Unsere Neue Geschichte (Teil 39)
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Die Erfahrung
der Selbst-
wirksamkeit
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Bewertung:
Die Kinder hatten sich Katzenflöhe eingefangen und durften drei Wochen lang nicht in die Schule gehen. Line Fuks bemerkte schnell die positiven Veränderungen, als ihre Sprösslinge dann schlafen gehen konnten, wenn sie müde wurden, und aufstehen, wenn sie munter waren. Das Frühstück konnte ohne Hast eingenommen werden und das Lernpensum dann bewältigt, wenn die Kinder aufnahmebereit dafür waren. Für Line Fuks und ihren Nachwuchs war klar, dass es keinen Weg mehr zurück in die Schule gab. Das ist über drei Jahre her.
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So lange hat der Dokumentarfilmer Valentin Thurn (10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?, 2015) fünf sehr unterschiedliche ProtagonistInnen begleitet, die alle ihren Träumen nachgehen. Sie fühlen sich seitdem wohler und leisten auch noch einen Beitrag für die Allgemeinheit. Träum weiter! Sehnsucht nach Veränderung illustriert ihren Ausstieg aus dem Hamsterrad, die Höhen und Tiefen bei der Umsetzung ihrer Visionen sowie den Zuwachs an Gemeinschaft und innerer Zufriedenheit durch das Erleben, einen Wandel selbst bewirken zu können. Sie alle waren irgendwann in einer Phase ihres Lebens angekommen, in der sie auf sich selbst zurückgeworfen wurden.
Van Bo Le-Mentzel ist von Beruf Innenarchitekt. Den hat er an den Nagel gehängt, als sein erstes Kind geboren wurde. Er wusste nicht, was er seinem Sohn sagen sollte. Dass der Papa für die Innenausstattung z.B. von Shopping-Malls zuständig ist? Seine Herkunftsfamilie stammt aus Laos, von wo sie wegen des kommunistischen Regimes geflohen war. Er fühlte sich als Kind immer als Gast in Deutschland und wollte etwas zurückgeben. Er hatte den Punkt erreicht, von dem an er nicht mehr nur für sich selbst leben konnte und Dinge tun wollte, die für die Gemeinschaft gut sind. „Wenn jemand was kann, trägt er auch Verantwortung“, sagt er. Sein großer Traum ist mietfreies Wohnen, „bedingungsloses Grundwohnen“, nennt er es. Natürlich müssen Strom, Wasser etc. bezahlt werden. Das wäre ein Weg aus der zunehmenden Armut, bei dem aber noch keine flächendeckende Umsetzung in Sicht ist. Als konkreten Weg in diese Richtung baut er Tiny Houses, kleine Häuser. Tiny Houses sind manchmal nur so groß wie der Parkplatz für ein Auto. Sie sind eine echte Alternative zu parkenden Autos und schaffen einen Raum, an dem Gemeinschaft entstehen kann. Im Berliner Studentendorf will er ein Co-Being-Haus bauen, das ein Modell werden soll gegen die Wohnungsnot und Vereinsamung. Le-Mentzel ist überzeugt davon, dass wir weiterkommen, wenn wir weniger auf die Individualbedürfnisse achten, und uns auf das konzentrieren, was wir gemeinsam haben.
Günther Golob hat es von über 200.000 BewerberInnen in die Top 100 geschafft. Eine private Investoren-Gruppe will 2026 mit einem One-Way-Flug zum Mars denselben besiedeln. Golob ist auch nach über fünf Jahren seit seiner Bewerbung Feuer und Flamme. Er hat seine Kulturagentur bereits aufgegeben und ist bereit, seine drei Kinder, von denen die Jüngste derzeit 10 Jahre alt ist, zurückzulassen. Er fühlt sich als Pionier und glaubt, dadurch das Überleben der Spezies zu sichern. „Wir werden uns Gedanken über eine ganz neue Gesellschaft machen“, freut er sich schon. Thurn und sein Filmteam begleiten Golob in die Atacama-Wüste in Chile. Dort herrschen dem Mars ähnliche Bedingungen, und dort absolviert er einen Trainingslauf vor dem majestätischen Hintergrund der Anden. In der Atacama-Wüste befindet sich auch das beeindruckende Paranal-Observatorium, eine riesige astronomische Beobachtungsstation weit entfernt von den großen Verkehrsrouten. Ein vollkommener Ort, um vom Mars zu träumen.
Line & Katja Fuks dagegen leben eng und erdverbunden mit ihren Kindern in Portugal. Sie mussten wegen der Schulpflicht Deutschland verlassen und leben nun als „Wildnisfamilie“ zurückgezogen auf einem entlegenen Bauernhof. Für Line Fuks hatte sich der Ausstieg schon länger abgezeichnet. Sie hatte geheiratet und Kinder bekommen, weil man das so macht. Während einer der Schwangerschaften erhielt sie im Alter von 26 Jahren die Diagnose Brustkrebs. Als sie sich in ihre neue Nachbarin Katja verliebte, wuchs der Entschluss, ein Leben nach den persönlichen Neigungen zu führen. Das schloss die insgesamt sieben Kinder der Frauen ein, die verhindern wollten, dass ihre Sprösslinge die gleiche „negative Sozialisierung“ wie ihre Mütter durchlaufen müssen, die auf Mobbing und den Einsatz der Ellbogen basierte. Wenn die Kinder bis zu ihrem sechsten Lebensjahr gelernt haben, wozu brauchen sie ab dann eine Lehrperson, fragten sie sich. Ihr Nachwuchs braucht nicht motiviert zu werden, sie bestimmen selbst und lernen das, was sie interessiert und was für sie dran ist. Die Mütter achten allerdings darauf, dass sie sehr gut lesen, schreiben und reden können. Ja, und rechnen auch. Die Familie versorgt sich mehr oder weniger selbst. Sie haben auch schon Hunger und Kälte erlebt, aber sie zimmern selbst, sie können mit Solarpaneels umgehen, der den wichtigen Strom insbesondere fürs Internet liefert. Über dieses lernen vor allem die beiden ältesten Mädchen viel. Sie tanzen Choreografien nach, lernen Gebärdensprache und alles, was sie sonst interessiert. Eine von ihnen will Fremdsprachenkorrespondentin werden, sie lernt auch eigenständig Hindi, weil sie von der indischen Kultur besonders fasziniert ist.
Der Designer Joy Lohmann baut Inseln aus Plastik und anderem Müll. Sein Weg führt ihn nach Indien in eine der heiligsten Städte, Varanasi, direkt am Ganges. Dort besucht er ein Straßenkinderschulprojekt und baut mit ihnen einen Kiosk für den Gebrauch an Land. Dieser soll über das Inselprojekt informieren. Die immer wieder von Flutkatastrophen betroffenen Menschen dort können so aus Plastikflaschen, Kanistern und anderen Materialien schwimmende Inseln bauen, mit denen sie sich selbst und teilweise ihr Hab und Gut retten können, aus eigener Kraft und überwiegend vorhandenen Baustoffen. Die Nachfrage nach schwimmenden Inseln steige auch mit dem steigenden Meeresspiegel, meint er. Es ist auch der Bau schwimmender Tomatenäcker oder Fischfarmen möglich. Lohmanns wichtigstes Anliegen ist es, eine Gemeinschaft aufzubauen, die sich am Nutzen orientiert und nicht am Profit: „Wenn man da in Resonanz arbeitet, dann kommt man in den Flow... man fühlt sich, wie vom Ziel gezogen.“ Er setzt auf die Symbolkraft der Inseln von „makers for humanity“, wie die der sozialen Skulpturen von Joseph Beuys. In Lohmanns Fall sind sie ein Symbol für den Klimawandel.
Auch das Projekt von Carl-Heinrich von Gablenz kann bei Katastrophen dienlich sein. Er hatte sich mit seiner Familie ein Jahr Auszeit genommen und lebte mir ihr in den USA, wo er die Idee entwickelte, die Leichter-als-Luft-Technologie, also den Zeppelin, so zu bauen, dass man mit ihm Lasten transportieren kann und zwar schwerere als mit einem Flugzeug. Danach hatte er rund 70.000 Aktionäre und Aktionärinnen und machte im Zuge der Finanzkrise mit der millionenschweren Cargolifter AG Pleite. Es ist nicht nur so, dass ein solcher Zeppelin umweltfreundlich wäre, er könnte auch in unwegsame Gegenden gesteuert werden, die sonst nicht erreichbar wären, z.B. bei Überschwemmungen oder nach Erdbeben. Heute sagt von Gablenz, dass der Bankrott gut war. Etliche seiner Aktionäre sind ihm treu geblieben, denn er hat das Projekt modifiziert. Nun arbeiten er und sein Team an einem Ballonkran für Reparaturarbeiten, wo z.B. Trümmer von oben hochgehoben werden können. Wenn die Wege blockiert sind, macht man die Propeller an und fliegt hin. Daraus ist der „motorisierte Ballon“ entstanden, von dem er sagt, dass er damit nützlicher und breiter aufgestellt ist als vorher.
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Valentin Thurn hat einen einfühlsamen Film über Visionäre und Visionärinnen gedreht, deren Handeln nicht nur auf ihre eigene Zukunftsfähigkeit ausgerichtet ist. Die Locations sind beeindruckend, insbesondere die in Indien und Chile. Die Musik von Pluramon verleiht den Bildern von Kameramann Gerardo Milsztein ein besonderes Flair. Zum Entschleunigen zeigt Thurn zwischendurch Sandperformances von Katrin Weißensee, und aus dem Off zitiert Dagmar Manzel Gedichte. Alles, was man zum Träumen braucht.
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Van Bo Le-Mentzel stellt sein Tiny House vor. Zu sehen ist die Dusche und auch sonst ist für alles gesorgt, in sehr klein eben | © Alamode Film
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Valentin Thurn stand uns auch zu einem Interview zur Verfügung.
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Helga Fitzner - 7. September 2021 ID 13127
Der offizielle Kinostart ist am 30. September 2021. Der Film wird aber schon auf diversen Festivals vorgestellt, und es gibt vorab zwei große Premieren am 28. September 2021 um 19.30 Uhr im Cinenova Köln und am 29. September 2021 in Berlin im Filmtheater am Friedrichshain. Der Regisseur und das Filmteam werden anwesend sein.
Weitere Infos siehe auch: https://www.traeumweiter-doku.de/
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