijew musste sein Amt verlassen. Seitdem ist Kirgistan die erste parlamentarische Demokratie in Zentralasien. Die innere Einstellung der Mädchen lässt sich vielleicht nicht auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen, doch zumindest ist sie im allgemeinen Sinne beispielgebend. Die Kirgisen haben einen gewissen Grad an Selbstbestimmung errungen.
Von dem ausschlaggebenden Unfall 1998 sehen wir leider gar nichts. Keine Fotos, keine Dokumente, die mutmaßlich auch noch unter Verschluss sind. Es gibt nicht mal Passfotos der Verstorbenen oder ein Besuch der Gräber der Opfer. Da es auch vom Goldabbau und der Arbeit in der Mine keine Aufnahmen gibt, bleibt das alles nebulös im Hintergrund. Das zeigt aber auch, mit was für nebulösen Kräften man es da zu tun hat, da solche Aufnahmen mutmaßlich schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen wären. Die kanadischen Minenbesitzer lassen dem Staat Kirgistan gerade mal 13 % der Einnahmen zukommen (an anderen Orten sind es bis 40 %), und natürlich lassen sie sich nicht in die Karten sehen. Bei den geschädigten Bewohnern kommt dieses Geld nicht an, gerade mal schwer erkämpfte Entschädigungen in geringer Höhe. Die Mädchen von KAREK setzen sich auf vielfältige Art ein. Vor allem bei Wahlen sind sie entweder als Wahlhelfer oder Wahlbeobachter zugegen.
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Die „Mädchen“ lassen die Wahlen nicht unbeobachtet vonstatten gehen | © Toposfilm
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Worin der Film aber punktet, ist der ethnologische und würdevolle Blick auf die Protagonistinnen. Kirgistan ist eine fremde und faszinierende Welt. Pferde laufen dort schon mal frei herum und scheinen sich an den vielen schweren Lastwagen, die sich ihren Weg durch die staubige und karge Landschaft zur Goldmine bahnen, nicht sonderlich zu stören. Die kirgisischen Männer kommen nur am Rande vor, aber so fremdartig sie auch ausschauen mögen, unterscheiden sie sich von europäischen Exemplaren ihrer Gattung nur wenig. In Kirgistan gibt es eine Art religiöse Heirat, die mit dem rituellen Raub der Braut beginnt. Im gegenseitigen Einverständnis ist das nicht immer, aber das nehmen die Frauen mit äußerer Gelassenheit hin. Wenn es aber ums standesamtliche Heiraten geht, sind die Herren sehr zurückhaltend, denn das könnte unter Umständen zur Zahlungsverpflichtung von Alimenten führen. Die Probleme alleinerziehender Mütter sind überall auf der Welt ähnlich. Asel Orunbaeva ging aus diesem Grund sogar als Gastarbeiterin nach Russland, kam aber krank wieder zurück. KAREK ist nicht nur eine Umweltgruppe, sondern eine Gemeinschaft unabhängiger Frauen, die sich gegenseitig ein Stück Heimat geben. Sie schaffen den Spagat zwischen den Anforderungen des modernen Lebens und der Pflege ihrer Kultur. In einem ihrer Lieder heißt es: „Nimm dein Glück in die Hand“, und genau das tun sie.
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Erkingül hat es Abgeordnete zu einem politischen Amt und zu Selbstbewusstsein gebracht | © Toposfilm
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Im Verlauf der vier Jahre, die Leuze dokumentiert, machen die Mädchen einen deutlichen Wandel durch. Man sieht an ihrem Verhalten, ihrer Kleidung und auch ihren Gesichtszügen das gewachsene Selbstbewusstsein. Die Übernahme von Verantwortung hat sie stark gemacht. Erkingül gehört als Abgeordnete zu einer parlamentarischen Delegation, die die Goldmine überprüft. Sie ist diejenige, die aufmuckt, als man ihnen eine Art touristische Führung durch die Mine anbietet und besteht auf eigene Kontrollen und entnimmt Wasserproben. Es geht Erkingül und ihren Mitstreiterinnen aber um mehr als angemessene Entschädigungen und Beteiligungen. „Sie zerstören die Erde, was bringt uns da das Geld.“
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In unserer zweiten „Widerstandstrilogie“, die eher eine Selbstbestimmungstrilogie ist, sind wir wieder auf außergewöhnliche Menschen gestoßen. Wie die meisten von uns sehen sie, dass unsere Wirtschaft und unser Planet am Rande des Zusammenbruchs stehen. Wenn wir so weiter machten, hätten schon die nächste und übernächste Generation keinen bewohnbaren Lebensraum mehr oder zumindest keinen mehr, auf dem man in Gesundheit und Harmonie leben könnte. Im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit von uns setzen sie sich aber mit ihren jeweiligen Fähigkeiten für eine Verbesserung der Lage ein.
Pepe Mujica ist nach fast 14 Jahren Isolationshaft nicht gestört oder rachsüchtig geworden. Als Präsident hat er sich für die Verbesserung der Lebenssituation in Uruguay eingesetzt und stellte sich mit der kontrollierten Freigabe von Marihuana sogar den Drogenbossen entgegen – unter Beachtung der Gesetze und realistischer Möglichkeiten.
Der biodynamische Landwirt Niels Stokholm missachtet EU-Richtlinien, die in ihren Auswirkungen umweltschädlich sind. Er beweist mit seinem Hof, dass Landwirtschaft im Einklang mit der Natur, ja sogar mit dem Universum möglich ist. Ein Wissen, dass nach rund 100 Jahren des Einsatzes von Chemikalien zunehmend verloren gegangen ist.
Und Erkingül aus Kirgistan ist aus einer anfänglichen Protestbewegung heraus in die Politik gegangen und tut das ihre, um ihr Land zu schützen. Allen dreien ist gemeinsam, dass sie trotzdem oder gerade deshalb in Frieden mit sich und ihrer Umgebung leben. Sie gehen achtsam mit sich, mit anderen und der Umwelt um.
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Helga Fitzner - 5. März 2015 (3) ID 8478
Weitere Infos siehe auch: http://www.flowers-of-freedom.com
Post an Helga Fitzner
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Teil 2 - Der soziale Widerstand
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