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Rezension

Wenn große Schauspieler so richtig in Fahrt kommen, ist Komik und Tragik nicht weit – zeigt die großartige Tragikomödie Molière auf dem Fahrrad




Alles was Du kannst, kann ich

viel besser

„Unser Charakter ist unser Schicksal“, hat der hochbegabte, leidenschaftliche, aber leider auch trunksüchtige Schauspieler Oskar Werner (der Jules aus Truffauts Jules et Jim, 1962) einmal zum Besten gegeben. Das Bonmot hätte aber auch aus der Feder des berühmtesten französischen Dramatikers Molière (1622-1673) stammen können, der in seinem Stück von 1966, Der Menschenfeind oder Der verliebte Melancholiker, wie so oft, mit einer psychologischen Dichotomie arbeitete: Dem sarkastischen, auf seine moralische Überlegenheit stolzen Adligen Alceste steht sein bester Freund Philinte gegenüber, der opportunistischer denkt, weil er die Abhängigkeiten vom französischen Hofe und gesellschaftliche Hierarchien insgesamt nicht verleugnet. Sich über den Rest der Mischpoke zu erheben und für etwas Besseres zu halten, kann sich eben nur jemand leisten, der es sich leisten kann.




(C) Alamode Film



Für den in Reife ergrauten, aber immer noch sehr attraktiven, eloquenten Schauspieler Gauthier Valance (Lambert Wilson) gilt die finanzielle Unabhängigkeit viel, die er sich als Titelfigur der (fiktiven) französischen Arztserie „Dr. Morange“ erspielt hat. Doch wer sich ein wenig mit Schauspielerseelen und der französischen Soziologie Pierre Bourdieus auskennt, weiß: Finanzielles Kapital ist nur die halbe Miete, das kulturelle Kapital will auch errungen sein, um als gesellschaftliche Größe ernst genommen zu werden. Der TV-Star Valance ist seiner ständigen Arztrollen überdrüssig und hat ehrgeizige Pläne: Er will Molières Menschenfeind auf einer Pariser Bühne neu inszenieren. Dafür aber braucht Valance einen fähigen Kollegen, seinen Philinte, dem er vertrauen kann. Also fährt Valance zu seinem ehemaligen Bühnenpartner Serge Tanneur (Fabrice Luchini), der sich nach psychischen Problemen und einem Ausraster an einem Filmset schon jahrelang in ein Haus auf einer kleinen Atlantikinsel zurückgezogen hat. Hier gibt der gekränkte Mime vor, Kraft zu schöpfen, suhlt sich de facto aber in Selbstmitleid und Misanthropie.




(C) Alamode Film



Damit wird klar: Tanneur ist der eigentliche Molièrsche Alceste, der überhebliche, rigorose Menschenfeind, während Valance den adäquaten Philinte ergibt: jemand, der seiner Karriere und des Geldes willen kommerzielle Kompromisse eingeht. Tanneur erkennt die drohende Fehlbesetzung sofort, aber er hat die Eitelkeit des Kollegen unterschätzt, der natürlich selbst die Titelrolle spielen will, wenn er den französischen Klassiker schon inszeniert. Tanneur wiederum weiß um seine Fähigkeiten und hat deswegen auch Lust, seinen Beruf wiederaufzunehmen. Aber gegenüber seinem Freund ziert er sich erst einmal, will geschmeichelt und umgarnt werden. Doch der Wunsch, dem Publikum und der Fachwelt noch einmal zu zeigen, was in ihm steckt, ist stärker als alle Skepsis, und so willigt Tanneur relativ rasch in die Pläne des Freundes ein. Und der Großstädter Valance verträgt zwar das raue Klima der Insel anfangs nicht, lässt sich dann aber sowohl darauf als auch auf Tanneurs schrullige, besserwisserische Art ein. Beide eint die Liebe zu Molières Meisterschaft, zum gesprochenen Wort, zum Theater.
So wie sich Valance und Tanneur geeinigt haben, bei den Proben abwechselnd den Alceste und den Philinte zu geben, so spielen sich auch die beiden großartigen französischen Mimen Wilson und Luchini die verbalen Bälle zu, entwerfen mit großem Spielvergnügen zwei Prototypen ihres Berufes und wecken vor allem die Lust an den Alexandrinerversen Molières, indem sie mitten im Rezitieren immer mal wieder "aus der Rolle fallen" und verblüffende Bezüge zwischen ihren jeweiligen Figuren und ihrem jeweiligen Charakter und zwischen dem alten Text und dem Hier und Heute herstellen. Guten Schauspielern bei ihrer Arbeit zuzusehen ist an sich schon ein Vergnügen. Wenn es aber mit so viel Liebe zum Text und zu den Details (Wilson trägt feine, feminine Cashmeer-Pullis, Luchini abgewetzte Allwetterwesten) geschieht wie im Film Philippe Le Guays (Nur für Personal), wird ein Meisterwerk gallischen Esprits daraus. Die Proben werden zu einem freundschaftlichen Duell – wobei Duell keineswegs übertrieben ist, denn der Friede, den die so unterschiedlichen Schauspieler der Sache wegen schließen, ist ein äußerst brüchiger. Eitelkeiten, Ehrgeiz und Eifersucht lassen sich noch gerade im Zaume halten, aber wenn eine Frau – noch dazu eine Italienerin – hinzu kommt, ist alle Hoffnung auf Rationalität vergebens und die Rivalität gewinnt die Oberhand. Anders als Alceste, der seine Célimène im Menschenfeind letztlich vergeblich umwirbt, gewinnt Valance in Molière auf dem Fahrrad zwar das Herz der Begehrten – aber er verliert alles andere. Und auch der wahre Menschenfeind trägt nur einen Pyrrhussieg davon. Vorhang!




(C) Alamode Film



Bewertung:    


Max-Peter Heyne - 5. April 2014
ID 7730

Post an Max-Peter Heyne



 

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