EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
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Interview mit
Robert Schindel
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Gerechtigkeit
Kultura extra:
Als Gebirtig gebeten wird, in Wien gegen den „Schädelknacker von Ebensee“ auszusagen, wehrt er zuerst ab. Er sagt, er glaube schon lange nicht mehr an Gerechtigkeit. Teilen Sie persönlich auch diese Meinung?
Robert Schindel:
Na gut, der Gebirtig sagt das ja aus Enttäuschung, aus abgewiesener Liebe zu Wien, weil sie ihn nach dem Krieg nicht zurückgerufen haben und ihn links liegen gelassen und sich überhaupt nicht gekümmert haben. Da ist von all dem ein bisserl drinnen, auch von dem, was ich selbst denke.
Kultura extra:
Im Roman bleibt das Ende ganz offen, da fährt Gebirtig nach dem Prozess zurück nach New York und wir wissen nicht, was er danach macht. Ist es ihm trotzdem gelungen, sich irgendwie der alten Verwundung zu stellen?
Robert Schindel:
Ja, er hat gemerkt, dass in Wien nicht die Leute mit Messern im Mund herumrennen, wie er sich das gedacht hat. Und der Dauer-Ton, der moll-Ton in seiner Brust, ist weg und deswegen sagt er dann auch, jetzt bin ich eigentlich wirklich dort, wo ich bin. Vorher war ich zwar zufällig in einer Wohnung am East River, aber tatsächlich immer noch im Lager. Das ist jetzt weg. Er hat Vertrauen gewonnen, einen Freundeskreis gefunden und kommt jetzt in Wien zurecht. Seine einstige Liebe zu dieser Stadt, die ja nicht weg ist, sondern verdrängt war, lag unter einer Bleischicht. Und die ist geschmolzen und da ist natürlich die Liebe zu dieser Stadt wieder herausgekommen.
Kultura extra:
Der Film lässt das ja offen, aber wird Gebirtig in New York fortan ein leichteres Leben führen?
Robert Schindel:
Ich bin mir nicht sicher. Nachdem der Freispruch in Wien passiert ist, kann er in
dieser Stadt nicht mehr leben. Soweit ging die Beschädigung dann doch. Aber in New York kann er vielleicht doch ein etwas entspannteres Leben führen als vorher.
Kultura extra:
Als der KZ-Arzt freigesprochen wird, ist am Ende die Gerechtigkeit auf der Strecke geblieben. Was bedeutet das für einen Juden?
Robert Schindel:
Für Juden, für die religiösen, wie auch für die nicht-religiösen Juden, stellt Gerechtigkeit die höchste Kategorie dar, lange noch vor der Liebe oder dem Glauben. Jeder hat ein Anrecht auf einen angemessenen Teil von dem, was er sich erworben hat, und er soll auch teilhaben an dem, was es in der Welt an Gütern gibt. Diese Lehre ist unser hohes Gut. In unseren religiösen Schriften, der Thora und auch im Talmud, gibt es irrsinnig viele Kapitel über Gerechtigkeit. Der Spruch „Aug um Auge, Zahn um Zahn“, den Antisemiten so gern gegen die Juden verwenden, heißt in Wirklichkeit ja nur „büßen und angemessen entschädigen“. Aug für Auge, und nicht Leben für Auge. In der altbiblischen Welt war das damals schon ein gewaltiger Schritt in Richtung Zivilisierung und Pazifizierung. Das ist ein hohes Gut. Dem nachzustreben und es zumindest in seinem eigenen Leben so einzurichten, dass man das wenigstens bei den Leuten anwendet, mit denen man verkehrt, das ist mir schon wichtig.
Umgang mit der Vergangenheit
Kultura extra:
Die Deutschen und die Juden verbindet eine belastete gemeinsame Geschichte. Gibt es in Ihren Augen etwas, was man als deutscher oder österreichischer Nicht-Jude tun könnte, um zur Aussöhnung beizutragen?
Robert Schindel:
Da gibt es den berühmten Satz von Adorno, der quasi eine Abwandlung des Kantschen Kategorischen Imperativs ist, der lautet so: Handle so, dass die Grundlegung deines Handelns jederzeit die Basis für ein bürgerliches Gesetzbuch sein kann. Und Adorno hat ihn abgewandelt und gesagt: Handle so, dass Auschwitz sich nicht wiederholt. Das ist schon eine gewaltige Sache, die wir natürlich anwenden können, ob es jetzt die Wirren im Kosovo oder in Bosnien waren, ob das jetzt der Irak-Krieg ist, wir können überall an bestimmten Regierungen und ihren Handlungsethiken diesen Imperativ anwenden.
Kultura extra:
Halten Sie die Reaktion der Filmfigur Konrad Sachs, der die Verbrechen seines Vaters in der Zeitung veröffentlicht, für eine reelle Möglichkeit der Aufarbeitung?
Robert Schindel:
Ich weiß nicht, ob das im Film so raus kommt, aber der Konrad Sachs ist eigentlich meine Lieblingsfigur. Der ist Täterkind und gleichzeitig ganz unschuldig. Der hat’s ja noch viel schwerer als die überlebenden Opferkinder. Man kann sich ja im Opferdasein relativ bequem einrichten, das haben auch einige gemacht. Man kann sich den Mantel der Selbstgerechtigkeit anziehen und kann dann urteilen, obwohl man selber nie in einer Situation war, wo man bestimmte Entscheidungen fällen musste. Wenn man von der Nazi-Seite kommt – es gibt ja ein Vorbild für den Konrad Sachs, meinen Freund Niklas Frank *: Der hat sich wahnsinnig schwer getan und hat sehr lange gebraucht, bis er überhaupt gesagt hat, wer er ist. Weil er gedacht hat, nur durch die Gnade der späten Geburt wäre er kein Verbrecher. Sonst wäre er mit Sicherheit ein Verbrecher geworden. Er musste einen Weg finden, sich irgendwie mit der Geschichte zu versöhnen und gleichzeitig eine Position einzunehmen, die eben in Richtung „Handle so, dass Auschwitz sich nicht wiederholt“ geht. Das ist doch viel bewundernswerter.
* Niklas Frank ist ein Reporter des Magazins „Stern“, der 1987 über die Vergangenheit seines Vaters schrieb, der hochrangiger SS-Arzt war.
Identität
Kultura extra:
Aber Sie waren ein „Opferkind“. Wie haben Sie das verarbeitet? Sie haben einmal gesagt, dass das Schreiben eine Art „Angstbannung“ bei Ihnen bewirkt.
Robert Schindel:
Ja, das gilt auf jeden Fall für die Arbeit an „Gebürtig“. Wahrscheinlich war das auch so eine Art Kaddisch, ein Totengebet für meine umgebrachte Familie und ein Versuch, mich damit auseinanderzusetzen: Wer bin ich in dieser Welt? Wo komm ich her? Wo geh ich jetzt hin aufgrund dieser Prägungen, die ich habe? Wie hätte ich gehandelt, wenn ich auf der anderen Seite gestanden wäre? Das fragen sich manche, vielleicht wären wir ja auch irgendwelche Nazis geworden, wenn wir damals 1933 siebzehn, achtzehn Jahre alt und nicht-jüdisch gewesen wären. Diese Auseinandersetzung, damit auch eine Aufarbeitung dieses ganzen Sachverhaltes auf eine möglichst nicht selbstgerechte Art stattfindet, das war mir wichtig.
Kultura extra:
Wenn Sie bei der Beschreibung Ihrer Identität eine Rangordnung aufstellen müssten, von welcher Bedeutung wäre das Judentum?
Robert Schindel:
Das ist sehr schwer zu sagen. Ich glaube, ich bin in erster Linie Schriftsteller, weil es das ist, was halt ich immer gemacht habe, seit ich schreiben kann, seit meinem achten Lebensjahr. Da war ich noch kein guter Schriftsteller, aber da hab ich schon gefühlt, dass ich schreiben werde. Dann würde ich sagen, bin ich Mann. Und von dem abgesehen, habe ich vielleicht auch Ansätze zum Menschen. (Anm. d. Red.: die letzte Bemerkung wurde schmunzelnd und mit ein wenig Wiener Schmäh vorgetragen.)
Sühne
Kultura extra:
Das Ende des Films ist ja nicht fiktiv. Es hat in der Realität wirklich etliche Freisprüche von Nazis gegeben. Wie haben Sie das seinerzeit erlebt?
Robert Schindel:
Ich habe mich sehr darüber aufgeregt und in einem Essay geschrieben: „SS-Männer als Geschworene verkleidet“. Die waren alle vorher Nazis. Die Richter, die die Geschworenen ausgesucht haben, waren auch nicht so weit weg von den Nazis.
Kultura extra:
Wenn heute noch Nazis gefangen würden, wären die mittlerweile zu alt, um noch haftfähig zu sein?
Robert Schindel:
Mir ist das ehrlich gesagt wurscht. Mir kommt’s aufs Urteil an. Und nachher soll er meinetwegen bloß in Hausarrest gehen. Es wird niemand wieder lebendig. Für das, was er getan hat, soll er aber ein Urteil haben. Ob man ihn dann begnadigt oder ihn angesichts des Gesundheitszustandes zu Hause lässt, das wäre mir nicht wichtig.
Auschwitz-Koller
Kultura extra:
Waren Sie die ganze Zeit beim Dreh im Konzentrationslager dabei?
Robert Schindel:
Ich war ja der Regisseur. Auch wenn ich einen zweiten Regisseur hatte, meinen Freund Lukas Stepanik, musste ich ja überall dabei sein. Das ist nicht so wie bei „Supertex“, da war ich nur Autor und habe bloß meinen Text abgeliefert. Bei „Gebürtig“ habe ich auch den Film mit geschnitten, das waren dann noch 10 Wochen. Und auch vorher bei der Vorbereitung der Locations und beim Casting, da war ich überall dabei.
Kultura extra:
Sind in den Film auch Dinge eingeflossen, die tatsächlich einmal geschehen sind? Im Film gibt es eine Szene beim Casting, in der ein Bewerber abgelehnt wird, weil er nicht jüdisch genug aussähe, und der lakonisch antwortet: „Dem Hitler war ich jüdisch genug“.
Robert Schindel:
Ja. Das ist die Erfahrung von einem Menschen, der einmal bei einem Casting in New York mit mir dabei war, wo er wegen mangelnden jüdischen Aussehens nicht genommen wurde, ich aber schon. Unter Hitler war dieser Mann verfolgt. Ich war zwar auch verfolgt, aber ich kann mich nicht daran erinnern.
Kultura extra:
War das schlimm für Sie, ein KZ so hautnah zu erleben?
Robert Schindel:
Ich war vorher schon vier, fünf mal in Birkenau, immer in dem Bewusstsein, dass meine Leute dort nicht umgekommen sind, sondern anderswo. Obwohl ich später erfuhr, dass meine Großmutter väterlicherseits durchaus dort vergast worden ist. Meine Mutter war auch in Birkenau, aber nur für drei Monate. Ich hab genau die Stelle gefunden, wo sie gelebt hat. Dann waren wir auf der Location von „Gebürtig“, im Vorfeld haben wir verhandelt, wie viel wir dort drehen dürfen. Die eigentlichen KZ-Szenen wurden dort nicht gedreht. Da haben wir eine Baracke daneben gebaut, mit Blick ins Lager hinein. Wir haben auf dem Boden des Lagers Birkenau keine künstlichen Komparsen und Häftlinge drehen lassen. Das wollte ich nicht. Wir haben nur eine einzige Szene direkt in Birkenau gedreht. Das ist der kleine Nazi-Junge, der da die Schienen entlang läuft. Da waren wir mit einem ganz kleinen Kind direkt im Lager. Das war trotzdem alles nicht so einfach. Alle Beteiligten haben ihre Zusammenbrüche gehabt, den sogenannten Auschwitz-Koller, wie er im Film auch gezeigt wird. Bei mir ist es ganz gut gegangen. Ich war gewappnet. Ich wusste genau, ich muss da funktionieren. Ich war ja der Regisseur.
Ahnengalerie
Kultura extra:
Ist es richtig, dass es in Ihrer Familie nur zwei Überlebende gibt?
Robert Schindel:
Mehr inzwischen. Durch das Archiv des jüdischen Museums in Wien habe ich die ganze Familiengeschichte meines Vaters herausbekommen. Und da haben einige überlebt. Meine Cousine habe ich erst vor einem Jahr gefunden. In Wien. Die ist zehn Jahre älter als ich. Und wir treffen uns auch regelmäßig. Es ist schließlich eine leibliche Cousine.
Kultura extra:
Sie haben ja auch eine Ahnengalerie im Internet eingerichtet. Das ist doch eine schöne Idee, die Erinnerung aufrecht zu erhalten.
Robert Schindel:
Ja, da sind sie alle hereingekommen. Der Großvater, der Urgroßvater, die Kinder, die Großmutter, die vier Geschwister meines Vaters. Die Fotos hat die Cousine alle gehabt.
Kultura extra:
Damit beenden wir dieses Interview, da Sie unterwegs zu einer Lesung aus Ihrem Werk sind. Wir bedanken uns herzlich für Ihre Zeit und Offenheit.
Das Interview mit Robert Schindel führte Helga Fitzner am 21. März 2004
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