Man nehme
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Konzerne als Retter? | (C) Thurn Film/Arte
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Bewertung:
So mancher Steuerzahler mag sich damit trösten, dass wenigstens ein Teil seines Geldes für gute Zwecke verwendet wird, z. B. für Hilfsprojekte in Afrika. Nach der DokumentationKonzerne als Retter? Das Geschäft mit der Entwicklungshilfe dürfte er jedoch sehr nachdenklich werden.
Die Filmemacher Caroline Nokel und Valentin Thurn haben einige der Hauptakteure, darunter die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Deutsche Entwicklungshilfe, die Deutsche Bank und Bayer Crop Science, interviewt und sich Projekte in Kenia, Tansania und Sambia angesehen. Seit die Entwicklungshilfe zunehmend „privatisiert“ und an Konzerne übergeben wurde, öffneten sich die Tore für Profiteure, die unter dem Deckmantel der Hilfeleistung enormen Schaden anrichten. Der Film macht das Ausmaß der Übervorteilung insbesondere afrikanischer Kleinbauern sichtbar und schaut sich die teilweise völlig absurden Maßnahmen genauer an.
Die Grundabsicht mag eine hehre sein, wenn die Vereinten Nationen Armut und Hunger bis 2030 abschaffen wollen. Da öffentliche Gelder knapp gesät sind, holte man die Wirtschaft mit ins Boot und hoffte darauf, dass deren unternehmerische Fähigkeiten, Einnahmen zu Gunsten der Entwicklungsländer und des eigenen Konzerns generieren würden. Nur damit haben sie den Bock zum Gärtner gemacht.
Der Film stellt sieben Projekte vor, von denen sechs sehr bedenklich sind. Es werden Kartoffeln, Baumwolle, Soja, Palmen für Palmöl und Kaffee angebaut, die überwiegend für den Export bestimmt sind. Nichts davon deckt den Nahrungsbedarf der hungernden Bevölkerung; die Zahlungen erfolgen ausschließlich an die Konzerne, und die erzielten Gewinne kommen nicht bei den Einheimischen an. Die Kleinbauern werden zum Teil von ihrem Land vertrieben, weil das seit Generationen von ihnen bebaute Land in keinem Kataster eingetragen ist. Die versprochenen Schulen und Krankenstationen sind nie gebaut worden. Die ökologisch und umweltschonend ausgerichtete Landwirtschaft der Kleinbauern wich großen Monokulturen, die mit Kunstdünger und Pestiziden aufrecht erhalten werden muss. Um Palmöl in Sambia zu gewinnen, wurde ein Sumpfgebiet entwässert und damit Unmengen von Kohlendioxid freigesetzt. Andernorts wurde in die Natur eingegriffen, indem man einen Staudamm baute. Für den Anbau von Soja wurden große Flächen Wald gerodet. Um Kaffee anzubauen, benötigt man große Mengen Wasser, das in Afrika knapp ist. Dafür flossen etliche Millionenbeträge an Fördergeldern.
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Die Bauern beraten, wie sie gemeinsam über die Runden kommen | (C) Thurn Film/Arte
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Einzig der Konzern Dr. Oetker macht sich mit Landwirtschaft erst gar nicht müde. Er hat seinen berühmten Werbeslogan „Man nehme“ verinnerlicht. Für zwei Millionen Euro Fördergelder hat er Kühlanlagen in Nairobi gebaut, wohin er seine Tiefkühlpizzen liefert. Tonnenweise von Bielefeld nach Nairobi und ein enormer Energieverbrauch. Dort kostet eine Pizza 7,80 Euro, das sind rund vier Tagelöhne eines Bauern. Die Pizza kann sich nur die Oberschicht leisten, und die Investoren drängen auf Expansion.
Durch die riesigen Plantagen wurden auch funktionierende Dorfstrukturen zerstört, und Menschen, die sich vorher selbst ernähren konnten, haben nun nicht mehr genug fruchtbares Land, um davon leben zu können. Sie sind oft gezwungen, für einen Hungerlohn auf den Plantagen zu arbeiten, die ihnen das Land genommen haben. Die Kleinbauern, die für die Konzerne anbauen, sind fast noch schlechter dran. Sie müssen für Saatgut, Kunstdünger, Pestizide und landwirtschaftliches Gerät so viel zahlen, dass sie immer wieder Kredite aufnehmen müssen und damit in völliger Abhängigkeit von den Konzernen leben. Die Wahl liegt also zwischen Hungern oder Schuldensklaventum.
Die Filmemacher stellen auch ein nachhaltiges Projekt auf Sansibar vor. Dort wird für den Eigenbedarf angebaut, und zusätzlich werden Gewürze für den Export produziert. Biogewürze wie Zimt, Pfeffer, Koriander und Muskat sind gefragt, und die Bauern werden geschult, um selbstständig nach den Kriterien der Biozertifizierung zu arbeiten. Das bringt gutes Einkommen, und sie können ihre Kinder zur Schule schicken, die auf Sansibar so teuer ist, dass die Analphabetenrate bei 30 Prozent liegt.
Es sind die Kleinbauern, die weltweit drei Viertel der Menschheit ernähren, und es sind landlose oder Kleinbauern, die zwei Drittel der Hungernden dieser Welt ausmachen. Das ist ein Zustand, der unhaltbar ist.
Wir haben bei Valentin Thurn (10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?) extra noch mal nachgehakt, ob er und Caroline Nokel besonders hanebüchene Beispiele herausgepickt hätten, oder ob man das tatsächlich verallgemeinern kann. Die Frage war natürlich überflüssig, und Thurn antwortete: „Wir haben viele weitere Beispiele recherchiert, auch in Westafrika, immer dasselbe: Bevorzugung großer Strukturen, Vernachlässigung wirklicher Kleinbauern-Lösungen, Tiefkühlkost ist besonders absurd, aber viel schlimmer finde ich es, wenn die Entwicklungshilfe mitverantwortlich ist für die Vertreibung von Kleinbauern. Positive Beispiele sind leider wenige und eher kleine vorhanden. Sansibar ist so eines.“
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Helga Fitzner - 5. Mai 2017 ID 10010
Erstsendung auf ARTE:
9. Mai 2017, 20:15
Weitere Infos siehe auch: http://www.arte.tv/de/videos/059525-000-A/konzerne-als-retter
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