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DVD-Kritik

Bewahrte Kindheit



Bewertung:    



Als Hitler das rosa Kaninchen stahl schildert die Geschichte der 9-jährigen Anna Kemper (Riva Krymalowski), die 1933 mit ihrem älteren Bruder Max (Marinus Hohmann) in gut situierten Verhältnissen ein sorgenfreies Leben führt. Ihr Vater ist der angesehene Theaterkritiker Arthur Kemper (Oliver Masucci), der großen Einfluss in der Kulturszene ausübt. Nach der Machtübernahme Hitlers wird er heimlich gewarnt und verlässt unverzüglich Berlin, um sich in der neutralen Schweiz eine neue Existenz aufzubauen; seine Frau Dorothea (Carla Juri) und die Kinder folgen in einer Nacht- und Nebelaktion ebenfalls. Das war sehr knapp, denn als einer führenden Intellektuellen und als Jude ist er den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Deren Spitzel verfolgen ihn bis in die Schweiz.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen, autobiografisch angelehnten Buch von Judith Kerr und gehört in deutschen Schulen zur gerne gewählten Lektüre zur Einführung in die Thematik des Dritten Reiches. Es wird oft in der sechsten Klasse unterrichtet, um die jungen LeserInnen behutsam an das Thema heranzuführen, die für Das Tagebuch der Anne Frank noch zu jung sind. Im Unterschied zu der Familie von Anne Frank war der Familie Kerr rechtzeitig die Flucht gelungen und Judith Kerr schrieb 1971 ihre Kindheitsgeschichte auf, um sie für ihre eigenen Kinder festzuhalten. Dies geschah aus der teils ungetrübten und unschuldigen Perspektive eines kleinen Mädchens heraus, deren Eltern alles daran setzten, ihren Kindern noch so viel Kindheit wie möglich zu bewahren.

Die Regisseurin Caroline Link (Der Junge muss an die frische Luft, 2018) hat das Drehbuch zusammen mit Anna Brüggemann geschrieben, und sie führt gerade die jungen Schauspieler und Schauspielerinnen auf einzigartige Weise. Denn auf den zarten Schultern der kleinen Riva Krymalowski ruht ein wesentlicher Teil des Films. Für Anna ist der Aufenthalt in der Schweiz fast wie ein Abenteuer, sie freundet sich schnell mit anderen Kindern und der neuen Lebenssituation an. Der Kamerafrau Bella Halben gelingen wunderbare Landschaftsaufnahmen, die die Weite der Berge zeigen in einer für die Kempers immer enger werdenden Welt. Die Schweizer trauen sich nicht mehr, Kempers kritische Artikel zu veröffentlichen und so muss die Familie aus Finanznot nach Paris umziehen.

Dort leben sie in einer kleinen Mansarde unter beengten Verhältnissen und werden von einigen Menschen angefeindet. Die Kinder verstehen den zugrundeliegenden Antisemitismus nicht; sie sind auch beschäftigt, denn sie gehen in die Schule und müssen praktisch nebenher die französische Sprache lernen. Mit Fleiß und Eifer gelingt das auch. Die Abenteuerlust überwiegt und Anna spricht einen Satz, den Judith Kerr damals tatsächlich zu ihrem Vater gesagt hat, als sie aus dem Fenster der Mansardenwohnung schauten: „Ist es nicht herrlich, ein Flüchtling zu sein?“ Dann kommen Momente, in denen Anna Heimweh nach Berlin hat und der Vater schildert ihr und ihrem Bruder wahrheitsgemäß die Repressalien, denen er dort ausgesetzt wäre. Er macht das schonend und scherzend, wenn er sagt, dass er sich bei Herrn Hitler beschweren will, weil er das Kopfgeld von 1.000 Reichsmark auf ihn als zu knickrig empfindet. Das rosa Kaninchen ist ein Stofftier, das Anna in Berlin zurücklassen musste und ein Symbol für den erlittenen Verlust. Sie musste sich zwischen ihrem Teddybären und dem Kaninchen entscheiden, weil sie auf ihrer Flucht nicht so viel mitnehmen konnte.

Caroline Link verzichtet auf Naziaufmärsche und Schreckensbilder, der Film ist auch ab 0 Jahre freigegeben und bewusst familientauglich. Wenn die kleine Anna aber jedes Mal, wenn sie weiterziehen muss, noch einmal einen Rundgang macht, um sich von den Menschen, Tieren und der Umgebung zu verabschieden, macht das die Belastung deutlich genug. Durch die geduldige und fürsorgliche Art der Eltern nehmen die Kinder verhältnismäßig wenig Schaden, und während sich die Schlinge um die Kempers wieder zuzieht und sie weiter müssen, erweitert sich der geistige Horizont der Kinder stetig. Filmisch umgesetzt wird das z. B. durch einen Blick vom Eiffelturm auf Paris. Der positive Blick mag verwundern, aber Judith Kerr sagte, dass sie den Ernst der Lage damals wirklich nicht verstanden habe. Ihr berühmter Vater Alfred Kerr hatte den Kindern beigebracht, immer nach vorne zu schauen und es ihnen auch so vorgelebt.

Die Jungmimen Riva Krymalowski und Marinus Hohmann tragen den Film, sind von wunderbaren DarstellerInnen in Nebenrollen umgeben, darunter Justus von Dohnányi, Ursula Werner und Anne Bennent. Die Schweizerin Carla Juri ist ein stabilisierender Faktor als Mutter und Oliver Masucci als Arthur Kemper mal wieder gnadenlos grandios. (Masucci hat 2015 in Er ist wieder da schon mal besagten „Herrn Hitler“ gespielt).



Einer der letzten unbeschwerten Tage: Noch hat Anna ihr rosa Kaninchen | © Warner Bros Pictures

Helga Fitzner - 9. September 2020 (2)
ID 12451

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Dokumentarfilm

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