EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
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ADRIANA ALTARAS und REGINA SCHILLING
im Gespräch mit Helga Fitzner
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Drei "Kriegsenkelinnen" im
Gespräch über den Film
Titos Brille
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Frau Altaras, im Film sagen Sie, dass Sie sich den Dibbuks Ihrer Eltern stellen, damit Ihre Söhne das nicht tun müssen. Das klingt sehr danach, dass Ihnen beiden die transgenerationale Weitergabe von Traumatisierungen ein Begriff ist.
Adriana Altaras und Regina Schilling: Ja.
Wie ist es zur Idee gekommen, einen Film zu machen, in dem ein Vertreter der nachgeborenen Generation von Diktaturgeschädigten das Thema aufarbeiten will?
R.S.: Den Anfang hat ja das Buch gemacht, in dem Adriana ihre Familiengeschichte in tragikomischer Weise schildert. Dann kam mir die Idee, ob wir nicht nach dem Buch einen Film machen sollten. Der Film entfernt sich allerdings von dem Buch. Wir haben eine Reise nach Kroatien gemacht, die in der Vorlage nicht vorkommt, aber in beiden kommt der spezifische Ton von Adriana zum Tragen.
A.A.: Mit welchen Filmen hat eigentlich Ihre Reihe EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM angefangen?
Das war Birkenau und Rosenfeld, Supertex und Gebürtig. Das war 2004 und danach sind noch über 20 Filme dazu gekommen.
A.A.: Die Filme kenne ich nicht, aber die Bücher. Ich glaube, es ist der Versuch der zweiten Generation, mit den Geschehnissen irgendwie sinnvoll umzugehen, es los zu werden oder überhaupt etwas daraus zu machen.
Kann man es loswerden?
A.A.: Ich finde, das ist jetzt auch gar nicht mehr die Aufgabe.
Bei der Bar Mitzwa Ihres jüngsten Sohnes tanzen die Dibbuks Ihrer Eltern ja noch mit.
A.A.: Die Frage war gar nicht, ob man das los wird. Die Frage ist, wie geht man damit um. Das ist wie bei dem Witz von Moishe, der bettnässt. Der geht schließlich zur Therapie. Dann fragt ihn ein Freund auf der Straße, ob er immer noch bettnässt, und Moishe sagt "ja, aber es macht mir nichts mehr aus". Das ist es eigentlich. Die Dibbuks sind noch da, aber es macht mir nichts mehr aus. Kann man das verstehen? Bei Supertex ist das ähnlich. Wie gehe ich damit um. Wir haben ja das große Glück, dass wir Künstler sind.
Titos Brille unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den anderen besprochenen Filmen. Sie bzw. Ihr Vater als Partisanenheld gehören ja zu den „Siegern“.
A.A.: Ich höre da ein bisschen Eifersucht heraus?
(Scherzhaft.) Ja, aber wie. - Ich habe nach Ihrem Film leider nicht den Eindruck, dass es das für Sie irgendwie leichter gemacht hätte.
A.A.: Meine Mutter und meine Tante waren im Lager, mein Vater bei den Partisanen. Da sieht man den großen Unterschied. Eine winzige Veränderung in der Vita verändert die Traumata enorm. Mein Vater ist von Anfang an siegreich da raus gekommen, mit wenigen Demütigungen oder gar keinen, meine Mutter war dagegen sehr gedemütigt, obwohl sie später zu den Partisanen gegangen ist. Und meine Tante hat komplett die Schotten dicht gemacht. Zu den Partisanen hat Gina etwas zu sagen.
R.S.: Ich möchte erst dazu etwas ergänzen. Die Demütigung der Verfolgung, das Sich-verstecken-Müssen und Sich-nicht-zeigen-Dürfen hat der Vater genauso erlebt wie die Mutter. Der wollte das nur aus einem gewissen Stolz nicht zeigen und hat das umgedreht. Ich glaube, das wird auch im Film deutlich, dass beide zu Anfang in Deutschland gar nicht erzählt haben, dass sie Juden sind. Das kam erst später. Es ist schon klar, dass in den Eltern auch immer noch eine gewisse Scham gesteckt hat.
A.A.: Ich verstehe Ihre „Eifersucht“ in dem Sinne, dass es Kinder von Opfern und Kinder von Tätern gibt. Ich finde, es ist wurscht, ob man nun Kind von Opfern oder von Tätern ist. Einen Krieg muss jeder verkraften. Die Traumata, die Neurosen sind unterschiedlich, aber haben tun wir sie alle. Gina ja auch. Sonst würde sie einen solchen Film nicht machen.
Zum Thema der transgenerationalen Weitergabe von Traumatisierungen [Erläuterungen dazu in der Filmbesprechung] hat Sabine Bode das Buch Die vergessene Generation geschrieben und damit einen Begriff geprägt, der für die Menschen gilt, die zur Zeit des Zweiten Weltkrieges Kinder und Jugendliche waren. Sie tragen keine Kriegsschuld, sind aber zu einem hohen Prozentsatz traumatisiert. So gab es eine ganze Generation, die bis vor rund 15 Jahren einfach „vergessen“ wurde und unbewusst ihre Traumatisierungen an die Generation der „Kriegsenkel“ - das ist unsere Generation (geboren zwischen 1955 und 1975) – weitergegeben hat. Ist Ihr Film ein bewusster Umgang mit diesem Phänomen?
A.A.: Die Idee zum Film stammt von Gina. Ich habe mich dem aus Abenteuerlust und Neugierde angeschlossen.
R.S.: Jede Generation versucht ja auch, die Elterngeneration zu korrigieren. Da ist es vielleicht in deinem Fall ja so, dass die Eltern sehr wenig erzählt haben, nur die Heldengeschichten, nicht die Sachen, die dich interessiert hätten. Da versucht man in der nächsten Generation, das anders zu machen. Irgendwann kommen vielleicht dann deine Kinder und sagen: Das war vielleicht alles ein bisschen viel. Es gibt immer wieder Korrekturen in den Generationen.
A.A.: Und auch die Löcher. Man merkt ja, dass da was fehlt, also will man das Bild vervollständigen.
Hat das Ihren Söhnen, die im Film kurz vorkommen, irgendwie weitergeholfen?
A.A.: Meine Söhne? Die reden nicht darüber. Die haben ganz andere Interessen. Der Kleine sowieso nicht. Der Große macht sich seine eigene Geschichte zurecht. Obwohl er nach dem Film gesagt hat: Ich hole uns das Erbe aus Kroatien. Das fand ich überraschend, dass der genau da anbeißt und sagt: Das ist ja wohl ein Witz, dass die das nicht herausrücken.
Die Gerechtigkeit ist ja etwas sehr Wichtiges.
A.A.: Ja, genau darum geht es ihm. Sonst fragen die relativ wenig. Die werden schon fragen, wenn sie fragen wollen.
Ihre Söhne waren aber sehr gerührt, als sie die Szene im Partisanenfilm gesehen haben, in dem sie eine jüdische Waise spielen.
A.A.: Aber man weiß es nicht. Ist es eine Träne oder ein Staubkorn...
Ein Staubkorn.
A.A.: Mein Großer, der Aaron, schauspielert auch und hat in dem Film von Michael Degen [Nicht alle waren Mörder, 2006, Regie: Jo Baier] mitgespielt. Da passiert ihm ja Ähnliches wie mir in dem Partisanenfilm. Was er aber daraus machen wird, weiß man nicht. Jetzt studiert er erst einmal Politik.
Ich wollte noch mal auf die Aktivitäten der Generation der Kriegsenkel allgemein zurückkommen. Einige davon sind Filmemacher und greifen das Thema auf, wie Arnon Goldfinger in Die Wohnung (2011).
A.A.: Das ist eine Typenfrage. Ich bin da hereingeschliddert. Die Geschichte bewegt sich, und dadurch komme ich auch in Bewegung. Das ist nicht immer freiwillig.
R.S.: Ich glaube, das ist auch eine Form von Erwachsen-Werden. Im Film überlegt sich Adriana zu Anfang, ob sie das Erbe annehmen soll, am Ende ist klar, dass sie eigentlich gar keine Wahl hat. Mir ist noch einmal so richtig klar geworden, dass Adriana eine Tradition ihrer Eltern weiterführt, nämlich die der Vermittlung zwischen Deutschen und Juden. Ihre Mutter hat eine Synagoge gebaut, über das Landjudentum geforscht, in Gießen eine jüdische Gemeinde gegründet. Die Eltern haben es immer auf irgendeine Art den Deutschen leicht gemacht, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Weil sie Humor hatten und weil ihre direkte Auseinandersetzung mit den faschistischen Ustascha in Kroatien und nicht mit den deutschen Nazis war. Dadurch konnten sie in Deutschland vielleicht etwas unbefangener sein. Die Vermittlung und die Versöhnung war ein ganz großes Thema bei Adrianas Vater.
A.A.: Das stimmt. Die Ustascha waren unsere direkten Feinde. Aber auf der Reise durch Kroatien habe ich festgestellt, dass nicht alle Ustascha waren. Das ist auch mal eine schöne Nachricht.
Als Sie im KZ auf der Insel Rab waren, haben Sie da Ihrer Mutter nah sein können?
A.A.: Nein, da habe ich gar nichts mehr gespürt. Da war ich einfach nur erschlagen. Ich habe im Film ja erzählt, dass meine Mutter mich nie umarmt hat und wie versteinert war.
Haben Sie sich schon als Kind mit dem Judentum beschäftigt, weil ihre Mutter auf dem Gebiet der Erforschung des Landjudentums viel Beachtung fand?
A.A.: Im Alter von 14 Jahren habe ich angefangen, meine Familienangehörigen zu besuchen. Da habe ich das aber noch nicht künstlerisch verwertet.
Ich habe eine Zeit lang professionell Familienforschung betrieben, und es ist entsetzlich, was durch die beiden Weltkriege für Lücken entstanden sind. Diese Lücken sind für die Stammbäume europäischer Juden noch viel typischer.
A.A.: Die Lücken sind bei uns ganz eindeutig. Die Lücken sind der Holocaust. Da gibt es keine uneindeutigen Lücken. Wir waren eine vollständige Familie, und dann waren fast alle tot. Da gibt es nichts zu suchen. Das Einzige, was man da noch suchen kann, ist, in welchem Lager die gestorben sind. Bei meinem Großvater dachte ich immer, es sei Auschwitz gewesen, es war aber Ratibor.
Man kann an einer vergangenen Situation nichts mehr ändern. Ich kann nur für mich selber versuchen, damit klar zu kommen.
A.A.: Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass man alle Situationen verbessern kann. Man kann sich erst einmal mit äußeren Dingen beschäftigen. Ich finde das ganz gut. Ein bisschen weniger Nabelschau.
R.S.: Ich glaube, dass man das nicht verallgemeinern kann. Es gibt Menschen, die sind strukturell so, dass sie alles wissen wollen, andere wollen das nicht. Da gibt es kein Rezept.
Haben Sie mit dem Film eine Absicht verfolgt?
R.S.: Man müsste Adriana fragen, ob sie mit dem Buch eine Absicht verfolgt hat. Der Film war ja der zweite Schritt, nachdem sie den ersten schon gegangen war.
A.A.: Ich habe keine Absicht verfolgt. Dass es eine Wirkung erzielt hat, ist erstaunlich. Ich schreibe ganz schnell und ganz viel und denke eigentlich nicht darüber nach. Ich hau das erst mal raus...
...in die Welt?
A.A.: Nein, erst mal raus. Dann hat es Gina gelesen, sie war die Erste, die es gelesen hat, weil ich es gar keinem anderen zu lesen geben wollte. Und sie hat dann angefangen zu denken.
R.S.: Und du bist von Deiner Struktur her auch niemand, der gräbt und gräbt. Du willst es schon wissen, aber auch wieder nicht.
A.A.: Gina ist viel, viel gründlicher als ich. Und wenn man zu zweit ist, kann man sich ja ergänzen. Gina hat die Fragen gestellt, und ich habe sie beantwortet. Ich hätte sie mir selber ja gar nicht stellen können.
R.S.: Wir kennen uns seit über 20 Jahren und als Stellvertreterinnen unserer Generation, ich mit der klassisch deutschen Biografie, Adriana mit ihrer jüdischen. Natürlich haben wir da auch etwas abbekommen, aber es stand nie als Absicht, auch bei mir nicht, dahinter. Als ich Adriana kennenlernte, wusste ich nicht, dass sie jüdisch ist. Als ich ihre Familiengeschichte aber kennenlernte, fand ich diese Geschichte mit den Partisanen wichtig. Da waren auch für mich ziemlich viele blinde Flecken. In dem Buch und Film geht es auch um Historie, um etwas, das noch nicht so beleuchtet worden ist. Dann fand ich es lohnend, das stellvertretend für andere mal so aufzuschreiben.
Ich finde ihren Film so wichtig, weil ich nicht möchte, dass es Kriegs-Ur-Enkel gibt.
A.A.: Wird es aber geben.
R.S.: Wir wollen das nicht, aber wir haben nicht alles unter Kontrolle.
Es ist eine spannende Geschichte und ich bedanke mich für dieses Interview.
Das Interview führte Helga Fitzner (* 1959) am 2. Dezember 2014.
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Adriana mit Baka, ihrer Mutter Thea und Tante Jele | (C) X-Verleih
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Helga Fitzner - 10. Dezember 2014 (2) ID 8313
Weitere Infos siehe auch: http://www.titosbrille.x-verleih.de/
Post an Helga Fitzner
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