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Hollywood

In seinem achten Kinofilm demontiert Quentin Tarantino gnadenlos die uramerikanische Mentalität des bewaffneten Law-and-Order-Denkens



Bewertung:    



Nach The Revenant von Alejandro González Iñárritu ist mit Quentin Tarantinos The Hateful 8 der zweite große Schneewestern des Jahres in die deutschen Kinos gekommen. Auf den 156 Minuten währenden Rache- und Überlebenskampf von Leonardo DiCaprio legt Kultregisseur Tarantino für sein neuestes, in 70mm Panavison gedrehtes Kinowerk nochmal 11 Minuten drauf und erreicht mit der um weitere 20 Minuten längeren Originalfassung immerhin satte 187 Minuten. Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches. Der Meister des gut gemachten Trashs hat sich, was die Länge seiner Filme betrifft, seit seinem 1992 erschienenen Erstling Reservoir Dogs (95 Minuten) stetig gesteigert. Und was die expliziten Gewaltszenen betrifft, werden die Fans des Splatter-Movies in The Hateful 8 ebenfalls auf ihre Kosten kommen. Auch wenn man nach dem Motto „Warten steigert das Verlangen“ diesmal etwas mehr Geduld zeigen muss. Wirklich langweilig wird es allerdings auch in den ersten zwei Dritteln des Films nicht.

Fing Iñárritu die Weite der Bergwelt im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten um 1824 mit einer hochauflösenden Digitalkamera ein, so leisten sich Tarantino und sein Kameramann Robert Richardson den Luxus eines analogen, fast ausgestorbenen 70mm-Super-Breitwand-Formats. The Hateful 8 spielt einige Jahrzehnte später nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg in Wyoming. Gedreht wurde in Colorado auf den Spuren des großen Western-Helden John Wayne. Tarantino frönt also auch in seinem achten Werk dem Hang für die Filmgeschichte. Noch mehr als an Zitaten aus alten Genre-, Trash- und B-Movies berauscht sich der Regisseur allerdings diesmal an sich selbst. Kenner werden unschwer Verweise auf Themen, Stilmittel und andere kleine Details aus Tarantinos bisherigem Filmschaffen finden.

Wenn man so will, ist es nicht das sogenannte verflixte siebte Jahr, das ihm zu schaffen macht, sondern lässt sich der Titel The Hateful 8 durchaus auch als der „verhasste“ achte Film verstehen - ein selbstironischer Rückblick auf fast 25 Jahre als Regisseur und Drehbuchautor. Und was in diesem Film so hassenswert oder verabscheuungswürdig daherkommt ist, gebannt auf anachronistisches Filmmaterial, die nicht totzukriegende, uramerikanische Mentalität, Recht und Gewalt als Mittel zur Ordnung selbst in die Hand zu nehmen. Und so zieht sich das Rachemotiv wie ein roter Blut-Faden durch die Filme Quentin Tarantinos. Wobei das Zählen nicht zu den Stärken des Regisseurs zu gehören scheint. Genau wie die Anzahl von acht Filmen, ist auch die Anzahl der Figuren in The Hateful 8 relativ und nach Belieben erweiterbar.

Und so treffen sich in der gottverlassen Schneewüste Wyomings zum dräuenden Soundtrack von Altmeister Ennio Morricone all die Gewalt und Bosheit, Dummheit und Verschlagenheit sowie der Hass und Rassismus aus über 200 Jahren Land of the Free and Home of the Brave, vertreten durch zunächst einmal acht ganz instinktgetriebene Archetypen. „Einer von denen, ist nicht das, was er vorgibt zu sein", vermutet etwas später John Ruth (Kurt Russell), der rücksichtslose Kopfgeldjäger mit Hang zum Henken, der um seine 10.000 Dollar fette Beute bangt, die in der Person von Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) als lebendes Anhängsel an sein Handgelenk gekettet ist. In Ruth‘ Kutsche nach Red Rock steigen noch der schwarze Kopfgeldjäger und Ex-Nordstaaten-Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) mit drei bereits steif gefrorenen Beutestücken und der sich als neuer Sheriff von Red Rock vorstellende Sohn des ehemaligen Anführers der Mannix-Marodeure aus den Südstaaten, Chris Mannix (Walton Goggins).

Alte Animositäten brechen auf, und das Territorium wird sofort verbal neu abgesteckt. Handfest einstecken muss zunächst nur die Gefangene, der im Lauf des Films noch ganz andere Sachen ins Gesicht fliegen werden. Der Film und seine Männerwelt gehen nicht gerade zimperlich mit dem „Miststück“ um. „Bastarde müssen hängen“, ist einer der Lieblingssätze des angehenden Sheriffs. Und in Minnies Miederwarenladen, in dem die Gruppe vor einem aufkommenden Schneesturms Zuflucht sucht, warten schon der englisch näselnde Henker von Red Rock, Oswaldo Mobray (Tim Roth), der geheimnisvolle Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), der wie ein (noch) lebendiges Inventarstück wirkende alte Südstaaten-General Sandy Smithers (Bruce Dern) und der zwielichtige Mexikaner Bill (Demián Bichir), der vorgibt, Minnies Laden vorübergehend zu führen. Sie und der eher unbeteiligte Kutscher O.B. (James Parks) komplettieren die „Hateful Eigth“, die sich nun in der klaustrophoben Enge der Blockhütte gegenseitig belauern. Schöner Running Gag ist dabei die kaputte Eingangstür, die immer wieder aufgetreten und zugenagelt werden muss.

Die alle bereits in mehreren Filmen von Quentin Tarantino aufgetretenen Darsteller treiben, nachdem sie Norden, Süden und eine neutrale Zone markiert haben, ein mehr oder minder lustiges Spielchen aus Verdächtigungen, Erniedrigungen und Beleidigungen, denen nicht nur die Frau ausgesetzt ist, auch der nach Belieben mit dem N-Wort belegte Major Warren kommt dabei nicht zu kurz. Er revanchiert sich mit einer besonders perfiden Racheschilderung und ist auch ansonsten nicht untätig in der Hölle des weißen Mannes, in der er sich nur sicher fühlt, wenn er ihn entwaffnet weiß. Seine selbst gelöste Eintrittskarte in die Gesellschaft trägt er als Brief von Abraham Lincoln bei sich, der ihm in gewissem Maße Respekt wie auch Verachtung einträgt. Das hier trotz Afroamerikaner und Mexikaner der Nativ American im Gegensatz zu The Revenant überhaupt keine Rolle mehr spielt, ist geradezu bezeichnend.

In seiner kammerspielartigen Szenerie verliert der Film nie ganz seine Spannung. Dafür sorgen vergifteter Kaffee, reichlich Blutstürze, unerwartete Wendungen und eine Rückblende zur Aufklärung der allerwildesten Befürchtungen. Tarantino greift dabei auf bewährte Erzählstrukturen zurück. In Kapiteln, teilweise mit Erzähler und in einem detailreichen Plauderton, läuft die Maschinerie in Richtung gewohnt splattrigem Showdown, bei dem der Regisseur mit allem aufräumt, was sich von Amerika noch träumen lies. Weder Schwarz noch Weiß retten diese Welt, die sich mit Wonne in ihren Urinstinkten suhlt. Mit dem Diskurs um den Unterschied von Gerechtigkeit und Lynchjustiz ist es bei allen trotz rudimentärer Ahnungen nicht weit her. Anschaulicher und kunstvoller lassen sich Gewaltexzesse dieser Art nicht zelebrieren.



The Hateful 8 | (C) The Weinstein Company
Stefan Bock - 2. Februar 2016
ID 9110
Weitere Infos siehe auch: http://thehatefuleight.com/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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