Europäisches Judentum im Film
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Filmstart: 10. Januar 2013
Hannah Arendt (F, CDN, IL, L, D 2012)
Regie: Margarethe von Trotta
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[Zusätzlich zu unserer Besprechung inkl. Interviews (s. Max-Peter Heyne, Hannah und die Geister) soll hiermit der Stellenwert des Films im Rahmen unserer Reihe "Europäisches Judentum im Film" umrissen werden.]
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Die Philosophin Hannah Arendt hatte zum Kriegsverbrecherprozess gegen Adolf Eichmann, den sie in den 1960er Jahren in Jerusalem als Korrespondentin erlebte, einen rein geistigen Zugang. Eichmann war während des Zweiten Weltkrieges für die Logistik des Massenmordes an den Juden zuständig, die er akribisch plante und durchführen ließ - ohne die geringste emotionale Regung, dass er dabei Hunderttausende von Menschen in den Tod schickte. Hannah Arendt konnte in dem schmächtigen Mann aber kein Ungeheuer erkennen, vielmehr war sie über die Mittelmäßigkeit des Bürokraten erschrocken. Als sie in ihrer Berichterstattung über den Prozess von der „Banalität des Bösen“ schrieb, schockierte sie ihre Leser, darunter viele Überlebende des Holocaust, aber auch Nicht-Juden, die dadurch die Monströsität des Eichmannschen Handelns beeinträchtigt sahen.
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Hannah Arendt (Barbara Sukowa) als Berichterstatterin beim Eichmann-Prozess - Foto © Heimatfilm
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Als wir im Jahr 2004 unsere Reihe begannen, hatte es im Vorfeld in kurzen Abständen drei Kinofilme gegeben, die sich mit dem europäischen Judentum befassten und Ansätze zeigten, wie man als Jude, aber auch als Deutscher, die unfassbaren Ereignisse des Massenmordes an den europäischen Juden darstellen und möglicherweise das Grauen zumindest teilweise verarbeiten kann. In Gebürtig wird ein ehemaliger KZ-Aufseher enttarnt. Nur sehr zögerlich stellt sich der letzte überlebende Zeuge den Dämonen der Vergangenheit. Aber auch die nachgeborenen Juden und Deutschen – deshalb der Titel Gebürtig – fragen sich, was geschehen wäre, wenn sie nicht die Gnade der späteren Geburt gehabt hätten und setzen sich mit ihrer Sekundärtraumatisierung als „Opferkind“ und „Täterkind“ auseinander. Die Dichotomie von Opfer und Täter bzw. die Auflösung derselben wird in Birkenau und Rosenfeld gezeigt. Ein deutscher Fotograf, Nachfahre eines NS-Täters, geht auf Spurensuche in dem Bemühen um Wiedergutmachung. Eine ehemalige KZ-Gefangene kommt nach Auschwitz-Birkenau, um zu vergessen. Doch dann kommt die verdrängte Erinnerung wieder hoch, dass sie mit eigenen Händen Gräben ausgehoben hat und sich damit an der Todesmaschinerie beteiligt hat. In Supertex gehen nachgeborene Juden, die säkular erzogen wurden, mit ihrer Identität um, indem sich der eine zum orthodoxen Judentum bekennt und der andere in Israel eine neue Heimat findet.
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Zwei Nachgeborene auf Identitätssuche: Boy Breslauer (Elliot Levey) und Max Breslauer (Stephen Mangan) in Supertex - Foto © Solo Film
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Danach gab es nur vereinzelt Filme mit vergleichbaren Ansätzen - bis zum Sommer 2011. Seitdem scheint sich das Thema etabliert zu haben. Die verlorene Zeit handelt vom Erblühen einer Liebe im KZ und einer gelungenen Flucht. Erst Jahrzehnte später treffen sich die Liebenden wieder. Die Reise des Personalmanagers führt ihn von Israel nach Osteuropa, wohin er den Leichnam einer Angestellten seiner Firma überführt. Als er erfährt, dass ein Leben in Israel der Lebenstraum der jungen Frau war, kehrt er mit ihr zurück, damit sie im Heiligen Land bestattet werden kann. Kaddisch für einen Freund ist ein Versöhnungsmärchen zwischen einem russischen Juden, dessen einziger Sohn im Libanonkrieg gefallen ist und einem libanesischen Jungen, der Hilfe braucht. Oma und Bella sind Überlebende des Holocausts und holen sich kochend und schlemmend das Paradies ihrer untergegangenen Kindheit zurück.
Leider konnten nicht alle Filme dieser Art in der Reihe besprochen werden, aber die Unterschiedlichkeit der Themen und die offenbare Unverwüstlichkeit der menschlichen Seele und des jüdischen Humors kommen in diesen Geschichten schon zum Tragen. Die Autorin hat Filmbesprechungen, die einen kritischen Umgang mit der Rolle der Juden und der permanenten Krisensituation in Israel hatten, bislang bewusst gemieden.
Cinema Jenin und Das Schwein von Gaza spielen im palästinensischen Autonomiegebiet und darin beziehen nicht-jüdische Regisseure Stellung zur seit Jahrzehnten währenden Notlage der Palästinenser. Die Filme wurden besprochen, weil der Umgang der Regisseure ein konstruktiver ist. In Cinema Jenin wird in der palästinensischen Stadt Jenin ein altes Kino wieder aufgebaut, in Das Schwein von Gaza wird der israelisch-palästinensische Konflikt auf humorvolle Weise dargestellt.
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Israelisch-palästinensische Kontakte über Grenzen hinweg: Jafaar (Sasson Gabay) und Yelena (Myriam Tekaia) in Ein Schwein für Gaza - Foto © Alamode Film
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Mit Hannah Arendt kommt nun eine deutsche Jüdin zu Wort, die 1933 aus Deutschland emigrierte und sich mit den Auswüchsen des totalitären Herrschaftssystems der NSDAP auseinandersetzte. Ihr wissenschaftlich-philosophischer Ansatz hilft sicher dabei, die Ereignisse und ihre Zusammenhänge klar zu sehen. Eine wirkliche Verarbeitung der Geschehnisse wird aber schlussendlich eher auf seelischer Ebene möglich sein. Daher sind uns diese Filme wichtig, denn sie liefern immer wieder Anregungen und Erkenntnisse, um eines Tages vielleicht einen unbelasteten Umgang mit dieser Vergangenheit zu gewährleisten.
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Helga Fitzner - 15. Januar 2013 ID 6481
Weitere Infos siehe auch: http://www.kultura-extra.de/film/filme/filmkritik_hannaharendt.php
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