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Birds of Passage – Das grüne Gold der Wayuu erzählt die Entstehungsgeschichte der kolumbianischen Drogenkartelle. Der kolumbianische Regisseur Ciro Guerra feierte 2015 mit dem Film Der Schamane und die Schlange einen großen Erfolg, den er mit seinem neuen Werk vielleicht sogar übertreffen wird. Überraschend für eine Gangstersaga fängt der Film sehr spirituell an. Es ist das Jahr 1968, und die junge Zaida (Natalia Reyes) beendet gerade ein Jahr der Abgeschiedenheit, das sie unter Anleitung ihrer Mutter Úrsula (Carmina Martinéz) verbracht hat, einer Matriarchin des Wayuu-Stammes in Nordkolumbien. Damit hat Zaida ihre Initiation zur Frau abgeschlossen und kann heiraten. Bei einem rituellen Tanz erwirbt Rapayet (José Acosta) das Recht, um Zaida zu werben, da Úrsula ihm aber nicht traut, verlangt sie ein viel zu hohes „Brautgeld“, das aus Kühen, Maultieren, Ziegen und Halsketten besteht. Und damit nimmt das Unglück seinen Lauf. Die Co-Regisseurin Cristina Gallego hat die Geschichte der Wayuu sehr genau studiert und man merkt gerade zu Beginn die einfühlsame weibliche Hand in der Regie, die im Kontrast zur späteren Entwicklung steht. Guerra erklärt dazu: „Es ist ein komplett matriarchalisches System, in dem die Frauen alle Entscheidungen treffen und die ganze Last einer Gruppe auf ihren Schultern tragen.“

Rapayet hat sich die Ehe mit Zaida in den Kopf gesetzt und vertickt eine größere Menge Marihuana an ein paar Amerikaner vom Friedenscorps. Also steht er eines Tages mit allen geforderten Tieren und Schmuckstücken vor dem Haus. Wayuus dürfen ein gegebenes Wort nicht brechen und so findet die Hochzeit statt. Die beiden sind zu Anfang auch glücklich und bekommen Nachwuchs, bis sich die Forderungen nach immer mehr Marihuana zu einem riesigen und professionellen Drogenhandel ausweitet. Wurde das Gras zuerst mit einem einzelnen Esel transportiert, sind es jetzt ganze Karawanen von Lastwagen und sogar Flugzeuge. Mit dem Reichtum kommen auch die Gier und die Feindschaften, die im Lauf der Jahre zu wahren Gewaltexzessen führen. Für die spirituelle Weisheit und das gemäßigte und zufriedene Leben von einst ist kein Platz mehr. Die Rituale sind verschwunden, die Kommunikation mit den Geistern und Ahnen, und die prophetischen Träume auch. „Wir haben unsere Seele verloren, niemand beschützt uns mehr“, heißt es dann auch im Film.



Die Matriarchin Úrsula (Carmina Martinéz) kann sich der Gewalt nur mit bewaffneter Hilfe erwehren | © trigon film


Cristina Gallego sieht den Film als eine Metapher für Kolumbien: „Eine Familientragödie, die sich in eine nationale Tragödie verwandelt. Die Vergangenheit zu thematisieren, hilft uns zu verstehen, wo wir heute als Land stehen.“ 2016 hat es in Kolumbien einen Friedensvertrag zwischen FARC-Rebellen und der Regierung gegeben, wodurch das Land etwas zur Ruhe gekommen ist und einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. „Der Friedensprozess hat uns die Möglichkeit gegeben, einen langen und genauen Blick in unsere Vergangenheit zu werfen. Kolumbien ist ein Land, dessen Geschichte in den Köpfen seiner Bürger ausradiert wurde.“ So erfüllt der Film auch die Aufgabe einer Art Vergangenheitsbewältigung, denn das Ausmaß der gewalttätigen Ausschreitungen über Jahrzehnte war gerade in Kolumbien enorm.

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Im Film gibt es zwei Arten von Männern, die eine Art Prototyp darstellen. Rapayets Freund Moisés (Jhon Narváez) ist nur auf seine eigene Bedürfnisbefriedigung bedacht, säuft, kifft, rastet aus, mordet, und begreift die Folgen seines Handelns gar nicht. Er verfügt über keinen Intellekt. Ganz anders Úrsulas Sohn Leonidas (Greider Meza), der gescheit ist und von seiner Mutter über alles geliebt wird. Trotzdem ist er der Charakterlose, er ist sadistisch, quält Schwächere, vergewaltigt und mordet, auch schon mal ohne besonderen Grund. Seine Mutter verteidigt ihn immer wieder, versucht aber viel zu wenig, auf ihn einzuwirken. Wäre wahrscheinlich auch zwecklos. Die Spirale der Gewalt hat sich verselbständigt und Leonidas ist viel zu sehr dem Machtrausch verfallen, um sich selbst Einhalt zu gebieten.

Einzig Rapayet bemüht sich um Ausgleich, ist aber angesichts der wahnsinnigen Exzesse machtlos. Einst ging den Wayuus die Familie über alles, und Rapayet will immer noch seine Frau und seine Kinder schützen, auch Úrsula kämpft ums Überleben ihres Clans. Die Regisseure machen es sich aber nicht so einfach, die indigene Kultur einzig als Opfer externer Einflüsse darzustellen. Sie haben selber ihren Anteil am Verderben, auch wenn sie das gar nicht wollten. Darin hat die Geschichte die Universalität einer griechischen Tragödie. Der Film macht deutlich, dass eine Reihe kleinerer und persönlicher Fehlentscheidungen eine Lawine ausgelöst haben. Da sich viele nicht-kolumbianische Produktionen ebenfalls mit der Drogenmafia befassen, wie die Serie Narcos auf Netflix, ist es gut, hier die kolumbianische Sichtweise erleben zu können.
Helga Fitzner - 4. April 2019
ID 11327
Weitere Infos siehe auch: https://www.trigon-film.org/de/movies/Pajaros_de_verano


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