Die Entdeckung
des Herzens
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Bewertung:
Da ist er nun! Im Vorfeld wurde Der seidene Faden schon groß als der letzte Film mit dem britischen Schauspieler Daniel Day-Lewis angekündigt, der sich mit 60 Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Er gehört zu den wenigen Schauspielern, die drei Oscars als bester Hauptdarsteller gewinnen konnten: Für Mein linker Fuß (1989, Regie Jim Sheridan), in dem er den behinderten Schriftsteller und Maler Christy Brown verkörperte und seinen internationalen Durchbruch als Schauspieler feierte. Den dritten Oscar bekam er für Lincoln (2012, Regie: Steven Spielberg).
2007 schrieb er mit There Will Be Blood, wo er die Kehrseite des Kapitalismus beschreibt, Filmgeschichte und kassierte seinen zweiten Oscar dafür. Für die Regie, das Drehbuch und die Produktion war damals der US-Amerikaner Paul Thomas Anderson verantwortlich, in dessen neuem Film Der seidene Faden Day-Lewis nun seine Abschiedsvorstellung gibt. Das hochkarätige Duo ist für Überraschungen gut, denn nach dem eher action-geladenen Werk There Will Be Blood sind es nun fast ausschließlich die leisen Töne und subtilen Gesten, die den neuen Film ausmachen. Dafür hat es sechs Oscar-Nominierungen für 2018 gegeben, in fast allen Hauptkategorien, bester Film, beste Regie, bester Hauptdarsteller, Lesley Manville als beste Nebendarstellerin, sowie für die Filmmusik von Jonny Greenwood und das Kostümbild von Mark Bridges.
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Das London im Jahre 1955 müsste eigentlich von der Tristesse der Nachkriegszeit geprägt sein, denn noch gab es Lebensmittelrationierungen und Trümmer, und die Nachwirkungen des Krieges waren überall spürbar. Nicht so in Der seidene Faden. Hier steht im Jahr 1955 die Haute couture im Vordergrund, extravagante Mode, schöne Frauen und die Ästhetik. Der erfolgsverwöhnte Modeschöpfer Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) verfügt über Genialität und Inspiration, aber er ist auch ein egoistischer und autoritärer Pedant. Das bekommen seine diversen „Musen“ zu spüren, junge, gut gewachsene Frauen, die für ihn nicht viel mehr als lebendige Kleiderpuppen sind. Wenn sie ausgedient haben, kümmert sich Woodcocks omnipräsente Schwester Cyril (Lesley Manville in einer Paraderolle) um deren diskrete Entfernung aus dem Haus. Als Woodcock eines Tages in einem Hotel die Servierin Alma (Vicky Krieps) kennenlernt, läuft zunächst das gleiche Schema ab. Die aus Osteuropa eingewanderte junge Frau hat wohl nicht viel zu verlieren und lässt sich von Woodcock in sein Haus einladen. Der bittet sie sich auszuziehen, zunächst aber nur um sie zu vermessen und anzuziehen. Alma hat die perfekten Maße und eine ungeheure Standhaftigkeit und Geduld, wenn Woodcock stundenlang seine Kreationen an ihr austüftelt.
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Der besessene Modeschöpfer Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) kleidet seine neue Muse Alma (Vicky Krieps) ein | © Universal Pictures International Germany
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Nur dieses Mal läuft es anders, denn Alma lässt sich nicht aus dem Haus ekeln, und nach und nach entdeckt der narzisstische Woodcock sein eigenes Herz: nicht ohne die tatkräftige Nachhilfe von Alma... War Alma zunächst nur eine leere Projektionsfläche für seine Ideen, entwickelt sie zunehmend Entschlossenheit und Persönlichkeit. Sie liebt ihn und kämpft um diese Liebe. Beide ringen mit sich und dem jeweils anderen, mit den Unterschieden und Unvereinbarkeiten, aber auch mit den Höhen und Tiefen ihrer Gefühlswelten. Woodcock hatte eine sehr enge Beziehung zu seiner mittlerweile verstorbenen Mutter, da ist es für eine Partnerin schwer, einen Platz in seinem Leben zu gewinnen. Ausgeblendet werden die Kriegserfahrungen, die die Protagonisten alle gemacht haben müssen, dem werden Eleganz und Schönheit entgegengesetzt, die sich in der Wahl der Drehorte, Dekors, Räumlichkeiten und natürlich den atemberaubenden Kleidern widerspiegeln. In dem Film stimmt alles bis ins letzte Detail. Regisseur Anderson übernahm sogar die Kameraarbeit selbst. Der besessene Method-Actor Day-Lewis hat im Vorfeld natürlich das Schneidern, Drapieren und Nähen sorgfältig erlernt und formt so die Welt nach Woodcocks Vorstellung. Nur dass die Kleiderpuppe Alma lebendig ist und irgendwann den Spieß umdreht. Inmitten einer stark reglementierten und steifen Gesellschaft entwickeln sie eine wahrhaftige und lebendige Liebe zueinander, die auf gegenseitiger Akzeptanz und Achtung beruht.
Vicky Krieps spielt die Alma auf unverwechselbare Art. Sie wurde 1983 in Luxemburg geboren und lebt heute in Berlin. Auf globaler Ebene mag sie eher unbekannt gewesen sein, war aber häufiger in europäischen Produktionen zu sehen, wie Colonia Dignidad (2015) oder Der junge Karl Marx und anderen. Die Rolle der Alma erforderte eine junge Schauspielerin, die dem deutlich älteren und erfahreneren Day-Lewis als Gegenspielerin bis hin zur Ebenbürtigkeit gewachsen sein würde. Das schafft sie mit ihrer ungeheuren Präsenz. Als Frau, die um ihre Liebe kämpft, kann sie sich entwickeln und zieht dann alle Register. (Damit hätte sie durchaus eine Oscar-Nominierung verdient.) Die Chemie zwischen ihr und Day-Lewis stimmt aber auch und scheint von gegenseitigem Respekt getragen zu sein, der dem jeweils anderen auch Raum zu Entfaltung lässt. Das sind genau die Zwischentöne und die Spannung zwischen den beiden, die den Film so gut funktionieren lassen. Es entsteht eine Sinnlichkeit und innere Verbundenheit.
Der seidene Faden ist ein ästhetischer Genuss, der seinesgleichen sucht. Es ist ein würdevoller Abschied, der ein Verlust für die Schauspielkunst ist, und so bleibt nur noch der Dank an Daniel Day-Lewis für das eindrückliche und erlesene Filmerbe, das er uns hinterlässt. Alles Gute.
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Helga Fitzner - 31. Januar 2018 ID 10501
Weitere Infos siehe auch: http://upig.de/micro/der-seidene-faden
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