EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
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Aufgeweckt
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Bewertung:
„Die entscheidende Frage dieser Geschichte: Bleiben Opfer ewig Opfer und Täter ewig Täter?“ erklärt Andreas Gruber, der Regisseur von Hannas schlafende Hunde. Wie die 1956 geborene Autorin der erfolgreichen Romanvorlage, Elisabeth Escher, wurde auch Gruber am Handlungsort geboren. Im oberösterreichischen Wels der 1960er Jahren haben die Alt-Nazis schon längst für sich entschieden, dass sie die Opfer sind. Sie fühlen sich durch die Siegermächte unterdrückt, weil sie ihre politische Überzeugung nicht mehr ausleben dürfen. Sie halten auch zwanzig Jahre nach Kriegsende Kameradschaftsabende ab, in denen sie sich in Selbstmitleid und Wehleidigkeit suhlen. Einsicht und Selbstreflexion sind ausgeschlossen.
Katharina Berger und ihre Mutter Ruth Eberth sind jüdischer Abstammung und haben in Wels die Shoah überlebt. Sie haben einen hohen Preis dafür gezahlt und lebten damals wie jetzt mitten unter den Tätern. Katharina Berger (Franziska Weisz) hat einen Österreicher geheiratet, geht eifrig in katholische Messen und lässt ihre zwei Kinder unter dem Leitspruch „Wir fallen nicht auf“ aufwachsen.
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Bei Bergers wird so getan, als ob nie etwas gewesen wäre | © Alpenrepublik GmbH
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Aber da hat sie die Rechnung ohne ihre aufgeweckte Tochter Hanna (Nike Seitz) gemacht. Als Katharina ihr etwas völlig Harmloses verbietet, nämlich an einem Gesangswettbewerb der katholischen Kirche teilzunehmen, ist Hannas Neugier geweckt. Unterstützt von ihrer Großmutter Ruth (Hannelore Elsner) geht sie den Sachen auf den Grund. Eines Tages erfährt Hanna, dass sie Jüdin ist, und als sie dem Pfarrer Angerer (grandios von Johannes Silberschneider gespielt) das in der Beichte eröffnet, erfährt sie, dass – nach katholischer Ansicht – die Juden Jesus umgebracht haben. (Dass Jesus Jude war, wird ihr nicht erklärt). Hanna schweigt seitdem. Einzig ihre Großmutter bringt sie wieder zum Reden und erklärt ihr, dass Jüdisch-Sein gar nichts Schlimmes ist.
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Hanna (Nike Seitz) und ihre Großmutter (Hannelore Elsner) verstehen sich | © Alpenrepublik GmbH
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Als Hanna eines Tages etwas aus dem Keller holt, versucht der Hausmeister sie zu vergewaltigen. Sie kann ihm zwar entkommen, aber er beschimpft das 9jährige Mädchen als Judenschlampe. Hanna macht daraufhin genau das, was ihre Mutter will. Sie schweigt. Nur nicht auffallen. Die Mutter ahnt, was geschehen ist und schweigt ebenfalls. Hanna wird auch Zeugin, wie ihr Cousin von seinem gewalttätigen Vater geschlagen wird. Dass der Frau und Kind schlägt, ist keine Seltenheit, aber immer wieder wird der Mantel des Schweigens darüber gelegt, und Hannas Tante kehrt zu ihm zurück. Allmählich fängt Hanna aber an, das Schweigen in Frage zu stellen, und es beginnt eine Zeit, in der die Ereignisse offenbart werden, warum die Großmutter blind geworden ist, warum Hannas Mutter ihren ehemaligen Chef so hasst und was Hannas Vater verschwiegen wird. Dann schafft Hanna es auch, sich im Unterricht der Frau Dobringer zu widersetzen, indem sie sich eine KZ-Nummer auf den Unterarm malt. Sie hat sich mit ihrer jüdischen Identität auseinander gesetzt und geht offensiv damit um. Auch Hannas Mutter Katharina erwacht langsam aus der Erstarrung, gewinnt den Mut, ihren ehemaligen Chef zu konfrontieren und spricht sich mit ihrem Mann aus.
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Hanna (Nike Seitz) lässt sich von Frau Dobringer (Michaela Rosen) nicht länger herunter machen | © Alpenrepublik GmbH
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Wir gehen in der Reihe EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM der Frage nach, wie man mit dem schweren Erbe der Judenvernichtung umgehen kann und sind bei der Besprechung von Titos Brille schon auf die transgenerationale Weitergabe von Traumatisierungen eingegangen. Statistiken zufolge geschieht das bei 65 Prozent der Nachfahren. Dabei werden unwissentlich die Traumatisierungen der Eltern auf deren Kinder übertragen. Hanna gehört ganz offensichtlich zu den 35 Prozent, die dafür nicht anfällig sind.
Andreas Gruber fasst zusammen: „Hanna erlebt, dass es sinnlos ist, von diesen verbohrten Ewiggestrigen Einsicht oder gar späte Verantwortung zu erwarten. Aber ihr gelingt so etwas die Emanzipation gegenüber ihrer eigenen Geschichte. (Die Literaturwissenschaftlerin) Ruth Klüger benennt den Ausweg so: die Alternative zum Opfer sein heißt eben nicht Täter werden, sondern frei sein.“
Ein Beispiel für diese Freiheit ist Großmutter Ruth, die durch die Schuld eines Nazis erblindet ist, trotzdem aber nicht am Leben verzweifelt oder nach persönlicher Rache sinnt. Allerdings gibt es eine sehr intensive Szene im Film, in der einer ihrer ehemaligen Peiniger den Flammentod stirbt, wo der Rauchgeruch zum Fenster herein weht und sie sagt: „Es riecht nach Gerechtigkeit.“ Ruth steht also noch in Verbindung zu ihrem Schmerz und ihren Gefühlen, aber durch die Annahme derselben steht sie gewissermaßen auch über ihnen.
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Helga Fitzner - 9. Juni 2016 ID 9368
Weitere Infos unter http://www.hannasschlafendehunde-film.de/
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