FLOWERS OF FREEDOM
Helga Fitzner im Gespräch mit der Regisseurin Mirjam Leuze, der Cutterin Sandra Brandl sowie Tamara Djuscheeva und Bübükan Ormonova (Mitgliedern der kirgisischen Umwelt-und Menschenrechtsinitiative KAREK)
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Bübükan Ormonova und Tamara Djuscheeeva | © Angelika Huber, La Doc
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„Da ist so viel Kraft und Mut in der
Arbeit dieser Frauen.“
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Was hat sich seit den Dreharbeiten [von Flowers of Freedom] getan?
Tamara Djuscheeva: Im Frühjahr 2010 gab es nach einer Revolution einen Regierungswechsel in Kirgistan. Seitdem werden wir nicht mehr verfolgt. NGOs (= nichtstaatliche Interessensverbände) wie KAREK können jetzt frei arbeiten, es gibt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wenn wir Informationen von der Regierung einfordern, dann bekommen wir die auch.
Die Demokratie in Kirgistan funktioniert also.
Mirjam Leuze: Das ist vielleicht ein zu großes Wort, aber die Arbeit von NGOs ist auf jeden Fall leichter geworden.
Tamara Djuscheeeva ist ja jetzt die Leiterin von KAREK, nachdem die Gründerin Erkingül Imankodjoeva Parlamentsabgeordnete wurde.
Mirjam Leuze: Nein, nicht mehr. Tamara arbeitet in der Zwischenzeit als Buchhalterin in der Dorfverwaltung. KAREK wird jetzt von allen gemeinsam verwaltet. Es gibt keine Chefin mehr.
Das ist doch eine bemerkenswerte Entwicklung. - Gibt es Reaktionen auf den Film, die Sie überrascht haben?
Bübükan Ormonova: Für uns war dieses Filmprojekt gut, weil wir vor allem für Frauenrechte eintreten. Der Film hat unseren Forderungen ein größeres Gewicht und auch Ernsthaftigkeit verliehen. Ich hätte mir nie vorstellen können, als Mirjam vor Jahren mit der Kamera ins Dorf gekommen ist, dass nachher so etwas Großes daraus wird. Es ist einfach unglaublich, dass der Film jetzt in Deutschland anläuft. Wir sind sehr froh darüber, und es ist auch für unser Dorf bedeutsam. Vor der Reise nach Deutschland sind wir verabschiedet worden, und die Leute sagten: Ihr tragt die Situation unseres Dorfes in die Welt. Und ich möchte mich bei Mirjam und Sandra nochmals herzlich bedanken, dass sie diesen Film gemacht haben.
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Tamara Djuscheeeva und Bübükan Ormonova auf Premierentour mit Mirjam Leuze | © Angelika Huber, La Doc
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Hat sich inzwischen der Druck auf die Minenbesitzer von Kumtor verstärkt?
Bübükan Ormonova: Nach der Revolution 2010 wurden Vertragsverhandlungen aufgenommen. Die Verhandlungen über eine größere Gewinnbeteiligung für den kirgisischen Staat laufen noch. Jetzt wird auf die Rechte der Arbeiter mehr geachtet, und die staatliche Kontrolle hat sich ausgeweitet.
Tamara Djuscheeva: Bis 2011 gab es einen Verbindungsmann im Unternehmen, der für den Kontakt mit der Bevölkerung zuständig war. Dieser Mann hat uns eigentlich immer abgewiesen. Wenn wir Informationen haben wollten, hat er den Dialog sabotiert. Jetzt haben wir einen neuen Verbindungsmann, der vielmehr auf Augenhöhe mit uns Dorfbewohnern kommuniziert. So hat KAREK nun Gelder von der Mine bewilligt bekommen und eine kleine Nähwerkstatt mit Nähmaschinen ausgestattet. Auch an der Spitze der Kumtor-Mine sitzt jetzt ein neuer Chef. Deswegen schleppen sich die Vertragsverhandlungen auch so hin.
Es scheint bei dem Protest der Frauen nicht nur um Wiedergutmachung nach dem Unfall eines Lastwagens zu geben, bei dem 1998 Zyanid auslief, das Trinkwasser verseuchte und für Todes- und viele Krankheitsfälle verantwortlich ist.
Mirjam Leuze: Das ist jetzt meine Interpretation. Nach dem Unfall 1998 gab es Demonstrationen, die aber unter dem Akajew-Regime niedergeschlagen wurden. Danach hat sich niemand mehr auf die Straße getraut, um zu demonstrieren. 2005 gab es dann die Tulpenrevolution in Kirgistan. Das war ein kurzes Fenster demokratischen Aufbruchs, und auch der Protest der KAREK-Frauen flammte wieder auf. In der Zwischenzeit war auch schon so viel Zeit vergangen, dass man das Ausmaß der Todesfälle und Erkrankungen durch den Unfall klar erkennen konnte. Viele Leute waren krank und hatten kein Geld für Medikamente oder medizinische Betreuung. Das war die Initialzündung, auf die Straße zu gehen und einen Katalog mit Forderungen aufzustellen.
In den sieben Jahren zwischen dem Unfall und dem Fall des Akajew-Regimes hat das also weiter gegärt. Aber ging es nicht um mehr als den Unfall und seine Folgen.
Tamara Djuscheeva: Ja. Als wir begannen uns zusammenzuschließen, war es so, dass keiner auf uns als Frauen gehört hat, wenn wir Entschädigungen oder Frauenrechte eingefordert haben. Niemand hat sich um die bestehenden Probleme gekümmert. Weder die Dorfverwaltung noch die Regierung haben sich darum geschert, wie es uns im Dorf ergeht. Aus diesem Nicht-Gehört-Werden, aus der Nicht-Beachtung heraus, entstand der Impuls,eine NGO zu gründen, um uns endlich Gehör zu verschaffen.
Nach dem Unfall 1998 gab es Demonstrationen. Die Polizei kam und hat die Leute verhaftet und auf Lastwagen verfrachtet. Wir wurden geschlagen und wie Tiere behandelt. Einer Frau wurde Blut abgenommen, aber darum ging es nicht. Die Spritze war mit Krankheitserregern infiziert. Die Frau hat Syphilis bekommen, eine Geschlechtskrankheit, die sehr beschämend für sie war. Danach hat keiner mehr demonstriert, weil wir Angst hatten. KAREK wurde 2002 als NGO gegründet, und da fingen wir an kleinere Aktionen zu machen.
Wie gingen Sie mit der Angst um?
Bübükan Ormonova: Ich hatte früher sehr viel Angst. Wenn ich im Dunkeln zu Fuß nach Hause ins Nachbardorf gelaufen bin, hatte ich Angst, dass mich jemand anfällt und umbringt. So groß war meine Angst. Jetzt habe ich keine mehr. Ich kann mich frei bewegen. Ich kann arbeiten und bin die Vorsitzende des Gesundheitskomitees in meinem Dorf. Die Bevölkerung hat jetzt auch Vertrauen zu den KAREK-Frauen, denn wir haben die Reputation, gute Arbeit zu machen. Aus der Opposition heraus sind wir angesehene Frauen geworden. Jetzt sind wir Frauen, die eine Stimme haben, die auch gehört wird.
Das klingt danach, dass Sie so eine Art Sendungsbewusstsein entwickelt haben.
Tamara Djuscheeva: Unser Forderungskatalog hatte zwölf Punkte. Es ging nicht nur um Kompensationszahlungen, es gab viele Punkte. Dazu gehörte, dass das Unternehmen Kumtor vor allem Arbeiter aus den fünf umliegenden Dörfern einstellen sollte, damit die Gewinne auch den Menschen in der Region zugute kommen. Auch der Prozentsatz von 13 %, den die kirgisische Regierung bekommt, sollte erhöht werden. Vor allem waren es aber ökologische Forderungen nach strengeren Umweltkontrollen und einem Rekultivierungsplan nach erfolgtem Abbau.
Wie haben Sie denn den Spagat zwischen der Tradition und den Anforderungen der „modernen“ Welt geschafft?
Tamara Djuscheeva: Für uns war das ein ungeheurer Organisationsmarathon, Zeit für unsere Familien und die Traditionen aufbringen zu können, sich viel und ausführlich um die Verwandtschaft zu kümmern, gute Gastgeberinnen zu sein und gleichzeitig diese politische Arbeit zu bewältigen, die auch viel Zeit in Anspruch nahm. Da sind wir öfter unseren Verpflichtungen als Mütter und Frauen nicht nachgekommen. Meine Kinder haben mir häufiger vorgeworfen, dass ich nicht für sie da bin, weil ich zu viel arbeite. Das war sehr schwierig, sich um alles zu kümmern und auch noch die Kühe zu versorgen, den großen Garten und den Kartoffelacker. Aber manchmal haben auch die Nachbarn mitgeholfen. Trotzdem habe ich manchmal meine weinenden Kinder nicht trösten können. Aber ich habe ihnen gesagt, wenn wir nicht diese Arbeit machen, wer macht sie denn dann? Dieser Satz kommt ja auch im Film vor. Der ist entstanden, als ich sehr viel unterwegs war, als wir KAREK-Frauen Beratungen in anderen Dörfern durchführten, die auch vom Goldbergbau betroffen waren.
Sie haben das ja auch für Ihre Kinder und die kommenden Generation gemacht.
Bübükan Ormonova: Unsere Kinder erkennen jetzt an, was wir geleistet haben, auch durch den Film und dadurch, dass ihre Mütter jetzt nach Deutschland eingeladen wurden zur Premiere. Das hilft ihnen zu verstehen. Sie wissen jetzt, dass das nicht nur ein kleiner Aktivismus ist, sondern dass es eine Bedeutung hat.
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Mirjam Leuze, Tamara Djuscheeva, Bübükan Ormonova und Cutterin Sandra Brandl bei der Premiere in Köln | © Angelika Huber, La Doc
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Hat KAREK den Sturz des Bakiev-Regimes bei der Tulpenrevolution 2010 mit bewirkt?
Tamara Djuscheeva: Ich glaube schon, dass wir den Demokratieprozess befeuert haben. Wir waren ein Vorbild für andere Frauen in dem Oblast (= Region), in dem wir leben. Die haben sich uns teilweise angeschlossen, aber auch eigene Aktionen geplant.
Es gibt im Film keine Aufnahmen der Opfer zu sehen. Waren die nicht zugänglich, oder war es eine bewusste Entscheidung, sie wegzulassen?
Sandra Brandl: Es gab durchaus Archivmaterial, z.B. von Opfern. Das ist auch sehr dramatisch, was denen passiert ist. Eine Frau hatte eine Fehlgeburt, anderen Schwangeren wurde geraten, die Kinder abzutreiben, weil schwere Schädigungen zu erwarten waren. Dieses Material gibt es, und das war auch erst mal drin. Im Verlauf des Schnitts haben wir aber einfach gemerkt, dass es einen erschlagen hat und so schlimm war, dass es den Zuschauern gar nichts mehr richtig nahe bringt. Wir haben uns dann entschieden, es heraus zu nehmen. Denn es ging uns in erster Linie darum, nicht so sehr die Auswirkungen des Unfalls, sondern die Entwicklung der Frauen spürbar zu machen. Mit dem Archivmaterial wäre das ein anderer Film geworden, der mehr auf die „Sensation“ abgezielt hätte. Das wollten wir nicht, das hätte auch nicht gepasst. Wir hätten auch das Gefühl gehabt, die Betroffenen ein Stück weit vorzuführen. Das war nicht unser Anliegen.
Der Film hat relativ lange Einstellungen und lässt sich Zeit, die Frauen auf die Zuschauer wirken zu lassen. Kurzum, er ist ziemlich „entschleunigt“. War das von Anfang an so geplant?
Sandra Brandl: Das haben dann teilweise die Bilder ergeben. In einer der ersten Szenen beobachtet Bübükan die vielen Lastwagen, die sich lärmend durch die Straßen bewegen. Die Szene ist so großartig, da meinten wir, die kann man auch mal eine Weile stehen lassen. Wir haben im Film auch schon mal schnellere Wechsel, aber im Prinzip ist er eher beobachtend. Obwohl beobachtend ist vielleicht das falsche Wort: mit dabei gewesen, ist vielleicht besser gesagt. Irgendwie fügt sich das dann. Das Material erzählt einem schon ganz gut, was es will. Das war ein Stück weit auch schon so gedreht. Für mich als Cutterin war das eine tolle Erfahrung, dass das Material mit einem spricht und einem auch sagt, was es so braucht – oder halt, wie lang es denn sein möchte.
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Bübükan Ormonova beobachtet die vielen Lastwagen mit dem Gift für die Goldmine | © Toposfilm
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Das funktioniert auch sehr gut. Es wird von Anfang an klar, dass es kein investigativer Film ist, der die Umweltgefährdung eines ungebremsten Goldabbaus mittels hochgiftiger Chemikalien darstellen will. Was den Film so reizvoll und so anders macht, ist der ethnologische Blick auf die Menschen.
Mirjam Leuze: Ich freue mich sehr, dass Sie das erkennen. Ich habe ein Kameratraining bei einem sehr bekannten Paar bekommen, die im ethnologischen Film einen ganz großen Namen haben: Judith und David MacDougal. Das sind die Klassiker des ethnografischen Films. In deren Workshop habe ich gelernt, dass Filmen ein intellektueller Vorgang ist, bei dem ich mich entscheide, was mir wichtig ist. Bei der Lastwagenszene hätte ich vor diesem Training gedacht, dass ich sie auflösen muss, in eine Totale, Halbtotale, oder nah dran gehen. Nach diesem Training habe ich einfach gewusst, dass ich das Bild besser stehen lasse und schaue einfach ganz, ganz lange, wie diese Laster da in der Totalen vorbeifahren. Wir hätten noch mehr Laster gehabt, aber ich habe mich dann beim Drehen doch noch für den Gegenschuss ins Bübükans Gesicht entschieden. Doch es war nicht stimmig, den Blick in Bübükans Gesicht zu zeigen. So haben wir es im Schnitt bei dieser mehrminütigen totalen Einstellung belassen. Ich habe einen ganz bestimmten Blickwinkel, der dadurch entsteht, dass ich eine Frau bin, dass ich aus Deutschland komme, dass meine Hautfarbe weiß ist, dass ich eine bestimmte soziale Herkunft habe. Für mich gibt es so etwas wie einen objektiven Blick nicht. Das ärgert mich an vielen Filmen, die vorgeben, DIE Realität wiederzugeben. Das finde ich teilweise auch richtig gefährlich, Zuschauern zu erzählen, dass das die Realität wäre. Das wollte ich mit meinem subjektiven Blickwinkel ganz bewusst aufbrechen.
Sandra Brandl: Erkingül sagte, dass sie hofft, dass dieser Film aus Kirgistan herauskommt, damit die Leute sehen, was hier geschieht. Sie hatte Zweifel, dass die Umweltzerstörung im abgelegenen Gebiet in Kirgistan niemanden interessieren würde. Das haben wir auch erlebt, als wir versucht haben, den Film zu verkaufen. Da hieß es, wen interessiert es denn, das ist doch viel zu weit weg. Ich finde es toll, dass das Thema jetzt trotzdem wahrgenommen wird und dass sich die Menschen wirklich dafür interessieren. Die Menschen, die den Film sehen, geben uns dann auch das Feedback, dass sie gar nicht gewusst haben, was da passiert und wie die Menschen leben.
Es hat eine Allgemeingültigkeit. In Themen wie Umweltschutz, Menschen- insbesondere Frauenrechte und der Befreiung von Fremdbestimmung finden wir uns doch alle wieder. Die Umweltzerstörung ist nun mal eine globale Gefahr. Das ist mittlerweile eine Binsenweisheit.
Mirjam Leuze: Was ich toll finde und was mich auch berührt: Sie sind die erste Journalistin, die sich die Zeit nimmt, sich mit den Protagonistinnen zu unterhalten.
Ich danke auch, dass Sie das möglich gemacht und mit Ihrer Übersetzung unterstützt haben. Und es ist keine Plattitüde, wenn ich sage, dass es mir ein Bedürfnis und eine Ehre war, mich mit diesen wundervollen Frauen unterhalten zu können, die trotz der gravierenden Bedrohungen und Einschränkungen, die sie erfuhren, sich eine so positive Lebenseinstellung bewahrt haben.
Mirjam Leuze: Es war auch eine bewusste Entscheidung, den Film so zu machen, dass man nicht frustriert herausgeht und denkt, dass alles schrecklich ist. Ich wollte, dass man inspiriert herausgeht, weil da so viel Kraft und Mut in der Arbeit dieser Frauen ist. Es war mir ein Anliegen, das herauszuarbeiten.
Das ist Ihnen auch gelungen.
Mirjam Leuze: UNS ist das gelungen (schaut auf alle Mitstreiterinnen - allgemeines Nicken)
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Interviewerin: Helga Fitzner - 2. April 2015 ID 8551
Das Interview führte Helga Fitzner am 27. März 2015 in Köln.
Herzlichen Dank an Angelika Huber von La Doc für die Premierenfotos!
Weitere Infos siehe auch: http://www.flowers-of-freedom.com/
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