DAS MEER AM MORGEN / DEATH ROW (TODESTRAKT)
Die Regie-Altmeister Volker Schlöndorff und Werner Herzog zeigen Filme gegen die Todesstrafe
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La mer à l'aube | Calm At Sea | Das Meer am Morgen; Panorama; FRA/DEU 2011; REGIE: Volker Schlöndorff; Jean-Pierre Darroussin, Léo Paul Salmain (auf dem Foto) - (C) Berlinale
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Zwei Altvordere des deutschen Films, die sich international längst Meriten erworben haben, melden sich auf der Berlinale mit eindrucksvollen Filmen zurück und stellen alle Nachwuchsfilme mühelos in den Schatten: Ex-Babelsberg-Chef Volker Schlöndorff (72) und der in den USA lebende Werner Herzog (69) haben zwei sehr unterschiedliche Filme gedreht, die indes beide gegen die Vergeltung in Form der Todesstrafe plädieren. Schlöndorff inszenierte nach jahrelanger Abstinenz Das Meer am Morgen, die authentische Geschichte der Ermordung eines deutschen Besatzungsoffiziers in Nantes durch kommunistische Widerständler im Oktober 1941. Infolge des Attentats wurden auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers als Racheaktion 150 als politische Geiseln inhaftierte Franzosen hingerichtet.
Schlöndorffs Drehbuch basiert auf dem Schicksal des jüngsten der Delinquenten, dem damals erst 17-jährigen Guy Moquet, einer Erzählung Heinrich Bölls, der damals als junger Soldat an der Atlantikküste stationiert war, sowie eines erst kürzlich entdeckten Berichts des Schriftstellers Ernst Jünger, der in der Pariser Kommandantur Zeuge des Dramas wurde. Schlöndorff verzichtet weitgehend auf Emotionalisierungen und schildert stattdessen schnörkellos und im raschen Wechsel zwischen der Täter- und Opferperspektive die ungeheuerlichen Fakten. Dabei entlarvt er sowohl den kleinlichen Geist jener, die als Franzosen offen mit der Wehrmacht kollaboriert haben als auch die Bildungsbürgerlichkeit und das Ehrempfinden der deutschen Offiziere als lächerlich gewordene Attitüde innerhalb eines entmenschlichten Umfelds.
Zu den stärksten Szenen des Films zählt der Besuch des katholischen Landpfarrers – mit souveräner Würde verkörpert vom französischen Charakterdarsteller Jean-Pierre Daroussin – bei den Delinquenten kurz vor ihrer Erschießung. Offen und ohne Scheu tritt der Geistliche des überwiegend kommunistisch gesonnenen Männern gegenüber und versichert ihnen seiner Anteilnahme. Umgekehrt zollen auch die Gefangenen, darunter Jugendliche, Greise und Verkrüppelte, dem Besucher ungeachtet ideologischer Differenzen Respekt und übergeben ihm Briefe an ihre Angehörigen. Schlöndorff sagte vorab, wer in Hinblick auf die Finanzkrise über den europäischen Einigungsprozess schimpfe, solle bitte nicht die jüngste Vergangenheit vergessen und „sich erinnern, woher wir kommen“. Eine vom Fernsehsender ARTE produzierter Film, der statt im „Panorama“ auch gut in den Wettbewerb um die Bären gepasst hätte.
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Death Row. Portraits: Linda Carty, George Rivas and Joseph Garcia; Berlinale Special; USA/GBR 2012; REGIE: Werner Herzog; James Barnes (auf dem Foto) - © Werner Herzog Film GmbH
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Auch Regisseur Werner Herzog hat für seine vierstündige Dokumentation Death Row (Todestrakt), die bei einem amerikanischen Kabelsender als Miniserie und auf der Berlinale in kompletter Länge als „Special“ zu sehen ist, auf die erschütternde Wirkung bloßer Fakten vertraut: Herzog hat verschiedene, zum Tode verurteilte Häftlinge in amerikanischen Gefängnissen besucht und mit ihnen über die Hintergründe ihrer Taten und ihre Gefühle gesprochen. Dabei kommt Herzog vielleicht nicht der Wahrheit, aber doch den Biografien sehr nahe, die bei allen Unterschieden meist von häuslich erlittener Gewalt und Drogenmissbrauch geprägt sind.
Das nüchterne Protokollieren der Gespräche mit den Gefangenen, Angehörigen und Juristen reicht Herzog aus, um seine Abneigung gegenüber staatlich sanktionierter Tötung klar zu stellen. Denn er zeigt – unabhängig vom Grad der Schuld der Häftlinge – Menschen, die nicht zum Mörder geboren wurden und es nicht verdienen, das eine Bürokratie sie in den Abgrund des Todes stößt. Einmal widerspricht Herzog einem Interviewpartner, einer gestrengen US-Staatsanwältin, die ihm vorhält, er „vermenschliche“ eine zum Tode Verurteilte: „Ich vermenschliche sie nicht, sie ist schlicht ein Mensch.“
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Max-Peter Heyne – 9. Februar 2012 ID 5748
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
Post an Max-Peter Heyne
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