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DVD-Kritik

Viel Rauch am Vorabend einer Zeitenwende



Bewertung:    



Das Cover zeigt Tom Schilling im Close-up: Er trägt Anzug, Haare fallen ihm lässig über die Stirn, sein blauäugiger Blick ist nach links melancholisch in die Ferne gerichtet, er hält eine brennende Zigarette im Mund. Der Konsum von Zigaretten bestimmt den Alltag des Titelhelden in Dominik Grafs Film Fabian oder der Gang vor die Hunde (2021). Rauchen war von den Zwanzigern bis in die Vierziger mehr als in jeder anderen Zeit in Mode. Der „schicke“ Nikotingenuss gehörte zum guten Ton und galt als gesellschaftsfähiger Luxus. Werbetexter verbreiteten viele Jahre auf Plakaten oder Anzeigen, dass das Rauchen von Zigaretten unbedenklich sei.

Die Figur Fabian aus Erich Kästners gleichnamigem Großstadtroman von 1931 ist ein Werbetexter. Der Germanist Dr. phil. Jakob Fabian arbeitet im Berlin der damaligen Zeit in einer Agentur, bevor er arbeitslos wird. Auch an den Settings liegt oft Zigarettenrauch in der Luft, von Fabians Studier- oder Arbeitszimmer über Berlins Straßen, Restaurants, Kneipen, Tanzclubs, zwielichtigen Etablissements und Bordellen.

Grafs Verfilmung von Kästners Klassiker beginnt mit einer Kamerafahrt, die von einem U-Bahnhof der Jetztzeit in das Berlin der 30er Jahre überblendet. Das 178minütige Drama schafft so liminale Räume, also Schwebezustände eines zeitlichen Übergangs. Später bindet Graf schwarz-weißes Dokumentarmaterial in den Film ein. Originalszenen werden nun plötzlich nachgespielt. Weitere interessante filmische Mittel sind der Einsatz der Split Screen-Technik. Vier Bewegtbilder zeigen hier eine Situation aus unterschiedlichen Kameraperspektiven parallel nebeneinander.

Fabian oder der Gang vor die Hunde galt 2021 mit zehn Nominierungen als Hauptfavorit für den deutschen Filmpreis. Das Werk erhielt drei Auszeichnungen, unter anderem die Silberne Lola für den besten Film. Das Drama porträtiert mit eindrücklichen Kästner-Dialogen eine Gesellschaft, die fundamental und katastrophal ins Kippen gerät. Mit dem sensiblen Jakob wandern wir durch das Nachtleben Berlins von 1931 und sehen, wie Konflikte energisch ausgetragen werden und an aggressive Kipppunkte geraten. Bevor Jakob Fabians Welt zugrunde geht, erlebt er jedoch noch viele schöne Momente und es werden ihm viele Auswege aus misslichen Situationen offeriert.

In der gesellschaftlich-politischen Umbruchssituation beschreitet Jakob voller Neugier und Offenheit neue Wege. Ohne viel Zutun gewinnt er die Liebe der Schauspielerin Cornelia (Saskia Rosendahl). Zwischen beiden herrscht ein euphorisches Lebensgefühl. Fabian verschreibt sich der Schriftstellerei, als Beobachter seiner Zeit. Dritter im Bunde ist schnell Jakobs begabter, wohlhabender, lebenszugewandter Freund Labude (Albrecht Schuch), der wie kein anderer an Jakobs Talent glaubt. Jakob wiederum erkennt die enorme Bedeutung der literaturhistorischen Arbeiten seines Freundes. Labude erweist sich im Verlauf als eine zerbrechliche Figur mit einem Hang zur Radikalität, Emotionalität und Verzweiflung. Die Geschichte changiert zwischen Liebe, Leid, Enttäuschung, Trauer und Lust. Interessant ist, dass bei Jakobs Streifzügen durch die Nacht Berlins wiederholt dunkle Seitengassen und wie in einem Kaleidoskop mögliche Nebenerzählungen kurz beleuchtet werden. So erzählt der Film auch von der zwielichtigen, sexsüchtigen und offenherzigen Irene Moll (Meret Becker), die ein Auge auf Jakob geworfen hat. In einer Szene möchte sie den Arbeitssuchenden in einem Männerbordell einsetzen, wo sie selbst als leidenschaftliche Zuhälterin das Geschäft führt.

Die DVD enthält als Extra einen Audiokommentar des Regisseurs Dominik Graf. Weiterhin bereichert das etwa 25minütige Making Of Der kontrollierte Kontrollverlust von Felix von Boehm, der Grafs Film auch produzierte, das Bonusmaterial. Hier kommen neben dem Hauptdarstellertrio und dem Regisseur auch Drehbuchautor Constantin Lieb, Kostümbildnerin Barbara Grupp, Szenenbildner Klaus-Jürgen Pfeiffer und die Filmkomponisten Florian van Volxem und Sven Rossenbach zu Wort. Auch Kameramann Hanno Lentz, der für Fabian den deutschen Filmpreis für die beste Kamera und Bildgestaltung erhielt und Claudia Wolscht, die mit den deutschen Filmpreis für den besten Schnitt ausgezeichnet wurde, erzählen über ihre Arbeit. Darüber hinaus werden das Produktionsbüro Görlitz, Fotos von der Motivsuche und Drehaufnahmen von der Schlussszene im eindrücklichen Making-Of gezeigt.

Fabian oder der Gang vor die Hunde ist nicht nur eine Liebesgeschichte, es porträtiert auch das Lebensgefühl junger Menschen zur damaligen Zeit. Die Akteure harmonieren stimmungsvoll miteinander. Im vielgestaltigen Sittenbild der damaligen Epoche prallen die Welten kleinbürgerlicher Snobs auf Obdachlose, Säufer und Prostituierte. Es ist schon eine Konzentration unglücklicher Umstände, dass zu guter Letzt vieles haarscharf daneben geht, bis hin zu Fabians finalem Untergang.

Ansgar Skoda - 3. März 2022
ID 13496
https://dcmstories.com/de/collection/fabian/


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