Hoher weiblicher Anteil vor und hinter der Kamera der Berlinale-Filme
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Barbara; Wettbewerb; DEU 2012; REGIE: Christian Petzold; Nina Hoss (auf dem Bild) - © Hans Fromm
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Frauen tragen die größte Last
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Die Berlinale präsentiert in den diversen Programmsektionen insgesamt 88 Filme, die von Frauen inszeniert wurden. Das ist gut ein Viertel des Gesamtangebotes und damit der höchste Anteil an weiblichem Filmschaffen, mit dem sich die Berlinale je schmücken konnte. Das Hollywood-Branchenblatt „Variety“ vermeldete auf dem Titel seiner ersten Berlinale-Sonderausgabe einen „Women’s Boom“, meinte damit aber weniger Filme von Frauen, als vielmehr Filme über Frauen – und auch davon sind auf dem Festival eine Menge zu sehen.
Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie machte mit ihrem beachtlichen Erstlingswerk als Regisseurin, The Land Of Blood And Honey, den Anfang, und zeigte am Beispiel des serbisch-bosnischen Krieges auf drastische Weise, dass Frauen in den Kriegen, die Männer untereinander führen, die Hauptopfer sind (Berlinale-Special). Der irritierend unbarmherzige, wenngleich nicht unnötig brutal inszenierte Film, sorgte beim Premierenpublikum für große Anteilnahme. Die internationale Presse wirkte hingegen etwas ratlos. Offenkundig hatte man ein Drama mit einer konventionelleren Liebesgeschichte erwartet, die für geschmeidigere Akzeptanz sorgt. Doch Jolie schont das Publikum bis zum bitteren Ende kaum. Vielleicht braucht es auch mehr Zeit, damit die UNO-Sonderbotschafterin Jolie ihrem zuletzt recht aufdringlich wirkenden Image als schöner Hollywood-Kleiderständer wirksam entgegenarbeiten kann. Den ersten Schritt dazu hat sie jedenfalls getan – ihr Film ist einer der bislang emotionalsten im Berlinale-Programm. Warum Jolies Film nicht im offiziellen Wettbewerb laufen konnte, dessen bisherige Beiträge wieder einmal unter der Kategorie „interessant“, aber nicht „herausragend“, rangieren, bleibt nebulös.
Der französische Wettbewerbsbeitrag Moi Seule (Ich alleine) darf als typisch für die redliche, aber etwas bemühte Art vieler Beiträge gelten: Regisseur Frédéric Videau wählte eine fiktive, aber von realen Fällen inspirierte Geschichte: Eine junge Frau wurde als Mädchen entführt und lebte jahrelang in einem Wohnungsverlies unter der Wohnung ihres Kidnappers, bis sie von diesem eines Tages unverhofft freigelassen wird und zu ihren inzwischen getrennt lebenden Eltern zurückkehren kann. Eine Therapeutin versucht, ihr einen Weg in die Gesellschaft zu bahnen. Videau zeigt zwar überzeugende Szenen und Dialoge, doch sein Bemühen, das ungeheuerliche Geschehen nicht aufzubauschen und auszubeuten, sondern ruhig und sachlich zu erzählen, führt dazu, dass dem fertigen Film neben der äußeren auch die innere Spannung fast vollkommen entwichen ist: Die Situation zwischen Entführer und Opfer mag in der Realität irgendwann alltäglich sein. Aber für einen Film, der die Identifizierung mit dem Opfer notwendig verlangt, ist es ein dramaturgischer Aderlass, bei dem man sich unbehaglich unberührt fühlt – und das bei diesem Thema!
Am ehesten konnte noch der deutsche Regisseur Christian Petzold mit seinem gewohnt präzise, aber unterkühlt inszenierten Drama Barbara überzeugen: Eine Mitte der siebziger Jahre wegen versuchter Republikflucht zu Gefängnis verurteilte Ärztin (adäquat spröde: Nina Hoss) wird nach ihrer Entlassung in ein DDR-Provinzhospital verwiesen und von der Stasi überwacht. Ihre Liebesbeziehung zu einem westdeutschen Mann (Mark Waschke) versucht sie ihrer Umwelt ebenso geheim zu halten wie die Vorbereitung eines weiteren Fluchtversuchs. Zumal nicht klar ist, welche politische Haltung ihr Vorgesetzter hat: der Klinikchef (Ronald Zehrfeld), der eine Schwäche für Barbara entwickelt. So weit, so spannend. Während die Atmosphäre in der DDR-Provinz gut nachinszeniert ist, hätte auch diesem Film etwas mehr Tempo und Dramatik gut getan. Aber dann wäre er nicht von Petzold…
Der Panorama-Film Wilaya zeigt, dass Frauen unter prekären Lebensverhältnissen am meisten zu leiden haben – selbst wenn Kriege oder Revolutionen vorbei sind: Anhand verschiedener Frauenschicksale macht der spanischen Regisseurs Pedro Pérez Rosado auf ein von der Weltgemeinschaft kaum mehr beachtetes, ungelöstes politisches Problem aufmerksam: Die Bewohner der Südwestsahara, die Saharawis, leben nach einer Zeit bürgerkriegsähnlicher Konflikte schon seit fast drei Jahrzehnten in Flüchtlingscamps, wo sie von der UNO und Hilfsorganisationen versorgt werden. Die größeren politischen Zusammenhänge, etwa die koloniale Ausbeutung der regionalen Bodenschätze wie Phosphat durch das frühere Kolonialreich Spanien und die nordafrikanischen Staaten, spielt im elegant fotografierten Wilaya keine Rolle. Stattdessen zeigt Rosado aus der Perspektive einer als Kind nach Europa verbrachten jungen Frau interessante Innenansichten der Lebensumstände eines Volkes, für das Provisorium auf dem Weg zur politischen Selbstbestimmung zum Dauerzustand geworden ist. Zum gleichen Thema hat der für die Rechte der Saharawi kämpfende, spanische Filmstar Javier Bardem („No Country For Old Men“) zusammen mit Alvaro Longoria den Dokumentarfilm Son Of The Clouds – The Last Colony gedreht, der auf der Berlinale am 16.2. Premiere haben wird.
Welche organisatorische und buchhalterische Disziplin alleinerziehende Mütter Tag für Tag aufbringen müssen, zeigt der mexikanische Regisseur Rodrigo Plá in La Demora (Die Verspätung, im Forum): Die Anti-Heldin der Geschichte ist berufstätige Mutter von drei Kindern und muss sich in ihrer engen Wohnung auch noch um ihren zur Demenz neigenden Vater kümmern. In einer schwachen Minute kommt die Entkräftete auf eine wahnwitzige Idee: Sie lässt ihren Vater in einem Wohnviertel zurück, wo sie hofft, dass sich schon irgendjemand um ihn kümmern wird. Doch schon bald holen Gewissensbisse die Frau ein und sie macht sich auf die verzweifelte Suche nach dem Ausgesetzten. Regisseur Plá vermeidet die üblichen Klischees eines Sozialdramas und bemüht weder laute Töne noch aufdringliche Bilder. Stattdessen lässt die behutsam erzählte und hervorragend gespielte Geschichte dem Zuschauer Freiräume, um über Begriffe wie Würde und individuelle Verantwortung in einer alternden, ökonomisch instabilen Gesellschaft nachzudenken.
Um Sex als Beruf geht es unter anderem in der amerikanischen Independent-Produktion Cherry im Panorama. Regisseur Stephen Elliott erzählt darin die klischeehafte Geschichte von einer jungen, hübschen Ausreißerin, die in der sündigen Großstadt fast unter die Räder gerät. Aber eben nur fast, denn das einzig Originelle bei Elliotts Variante ist, dass die 18-Jährige Angelina, die zur erotischen Fantasiefigur Cherry wird, trotz gewisser Naivität alles im Griff hat und feststellt, dass es in der Pornobranche oft ehrlicher zugeht als im wahren Leben. Das kann man für eine Verharmlosung halten, aber offenkundig wollte der Regisseur jeden Anflug von reißerischem Voyeurismus vermeiden – und konnte dafür neben der Newcomerin Ashley Hinshaw immerhin prominente US-Stars wie Heather Graham (Hangover) und James Franco (Spiderman 1+2) gewinnen.
Der zweite Panorama-Beitrag zum Thema käuflicher Sex, Elles, ist von einer jungen polnischen Regisseurin, Malgoska Szumowska, in Szene gesetzt, und bietet französischen Existentialismus anno 2012: Eine großbürgerliche, vom zunehmend spießigen Familienleben genervte Pariser Journalistin (überzeugend wie immer: Juliette Binoche) recherchiert für ein Frauenmagazin bei zwei Studentinnen über deren Erfahrungen als Gelegenheitsprostituierte eines Escort-Services. Das bietet Gelegenheit für die eine oder andere Pikanterie oder Provokation, aber insgesamt bleibt hier doch alles etwas zu schön anzusehen, als das der Zuschauer mehr lernen würde, als dass auch Journalistinnen und Prostituierte ganz normale Menschen mit sexuellen und anderen Problemen sind. Auch extravagant Aufgeschäumtes bleibt eben: Schaum. Wer zu dem Thema Gelegenheitsprostitution mehr erfahren will, sollte den noch in einigen Städten laufenden, österreichischen Film Tag und Nacht gucken.
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Max-Peter Heyne - 13. Februar 2012 (2) ID 00000005764
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
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