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Filmbiografie

Stefan Zweig

und seine

Jahre im

amerikanischen

Exil



Bewertung:    



Über sechs Jahre hat Maria Schrader an ihrem zweiten Kinofilm Vor der Morgenröte gearbeitet. Damals gab es noch nicht einmal den syrischen Bürgerkrieg - geschweige denn dass man in Europa eine Ahnung davon gehabt hätte, was der IS ist. Und dennoch schlägt dieser Film über den österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig als Flüchtling vor der Nazidiktatur aktuell ein wie eine Bombe.

Der Film betrachtet in lose aneinandergereihten Episoden Zweigs Jahre im Exil auf dem amerikanischen Kontinent von 1936 bis zu seinem Freitod 1942 in Brasilien. „Ein halber Kontinent möchte auf einen anderen flüchten, wenn er könnte.“ sagt der Schriftsteller (Josef Hader) in einer Szene mit seiner ersten Frau Friderike (Barbara Sukowa), die ihn mit zahlreichen Bittgesuchen von Bekannten aus der ehemaligen Heimat für amerikanische Visa konfrontiert. Das ist ein Zwischenspiel in New York. Zweig trifft nach Jahren seine Exfrau und deren Töchter wieder und ist sichtlich erschüttert von deren Schilderungen über die beschwerliche Flucht über die Pyrenäen und die Szenen vor der Abfahrt des Schiffes mit Flüchtlingen, die Visa über ein Liste von Eleanor Roosevelt erhalten hatten, in die USA. Nun zählt man auf ihn. Seine Stimme hat Gewicht.

Einige Jahre zuvor, 1936 - Zweig weilt zum P.E.N.-Kongress in Buenos Aires - , gedenkt der deutsche Schriftsteller und Publizist Emil Ludwig (Charly Hübner) - wie Zweig ein literarischer Biograf von Persönlichkeiten seiner Zeit sowie der Welt- und Kunstgeschichte - in seiner Rede den deutschsprachigen Mitgliedern, die noch auf der Flucht sind und von denen man noch nicht genau wusste, ob sie es geschafft haben. Darunter bekannte Namen wie Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Anna Seghers und Walter Benjamin, dessen Schicksal beispielhaft für jene steht, denen die Flucht aus Europa nicht geglückt ist.

Zweig zeigt sich hier beschämt ob dieser klaren Stellungnahme zu den politischen Vorgängen in Deutschland, zu denen er sich als Pazifist und Künstler nicht berufen fühlt und die er sich zuvor bei einer Pressekonferenz auch nicht entlocken lässt. „Jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich birgt und keine Wirkung hat, ist nichts als geltungssüchtig." ist seine Antwort auf das Drängen eines jungen jüdischen Journalisten (André Szymanski). Zweigs Waffe ist sein Werk, wie er betont. Seinen Einfluss, den er als weltweit verlegter Schriftsteller genießt - der Film macht das mit der Anfangsszene eines großen Banketts zu Ehren des Autors in Brasilien klar - will er nicht politisch ausschlachten.

Zweig ist ein Mensch des Ausgleichs. Auch wenn er die Meinungsfreiheit als hohes Gut schätzt und verteidigt, wird er nicht das Wort gegen Deutschland erheben. Und sein Buch über die neue Exil-Heimat Brasilien ist eine Liebeserklärung, die ihm vor allem von linken Kritikern übel genommen wird. Im südamerikanischen Staat sieht Zweig die Utopie eines geeinten Europas verwirklicht, ohne Unterschied von Hautfarbe, Rasse und Religion. Das ist dann angesichts einer Reise in die Region des Zuckerrohranbaus mit seiner zweiten Frau Charlotte (Aenne Schwarz) schon recht fragwürdig. Zumindest deutet der Film die Gegensätze des Bildungsbürgers und der ländlichen, schwarzen Landarbeiterbevölkerung an. Vom heimischen weißen Bürgermeister wird er dann wieder als internationale Persönlichkeit mit schwarzer Blaskapelle und einem schrägen Donauwalzer geehrt.

Zweig bleibt auch im südamerikanischen Exil ein europäischer Intellektueller, liberal eingestellt, aber wenig reflektiert gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen. Und das verbindet ihn unter den europäischen Flüchtlingen wohl noch eher mit Thomas Mann als mit Ernst Bloch oder Bertolt Brecht. Natürlich verfolgt Zweig das Geschehen in Deutschland in der im brasilianischen Exil erhältlichen internationalen Presse. Das und die Berichte der deutschen Flüchtlinge deprimieren ihn allerdings zunehmend. „Es gibt keine Opposition gegen den Krieg als solchen, in keinem Land“, ist das tief enttäuschte und melancholisch gefärbte Credo des Humanisten Zweig. Selbst der Blick in die paradiesischen Pflanzenwelt seiner Zuflucht in Petrópolis lässt ihn verzweifeln vor dem Unglück der Anderen. Trotz allem spricht er dem mit seinem Exilantenschicksal hadernden Berliner Journalisten Ernst Feder (Matthias Brandt) ironisch Mut zu. Man könnte es schlimmer treffen.

„Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht!" steht in Zweigs Abschiedsbrief, den Ernst Feder am Ende des Films verliest. Der Glaube an ein freies Europa ohne Grenze und Pässe ist Stefan Zweig abhandengekommen. Er hat ihn in eine ferne Zukunft, ein anderes Leben verschoben, dass es auch heute noch gelebt werden will. Die zweigeteilte Kameraeinstellung, der indirekte Spiegelblick auf das Paar auf der einen und die trauernden Freunde im Nebenraum auf der anderen Seite, scheidet klar die Lebenden von den Toten.

Schraders Film ist kein Biopic im üblichen Sinne. In langen, fast meditativen Einstellungen fängt er mehr Stimmungen ein, als dass er über historische Fakten informiert. Es ist der Zwiespalt des Künstlers zwischen politischem Engagement und Dienst am künstlerischen Werk, zwischen Empathie und Hilflosigkeit. Zweig kann zwar in der Fremde weiter publizieren, glaubt aber nicht mehr an die Kraft seiner Worte. Der österreichische Kabarettist und Schauspieler Josef Hader verkörpert die innere Zerrissenheit und Depression des Intellektuellen kongenial. Er ist ein Glück für diesen Film. „Hader ist Zweig“, titelte ganz Wien. Josef Hader ist Stefan Zweig und ist es auch wieder nicht, genauso wenig wie Armin Mueller-Stahl je Thomas Mann oder Bruno Ganz Adolf Hitler waren. Und doch wird man beim Namen Stefan Zweig in Zukunft Josef Hader vor Augen haben.



Josef Hader als Stefan Zweig in dem biografischen Filmdrama Vor der Morgenröte | (C) X Filmverleih

Stefan Bock - 9. Juni 2016
ID 9369
Weitere Infos siehe auch: http://www.vordermorgenroete.x-verleih.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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