Geliebte Lügen –
der schöne Schein
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Bewertung:
Warten auf Bojangles (jüngst auf DVD erschienen) zeigt ein Leben voller Magie wie im Traum; doch zu dem lachenden Auge gesellt sich in diesem ungewöhnlichen Liebesfilm bald ein weinendes. Die Buchvorlage, das Romandebüt des heute 42jährigen Olivier Bourdeaut war in Frankreich ein Überraschungserfolg: En attendant Bojangles (2016) wurde mit zahlreichen Preisen prämiert und in über zwanzig Sprachen übersetzt. Wie schon der exaltierte Schelmenroman trägt auch der gleichnamige Film mit zahllosen Übertreibungen dick auf.
Georges (Romain Duris) bewegt sich so zu Filmbeginn auf einer illustren Party an der Riviera, lässig Champagnergläser leerend. Er tischt den anderen feinen, ältlichen Gästen unterschiedliche Mären über seinen vermeintlichen Reichtum auf. Früh wird klar, der Hochstapler hat sich hierhin zu den Reichen geschmuggelt. Auf der Festgesellschaft begegnet er flüchtig Camille (Virginie Efira) und wirft gleich ein Auge auf sie. Camilles wohlhabende Begleitung auf dem Fest, Charles (Grégory Gadebois) ist nicht gerade entzückt, ist er doch selbst der Schönen verfallen. Sie genießt die Aufmerksamkeit und sie sorgt - gemeinsam mit Georges - in der feinen Gesellschaft für einen beherzten Eklat. Beide türmen und haben eine leidenschaftliche Nacht auf dem Altar einer Kapelle zusammen. Georges beginnt Camille bedingungslos zu lieben. Virginie Efira, sehenswert auch in Titelrollen in Sibyl – Therapie zwecklos (2019) und Benedetta (2021), spielt Camille charismatisch. „Fahren Sie schneller, sonst holen Ihre Lügen uns noch ein“, ruft sie, verzückt ihre Arme aus dem Cabriolet nach oben streckend.
Aus Charles wird ein zuverlässiger, im Filmverlauf zunehmend wichtiger werdender Unterstützer des jungen Glückes. Der treuherzige Mäzen wird vom Paar liebevoll „Mistkerl“ genannt. Camille hingegen erscheint es zu konventionell, stets beim gleichen Namen angesprochen zu werden. Sie erhält von Goerges fortan stets neue Namen und siezt ihn selbst lustvoll. Die beiden feiern überspannt die Verrücktheit, mixen sich in ihrer Pariser Wohnung Cocktails. Sie tanzen wiederholt zum einzigen Lied, das auf ihrem Plattenteller laufen darf: Nina Simones melancholische Interpretation von „Mr. Bojangles“, über einen tanzenden Straßen- und Lebenskünstler. Die abgedrehte Amour fou bewegt sich leichtfüßig fernab üblicher Konventionen oder gesellschaftlicher Regeln, an denen Camille und Georges kein Interesse haben. Banalitäten des Lebens werden von den beiden ausgeblendet.
Es gibt bald einen Zeitsprung von den späten 1950er in die 1960er Jahre. Das Paar hat nun einen neunjährigen Sohn, Gary (Solàn Machado-Graner), der das Geschehen öfters kommentiert, ähnlich wie in der Buchvorlage. Rauschhafte Fest mit Hunderten Gästen werden gefeiert. Die junge Familie schwelgt im extravaganten Luxus, für den weiter der wohlhabende Charles geflissentlich aufkommt. Drehorte sind unter anderem ein Schloss in Spanien und ausgewählte Orte an der Côte d’Azur. Auch Bilder von Bergen ungeöffneter Post und einem Kranich als Haustier, den Gary „Mademoiselle“ ruft, stehen für die Extravaganz der Familie. Neben Höhenflüge treten jedoch alsbald Abstürze. Es gibt erste Konflikte im Miteinander, spätestens als ein Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Doch Camille scheint nicht kompromissfähig. Sie wird trübsinnig, hat Schreianfälle.
Gary versucht früh zu lernen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Seine impulsive Mutter scheint immer öfter mit einer bipolaren Störung überfordert. Sie leidet, wenn Georges aufgrund der Berufstätigkeit abwesend ist. Der Sohn versucht die Launen der Mutter durch phantasievolle Geschichten aufzuhellen.
Irgendwann findet George seine Frau verwirrt auf einer Krankentrage vor dem Haus. Sie hat aus einer verrückten Laune heraus die Wohnung in Brand gesetzt. Die Ärzte versuchen ihren Wahn als Hysterie, Bipolarität oder Schizophrenie einzuordnen und weisen sie in die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie ein.Vater und Sohn glauben zu erkennen, dass die zunehmend apathische Camille unter einer Therapie, in der mit Kälteschocks und anderen Repressalien gearbeitet wird, zugrunde geht. Sie planen eine Entführung.
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Warten auf Bojangles ist eine zärtliche, nachdenkliche und verblüffende Tragikkomödie voller naiver Lebensfreude und leiser Verzweiflung. Neben originelle Ideen treten jedoch in Régis Roinsards Liebesdrama auch immer wieder allzu aberwitzige Bilder und unglaubwürdige Pointen. Bis zum Schluss scheint alles möglich. Und es kommt dann doch wieder anders, als man glaubt.
Als Bonusmaterial bietet die DVD neben zwei Filmtrailern Régis Roinsards 36minütigen Kurzfilm Simon (2001) über einen Fünfundzwanzigjährigen, der aufgrund einer Erbkrankheit auf einen einen elektrischen Rollstuhl angewiesen ist, sowie ein zweieinhalb-minütiges Casting-Gespräch mit dem verschmitzt strahlenden Solàn Machado-Graner für die Rolle des Gary.
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Ansgar Skoda - 23. Dezember 2022 ID 13975
Weitere Infos siehe auch: https://www.arthaus.de/warten_auf_bojangles
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