Vom türkischen Kunstkino des Yilmaz Güney zum „Cinéma du métissage“
Mit „Kurz und schmerzlos“ von Fatih Akin wollen wir nach der Zusammenfassung unsere Reihe zum türkischen Film beenden.
Vielleicht ist es uns ja gelungen, einen kleinen Einblick in die Türkei als Kinoland zu gewinnen. Von Istanbul aus („Hejar“) haben wir uns auf den weiten Weg ins türkische Hinterland bis an die Landesgrenzen Südost-Anatoliens begeben. In unserer Auswahl zum kurdischen Film haben wir sogar einen Blick über die Landesgrenzen hinaus gewagt. Es war gleichzeitig eine kleine Zeitreise durch 30 Jahre türkische Filmgeschichte. Angefangen mit dem Begründer des eigenständig türkischen Kunstkinos Yilmaz Güney haben wir uns mit Yüksel Yavuz bis ins neue Jahrtausend vorgepirscht. Von einem gemarterten Intellektuellen („Eine Saison in Hakkari“) haben wir erzählt, einem verrückten Bastler („Vizontele“) und einem unfreiwillig Heiligen („Eisenerde, Kupferhimmel“). Mit „Anam“ haben wir eine kämpferische Frau erlebt und in „Kalte Nächte“ unbeirrte Waisenkinder. Der Intellektuelle, der Verrückte, der Heilige, die Kämpferin, die Unbeirrbaren, sie alle sind Paradigmen für Menschen auf der Reise zu sich selbst.
Diese Filme sind vor allem Ausdruck derjenigen Künstler, die sie geschaffen haben. Da ist Yilmaz Güney, der als Kurde das türkische Kunstkino aus der Taufe hob, der Türke Zülfü Livanelli, der sich künstlerisch und politisch für die Demokratisierung seines Landes einsetzt und Erden Kiral, der als Regisseur bescheiden einfach nur begnadet gute und anspruchvolle Filme macht.
Die „Kurdenfrage“ hat einen großen Anteil an diesen Besprechungen eingenommen. Das liegt zum einen daran, dass sie immer noch ein Thema ist und zum anderen, dass ein großer Anteil der bei uns lebenden „Türken“ kurdischer Abstammung ist. Wir haben durch Yüksel Yavuz erfahren, dass Kurdistan für uns nicht weit weg irgendwo in Kleinasien besteht, Kurdistan beginnt für uns vielleicht schon am nächsten Döner-Imbiss.
Zum Schluss führte unsere Reise nach Deutschland. Wir haben diese Beiträge „Deutsch-Türkisches Kino“ genannt, obwohl wir wissen, dass die Filmemacher das nicht gerne hören. Der Begriff suggeriert fälschlicherweise, dass es so etwas wie ein homogenes deutsch-türkisches Kino gäbe. An den Besprechungen dürfte jedoch klar geworden sein, wie unterschiedlich die Ansätze und die Filmsprache der einzelnen Regisseure ist. Trotzdem wollen wir das zum Schluss noch revidieren und vom „Cinéma du Métissage“ sprechen, einem Begriff, den die Franzosen für ihr Migrantenkino kreiert haben, was soviel wie „Kino zwischen den Kulturen“ heißt.
Kutlug Ataman hat uns mit „Lola und Bilikid“ in die grell bunte Welt der Transvestiten und Homosexuellen entführt. Yüksel Yavuz richtet den Blick von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit, bei der die kurdische Herkunft der Protagonisten im Vordergrund steht. Thomas Arslans Filme dagegen sind weder richtig deutsch, noch türkisch, aber dafür zukunftsträchtig. Er hat sich seine Vorbilder im französischen Kino gesucht, zeigt in „Ein schöner Tag“ sogar Ausschnitte aus Eric Rohmers Film „Herbst“. Dabei kopiert er nicht, sondern entwickelt seine eigene Handschrift. Arslans Filme sind europäisches Kino, und irgendwie hat er uns mit dem eigenwilligen Film „Ein schöner Tag“ – filmisch gesehen - ins dritte Jahrtausend geführt.
Filmemachen ist ein teures Unterfangen. Aus diesem Grund ist die Zahl der rein türkischen Filme begrenzt. Oft müssen ausländische Co-Produzenten hinzugezogen werden. Die Unterstützung durch Organisationen wie die Filmförderung der Europäischen Kommission ist von elementarer Bedeutung. Viele Newcomer, wie Hussi Kutlucan, Yüksel Yavuz und Thomas Arslan wurden durch unsere öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten erst möglich gemacht, unter ihnen vor allem die Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“ vom ZDF.
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Yüksel Yavuz mit Claudia Tronnier, Redakteurin beim ZDF, Das
kleine Fernsehspiel bei einer Preisverleihung für den Film "Aprilkinder".
Copyright ZDF
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Wir können weder behaupten, dass die Auswahl der vorgestellten Filme repräsentativ, noch dass sie annähernd vollständig ist. Vieles hing davon ab, inwiefern die Filme überhaupt zur Sichtung aufzutreiben waren. Wir haben viele der wunderbaren Schauspieler vernachlässigt, die das türkische Kino geprägt haben. Füsün Demirel, Halil, Ergün, Tarik Akan, Zuhal Olcay und viele andere Persönlichkeiten hätten eine eigene Sparte verdient. Trotz allem hoffen wir, dass unsere Leser die kleine Reihe zum türkischen Kino als eine Verneigung vor einem Kinoland begriffen haben, das in seiner Mischung aus künstlerischer Ausdruckskraft, politischem Bewusstsein und eigener Nabelschau beispielhaft ist.
Die Türkei ist ein Land, das begreifen lernt, dass es nicht nur aus einer einzigen Volksgruppe besteht. Hier besteht eine Parallele zu Deutschland. Deutschland muss begreifen, dass es kein deutscher Nationalstaat ist, sondern eine multikulturelle Gemeinschaft. Beide Länder werden angesichts terroristischer Gewalt noch fester zusammenstehen. Der Türkei wird dabei, wie schon immer, die Rolle jenes Landes zuteil, das die Brücke zwischen Europa und Asien bildet, zwischen Orient und Okzident, zwischen Christentum und Islam. Und Deutschland muss schauen, dass es bewusst „multikulti“ wird und seinen Beitrag zur Integration beisteuert. Daher besprechen wir zum Schluss einen Film, der nicht in das Korsett türkisch-deutsch passt, sondern der bewusst multikulturell angelegt ist.
„Kurz und schmerzlos“ Regie Fatih Akin, Deutschland 1998
Ein Türke, eine Grieche und ein Serbe leben in Deutschland und halten wie Pech und Schwefel zusammen. Sie sind Beispiel eines Völkergemisches, wie es in Deutschland seit vielen Jahrzehnten vorkommt. Allerdings, keiner von ihnen ist der nette Ausländer von nebenan. Der Türke Gabriel (Mehmet Kurtulus) ist gerade aus dem Gefängnis entlassen, der Grieche Costa (Adam Bousdoukos) verliert den Halt, als seine Freundin ihn verlässt und Bobby, der Serbe, (Aleksandar Jovanovic) lässt sich auf illegale Geschäfte ein. Sie haben einen Schwur geleistet, dass sie wie Brüder sind und immer zusammen stehen werden. Diese Brüderschaft hat tödliche Konsequenzen.
Gabriel will sauber bleiben, wird aber von seinen beiden „Brüdern“ immer wieder in Gewalttaten und kriminelle Aktivitäten verstrickt. Costa erkennt das und erklärt Bobby: „Gabriel will erwachsen werden, und wir hindern ihn daran“. Costa und Bobby sind zwar groß im Macho-Gehabe, aber eigentlich sind sie Loser. Das erkennt auch Costas Freundin Ceyda (Idil Üner) und trennt sich von ihm. Als Bobby sich entgegen aller Warnungen mit der Mafia einlässt, trennt sich auch seine deutsche Freundin Alice (Regula Grauwiller) von ihm. Das wirft die jungen Männer noch mehr aus der Bahn. Bobby will für die Mafia unbedingt einen Waffendeal durchziehen, um sich zu beweisen. Er vermasselt das Geschäft und wird von der Mafia getötet. Costa will sich als Rächer aufspielen und Bobbys Mörder töten. Dabei kommt er selbst ums Leben. Gabriel bucht einen Flug in die Türkei ohne Rückflug für den nächsten Morgen. Er will in die Türkei fliehen, nachdem er den Mörder seiner beiden Freunde getötet hat. Bis hierhin hat Fatih Akin den Film im Stil des amerikanischen Gangsterfilms gedreht. Er ahmt nicht nach, sondern überträgt es auf deutsche Großstadtverhältnisse.
Der Film trägt aber auch türkische Züge. Am Anfang sehen wir die Hochzeit von Gabriels Bruder. Wir erkennen den Halt, den eine Familie und die Traditionen geben können, denn Gabriels Vater ist ein gläubiger Muslim, der regelmäßig betet und auch Gabriel immer wieder dazu einlädt. Gabriel verschließt sich dem immer wieder, nur am Schluss nicht. Nach dem Tod seiner beiden Freunde und nach dem Mord, den er selbst begangen hat, kann er sich endlich verinnerlichen. Mit seinem Vater kniet er zum Gebet nieder. Diese Szene hat nichts Radikales oder Fundamentalistisches an sich, hier wird der Islam mit jener Achtung vor Gott und den Menschen und jener Friedensliebe dargestellt, wie sie wesentlicher Bestandteil sämtlicher Weltreligionen sind.
Fatih Akin erlebte mit dem Film „Solino“ 2002 seinen Durchbruch, der als VHS noch in den meisten Videotheken erhältlich ist. Zur Zeit befindet sich sein neuester Film „Gegen die Wand“ in der Postproduktion. Er wird im Frühjahr 2004 in die deutschen Kinos kommen.
Für den zweiten Film der Regisseurin von „Anam“, Buket Alakus, ist der Drehbeginn für das Frühjahr 2004 angesetzt. Der Titel steht noch nicht fest.
Im deutschen Kino läuft seit Oktober „Die Villa mit Weintrauben“ – „Asmali Konak“. Er wird von der Firma maXXimum Film und Kunst GmbH vertrieben, die sich zum Ziel gesetzt hat, türkische Kassenschlager nach Deutschland zu holen. „Vizontele“ ist einer davon. Hier stehen für den Dezember und das kommende Jahre mehrere Kinohits auf dem Programm www.maxxcine.com.
„Aprilkinder“ von Yüksel Yavuz wird am 12. Januar 2004 um 00.10 Uhr im ZDF wiederholt.
Wir beschließen unsere Reihe mit herzlichem Dank an alle, die uns dabei freundlicherweise unterstützt haben: www.mittelmeer-filmfestival.de, http://daskleinefernsehspiel.zdf.de, www.3sat.de , www.wdr.de, www.kino-fuer-toleranz.de.
h.f. - red / Dezember 2003
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