Das 24. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus beging zwei Jahrestage, zeigte Filme aus der Ukraine und feierte einen Totgesagten
Festivalbericht (Teil 3)
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Wenn zu Heimat- und Glücksgefühlen der Wunsch nach unbedingter menschlicher Freiheit kommt, ist man bei einem Filmfestival schnell bei politischen Themen und historischen Ereignissen. So auch beim 24. Festivals des osteuropäischen Films in Cottbus, denn nicht nur der Beginn des Ersten Weltkriegs jährte sich zum 100. Mal, in Polen beging man Anfang August den 70. Jahrestag des Warschauer Aufstands, und (für die Deutschen natürlich fast noch wichtiger) der Fall der Berliner Mauer ereignete sich vor ziemlich genau 25 Jahren, was gerade am diesjährigen Film-Festival-Wochenende auch allerorten gefeiert wurde.
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In der Sektion "Heimat / Domownja" zeigte das Festival einen Beitrag aus der vom RBB in Koproduktion mit Credo-Film und der Berliner Zeitung in Auftrag gegebenen Dokumentation Die Ostdeutschen - 25 Wege in ein neues Land. Ein Regiekollektiv unter Lutz Pehnert portraitiert in einem 5-teiligen Projekt ausgewählte Menschen, die ihre Wurzeln in der ehemaligen DDR haben, und befragt sie über ihre Lebenswege seit 1989. Zur Premiere kam in Cottbus ein 90minütiger Zusammenschnitt von sechs Portraits aus dem heutigen Bundesland Brandenburg.
In Die Kommunistin erzählt die 87-jährige ehemalige Lehrerin und Kunstwissenschaftlerin Ingrid Beyer aus ihrem ereignisreichen Leben. Sie räsoniert sehr reflektiert ihre ehemaligen Ideale wie Illusionen und was davon geblieben ist. Das Portrait zeigt eine wache, lebenslustige Frau, die sich immer noch sozial engagiert, einmischt und keineswegs resigniert hat.
Die alleinerziehende Bibliotheksangestellte Anne-Katrin Scharlach hat wegen der fehlenden Arbeit ihre Geburtsstadt Weißwasser verlassen und ist mit ihrem Sohn nach Minden gezogen. Doch auch nach über zehn Jahren fühlt sie sich immer noch heimatlos im Westen und sehnt sich nach ihrer alten Heimat. Nachdem ihr Sohn erwachsen ist und eigene Wege einschlägt, will sie nun zurückkehren. Und so wird sie wieder zur Bewerberin.
Und schließlich erinnert sich ein Journalist noch anekdotisch in einem sehr witzig animierten Film an die recht kuriose Beschaffung zweier Schlauchboote für die Musiker des italienischen Sängers Angelo Branduardi. Und nicht nur dessen beliebtes "Alla fiera dell'est" erklingt, die Portraits umspielt ein Best Of des ostdeutschen Liedguts von Renfts "Irgendwann werd` ich mal etwas ganz Großes tun" über Gerhard Gundermanns kämpferische Version von "Old Dixie Down" bis zu Hans-Eckardt Wenzels melancholischem "Herbstlied".
Ob die Ringer im Traditionsverein Luckenwalde im Sport ihre Werte wie Disziplin hochhalten, eine Gruppe von Rappern und engagierten Sozialarbeitern aus Eisenhüttenstadt in ihren Texten die schrumpfende Heimatstadt besingen und in ihrer Jugendarbeit neue Perspektiven aufzeigen oder der Cottbuser Airbrush-Künstler Ingo Kühn über wichtige Freundschaften sowie den Glauben an sich und sein Werk spricht - was sie alle antreibt, ist nicht einfach Ostalgie, sondern die Liebe zur Heimat und der Stolz auf das, was sie selbst geschaffen haben. Wichtig ist ihnen dabei vor allem auch Träume zu haben, wie etwa Kühns Wunsch, einmal ein Werk von sich im Museum zu sehen. Zur Dokumentation ist auch eine 3er DVD-Box des RBB und ein Buch im Ch. Links Verlag erschienen.
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Der Film Warschau 44 ist der polnische Beitrag im Wettbewerb für das Gedenken an den Aufstand der Polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) gegen die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Er dauerte 63 Tage, wurde von brutalen Wehrmachtsspezial- und SS-Einheiten blutig niedergeschlagen, was über 200.000 Warschauern vor allem aus der Zivilbevölkerung das Leben kostete. In der polnischen Hauptstadt blieb dabei kaum ein Stein auf dem anderen. Ein nationales Trauma der Polen bis heute. Der 33jährige Regisseur Jan Komasa, nicht von ungefähr auch der Tarantino Polens genannt, macht daraus eine Mischung aus Hollywood-Weltkriegs-Blockbuster und Liebesromanze mit jeder Menge Spezial- und Kameraeffekten, einschließlich Bildern, die wie aus einem Computergame generiert erscheinen. Die Emotionen kochen hoch, wenn die Panzer rollen, den Protagonisten jede Menge Kugel um die Ohren fliegen und es blutige Leichenteile regnet.
Der Film handelt dabei nicht nur von den tapferen Kämpfen der AK-Angehörigen und den deutschen Massakern an der Warschauer Zivilbevölkerung. Im Zentrum steht eine Gruppe befreundeter Jugendlicher, die sich, eben noch liebend und scherzend, nun idealistisch hoch motiviert angesichts der Unterdrückung und Demütigung der polnischen Bevölkerung in der besetzten Stadt den Aufständischen anschließen. Dass es beim Kämpfen auch gleich ans Sterben geht, erfahren sie im Folgenden nun am eigenen Leib. Der junge Stefan steht zwischen den beiden ganz unterschiedlichen Mädchen Kama und Alicja. In den Wirren des Aufstands verlieren sich die drei aus den Augen und suchen sich nun quer durch die historischen Schauplätze der umkämpften Stadtbezirke, wobei der Regisseur nach eigenen Angaben weniger Augenmerk auf die eigentliche Historie gelegt hat, und lieber eine Geschichte von Liebe und Kampf junger Menschen erzählen wollte.
Dabei kommt natürlich auch der Russe nicht besonders gut weg, der bekanntlich vor den Toren Warschaus das Ende des Schlachtens abwartete. „Der Aufstand war ein riesiges Netz. So etwas wie Facebook heute. Ein Netz von herausragend organisierten jungen Leuten, die bereit für alles waren“, wurde der nicht anwesende Regisseur zitiert. Nun ja, man hat von den revolutionären Auswirkungen des Internets gehört. Die politisch und historisch kurzsichtige Naivität der Filmemacher, die eine vermeintliche neue alte Gefahr für die Demokratie aus dem Osten ausgemacht zu haben scheinen, stimmt aber auch eher nachdenklich. In jedem zweiten Satz der jungen Schauspieler nach der Premiere folgte wie zur Rechtfertigung neben dem Wort Freiheit der Hinweis auf die Ukraine.
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Warschau 44 beim 24. FilmFestival Cottbus | (C) FilmFestival Cottbus
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Es war einmal in der Ukraine beim 24. FilmFestival Cottbus | (C) FilmFestival Cottbus
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Freier Fall beim 24. FilmFestival Cottbus | (C) FilmFestival Cottbus
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Und da sind wir dann auch schon beim großen Special des Festivals zum Filmland Ukraine. In 10 Dokumentar-, Kurz- und Langspielfilmen wurde das aktuelle Werk ukrainischer Filmschaffender in Zeiten des demokratischen und gesellschaftlichen Umbruchs vorgestellt. Am eindrucksvollsten war da sicher der zum großen Teil direkt auf dem Kiewer Maidan entstandene Spielfilm Es war einmal in der Ukraine, den Regisseur Igor Parfenov noch mit dokumentarischem Schwarz-Weiß-Material von den Schüssen auf die Demonstranten ergänzt hat. Erzählt werden die dramatischen Erlebnisse der von der Krim geflohenen jungen Nina. Sie wurde dort von Polizisten vergewaltigt, ihre Freundin sogar umgebracht. Ins Chaos der unterschiedlichen Gruppierungen auf dem Maidan mischen sich auch die beiden Polizisten und versuchen, Gewalt provozierend, die Situation für sich zu nutze zu machen. Parfenov zeigt dann in seinem Film auch ein inhomogenes Gemisch von jungen Idealisten, alten Afghanistanveteranen und Anarchisten mit verschrobenen Gewaltvorstellungen, die nur das gemeinsame Ziel, die korrupte Regierung zu beseitigen, eint, nicht aber die Wahl der Mittel. So mündet der Film mit viel pathetischer Musik und ukrainischer Nationaldichtung schließlich in einen fast unausweichlichen Showdown.
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Ein weiteres osteuropäisches Land mit einem vom Westen eher argwöhnisch beäugtem gesellschaftlichen Wandel ist Ungarn. Nach dem Versuch der Regierung Orban, Gesellschaft und Kulturinstitutionen weitestgehend politisch gleichzuschalten und sie für so gut wie tot zu erklären, feierte der ungarische Film in Cottbus fröhliche Urständ. Eröffnet wurde das Festival mit Underdog, dem neuen Spielfilm des Regisseurs Kornél Mundruczó, auch als Regisseur seines Proton-Theater-Ensembles bekannt. Der Film gewann bereits unter dem Titel White God den Hauptpreis der Sektion Un Certain Regard in Cannes. Der Hund eines jungen Mädchens, von ihrem Vater ausgesetzt, wird zum Anführer einer großen Hunderevolte, die durch die Straßen Budapests fegt. Eine Parabel auf die Angst der weißen Europäer vor einer Meute von Underdogs, die es auf ihren Wohlstand abgesehen haben. Eine Angst, die gerade in Ungarn furchtbare Blüten treibt.
Parabelhaft wirkt auch der ungarische Wettbewerbsbeitrag Freier Fall des in Cottbus bestens bekannten Regisseurs György Pálfi (u.a. für Hukkle 2002 mehrfach preisgekrönt). Eine alte Frau, vom Geiz und der Engstirnigkeit ihres Mannes erschöpft, springt vom Dach eines Budapester Mietshauses. Sie wird aber nicht erlöst und kämpft sich wegen des defekten Aufzugs wieder die sieben Geschosse bis zum Dach empor. Während ihres Aufstiegs sieht der Film in kleinen Episoden hinter die Flurtüren der Nachbarwohnungen, wo sich einiges an skurrilen und schrägen Dingen ereignet. Ein alter Yoga-Guru maßregelt die Höhenflüge eines Schülers, ein Geschäftsmann stellt seine Verlobte wie eine Trophäe zur Schau, und ein flotter Dreier mit Dame und zwei konkurrierenden Herren wird im Stile einer Sitcom dargestellt. Es gibt gefährlichen Safer Sex in einer fast keimfreier Wohnung, die Rückführung einer sich nicht wie gewünscht entwickelnden Leibesfrucht oder regressive Erziehungsmaßnahmen und einen Bullen zu sehen. Es entspinnt sich ein Reigen aus Albträumen und Obsessionen in allen Altersstufen, bis die alte Dame wieder zum Sprung ansetzt. Pálfi zeigt eine Gesellschaft im freien Fall. Das war der Jury zumindest einen Preis für Piroska Molnár als beste Darstellerin wert.
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Stefan Bock - 12 November 2014 ID 8242
Weitere Infos siehe auch: http://www.filmfestivalcottbus.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
Siehe auch: Festivalbericht (Teil 1)
Festivalbericht (Teil 2)
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