„Identität ist
ein sehr
fragiles
Gebilde.“
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Bewertung:
Doris Dörries neuester Kinofilm Kirschblüten & Dämonen lässt sich keinem Genre zuordnen und in keine Schublade pressen. Auch wenn die Vorgeschichte an Dörries Riesenerfolg Kirschblüten – Hanami (2008) angelehnt ist, nimmt das neue Werk seine ganz eigene Form an. Die Hauptfigur ist Karl Angermeier (Golo Euler), der jüngste Spross des verstorbenen Ehepaares Rudi (Elmar Wepper) und Trudi (Hannelore Elsner), von deren Geistern Karl heimgesucht wird. Arbeitete er vorher als Geschäftsmann in Tokio, lebt er jetzt wieder in Bayern, ist schwerer Alkoholiker, geschieden und darf selbst verschuldet seine Tochter nicht mehr sehen. Der völlige Absturz ist vorprogrammiert, bis eines Tages die Japanerin Yu (Aya Irizuki) an seine Tür klopft und bei ihm einzieht. Manchmal sieht es so aus, als würde sie Karl helfen, sich von seinen Dämonen zu befreien, dann ist es wiederum gar nicht so sicher, ob sie nicht selber einer ist. Sie ist diejenige, die vor 10 Jahren Karls todkranken Vater in Tokio gepflegt hat, der wiederum auf den Spuren der unerfüllten Träume seiner verstorbenen Frau dorthin gefahren war. Bei seinem in Tokio arbeitenden Sohn Karl fand er damals keinen Rückhalt. Karl wird durch Yu jetzt dazu angeregt, seine Familientraumata zu schauen.
Doris Dörrie, die ihre Drehbücher selber schreibt, ist seit den 1980er Jahren von Japan fasziniert und hat das in ihre Filme immer wieder einfließen lassen. Während der Dreharbeiten zu Grüße aus Fukushima befasste sie sich eingehender mit dem Geisterglauben in der japanischen Kultur und verbindet nun deutsche Vergangenheitsbewältigung mit japanischem Geisterkult. Die Japaner haben in der Regel keine so starke Trennung von Diesseits und Jenseits, so dass die Auseinandersetzung mit Dämonen für sie nicht so merkwürdig erscheint wie für Deutsche. Karl hat unter den Erwartungen seiner Eltern und den Schikanen seiner älteren Geschwister sehr gelitten. Die Mutter hat er geliebt, aber das Verhältnis zum Vater war problematisch, weil Karl ein „sensibles Kind“ war, wie Rudi immer abwertend meinte. Yu kehrt mit ihm in sein Elternhaus zurück, lehrt ihn, sich mit den Dämonen, sprich seinen Eltern, an einen Tisch zu setzen.
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Karl (Golo Euler) sitzt mit den Geistern seiner Eltern (Hannelore Elsner und Elmar Wepper) am Tisch | (C) Constantin Film Verleih GmbH
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Beide Großeltern waren Nazis, und seine Eltern haben schwerer an diesem Erbe getragen, als Karl bewusst war. Sein Bruder Klaus (Felix Eitner) ist Politiker bei der AfD und trägt das nationalistische Gedankengut weiter. Karls Neffe dagegen hat sich aus Protest ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowiert und reagiert damit unbewusst auf die nationalsozialistische Vergangenheit seiner Vorfahren.
Karl durfte in seiner Familie und später im Erwachsenenleben nie er selbst sein. Er versagte öfter dabei, das ihm zugewiesene Rollenverhalten an den Tag zu legen - insbesondere, wenn es um so genanntes männliches Gebaren ging. Nun traut er sich allmählich, seine sensiblere Seite zu leben. Doris Dörrie erklärt: „Das ist keine Transgendergeschichte, sondern eine Geschichte darüber, dass Identität ein sehr fragiles Gebilde ist und sich sehr stark über Erwartungen definiert.“ Die alten Rollenbilder befinden sich gerade in der Auflösung, aber: „Die Frage ist, wer bin ich, wenn es keine klaren Rollenprofile mehr gibt? Das kann Angst machen, denn da bin ich gefordert, herauszufinden, wer ich wirklich bin.“ Yu bildet für Karl eine Brücke, von seinem konstruierten Ich zu seinem wahren Ich zu finden. Dazu fliegt er nach Japan auf einer Art Selbstfindungsreise, wo ihm seltsame Dinge widerfahren. Wirklichkeit und Traum verschmelzen irgendwie, es ist auch möglich, dass sein Alkoholismus ihn halluzinieren lässt. Dörrie dringt auf atmosphärisch dichte Weise zu Karls Seelennöten vor. Kirschblüten & Dämonen ist ein ziemlich versponnener Film, ein Fest für die Kenner von Dörries Werken, aber er bleibt filmimmanent streckenweise unverständlich. Dörrie schafft es trotzdem, zwei derart unterschiedliche Kulturen gegenüber zu stellen und zu spiegeln. Der Spagat zwischen bayrischer Bodenständigkeit und fernöstlicher Spiritualität wirkt manchmal skurril und ist nicht ohne Humor. Das liegt auch an den wunderbaren SchauspielerInnen und einer Crew, die sich ein Stück weit auf ein filmisches Abenteuer eingelassen hat. Die japanische Schauspiellegende Kirin Kiki (Shoplifters) ist mittlerweile leider verstorben und hier in einer ihrer letzten Rolle zu sehen, getragen wird der Film von einer sehr intensiven und überzeugenden Darstellung der Protagonisten Golo Euler und Aya Irizuki.
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Helga Fitzner - 9. März 2019 ID 11268
Weitere Infos siehe auch: http://www.constantin-film.de/kino/kirschblueten-daemonen/
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