Literaturverfilmung
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Bewertung:
Als vor gar nicht so langer Zeit Homosexualität in unseren Breiten strafbar war, galt es als eins der Hauptargumente gegen diese menschenfeindliche Praxis, dass Sexualität Privatsache sei und niemanden, erst recht nicht den Staat und die Gesetzgebung, etwas angehe. Das hat sich geändert. Heute ist die Tatsache, dass es zwischen Heterosexualität und Homosexualität, zwischen Mann und Frau mehr Varianten gibt, als uns die Schulweisheit glauben macht, das Thema des Tages, und das öffentliche Bekenntnis zu solchen Spielarten hat eine Konjunktur erfahren, die manchmal aufdringlich wirkt und eine Rückkehr zur Privatheit erstrebenswert erscheinen ließe. Zu den „heiligen Schriften“ der Geschlechtsambiguität gehört Virginia Woolfs Roman Orlando, in dem der Titelheld zur Titelheldin wird und durch die Jahrhunderte reist, ohne zu altern.
Die englische Regisseurin Sally Potter hat aus einem großartigen Roman einen großartigen Film gemacht. Der Roman wurde 1928 veröffentlicht. Sally Potters Adaption reicht bis in unsere Gegenwart. Sie wurde zum Teil in Russland und in Usbekistan gedreht. Es ist eine der gelungenen Literaturverfilmungen, gerade wegen der Freiheiten, die sie sich gegenüber der Vorlage nimmt. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei Tilda Swinton, die Frau mit dem Renaissancegesicht, die ideale Besetzung für die Figur Orlandos.
Großbritannien ist das Land mit den zurzeit aufregendsten Regisseuren des hyperrealistischen Films, allen voran Ken Loach und Mike Leigh. Aber es hat zugleich, als extremes Gegenstück, einige der interessantesten Protagonisten des stilisierten, hochartifiziellen Films. Dazu zählen der früh verstorbene Derek Jarman, Peter Greenaway und eben Sally Potter. Ihr Meisterwerk besticht durch betörend schöne Bilder (Kamera: Aleksej Rodjonov), die in der jetzt vorliegenden digital bearbeiteten Neuauflage ihre volle Wirkung entfalten, aber auch, jenseits von Swinton, durch das Casting und die schauspielerischen Leistungen, unter anderem von dem bekennenden Homosexuellen Quentin Crisp als Elisabeth I. und von Charlotte Valandrey, die bereits seit fünf Jahren an HIV litt, als der Film gedreht wurde.
Es gilt als Dogma, dass man im Film nicht in die Kamera, also dem Zuschauer in die Augen sehen dürfe. Es dient der Illusionszerstörung, also einem modernen Kunstverständnis, dieses Dogma zu missachten, die „vierte Wand“ niederzureißen. Das Verfahren wurde beispielsweise in den beiden Versionen von Alfie, in der Fernsehserie House of Cards oder eben auch in Orlando verwendet. Und so ergibt sich das Paradox, dass just eins der „altmodischsten“ Genres, der Kostümfilm, zugleich ein Dokument der Moderne ist.
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Thomas Rothschild – 28. Mai 2021 ID 12936
STUDIOCANAL-Link zu Orlando
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