MUSEO
FRIDA
KAHLO
in Mexico City
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Foto (C) Peter Jäger
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Die Welt ist gerade dabei, sich in einen sozialen Ruhemodus zu verabschieden und ihre Drehzahl auf Null herunterzuschrauben. Covid-19 nötigt uns, die Wohnungen nicht mehr zu verlassen, keine unnötigen Reisen zu tätigen und von anderen Menschen fern zu bleiben. Opern- und Konzerte sind abgesagt. Viele Häuser bieten deshalb alte und neue Produktionen im „live-stream“ an. Aber auch auf einen Museumsbesuch muss man nicht verzichten. Viele Museen können virtuell besucht werden. Dies hat durchaus auch Vorteile: man muss in keiner Schlange stehen und spart sich das Eintrittsgeld, und vor allem braucht man kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man mal ein Bild näher und länger betrachten will und es deshalb für andere blockiert. Natürlich fehlt der Charme und die Aura eines Originales, sagen nun Puristen, und natürlich haben sie recht. Das schon seit ein paar Jahren funktionierende italienische Projekt „die unmöglichen Ausstellungen“ (le mostre impossibili) bringen italienische Renaissancekünstler in hochwertigen Reproduktionen in Originalgröße in Ausstellungsräume, was durchaus Zuspruch bei einem breiten Publikum findet.
Im Moment bleiben uns nur diese virtuellen Besuche. In Mexico City war ich noch nie und deshalb soll das MUSEO FRIDA KAHLO das erste sein, das ich vom Schreibtisch aus besuchen werde.
So heißt es nun nicht „anschnallen, Sitz aufrecht stellen, Fensterklappe runter“, sondern einfach nur „hinsetzen, PC anschalten“, und mit einem Click sind wir auch schon angekommen...
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Mexiko ist ein großes, faszinierendes, buntes Land zwischen Pazifik, Karibik und dem Golf von Mexiko mit exotischen Pflanzen und Tieren, vier Zeitzonen und einer beeindruckenden Kultur. Die präkolumbianischen Zivilisationen der Olmeken, Maya, Tolteken und Azteken haben große Errungenschaften wie den Pyramidenbau oder den Knotencode hinterlassen. Sie waren außerdem sehr bewandert in der Astronomie. Die mesoamerikanische Hochkultur der Azteken herrschte, als die spanische Kolonialzeit begann. Hernán Cortés stürzte das Aztekenreich Anfang des 16. Jahrhunderts im Auftrag von König Karl V. von Spanien. Gold und Silber wurde aus dem Land herausgeholt, die katholische Kirche und die spanische Sprache hineingebracht. Das ist aber eine andere, lange und sehr komplexe Geschichte. 1810 erst machte sich Mexiko von Spanien unabhängig, und wieder 100 Jahre später, 1910, fand die mexikanische Revolution statt; und das ist der Grund, warum Frida Kahlo ihr Geburtsdatum von 1907 auf 1910 abgeändert hat. Ihr Geburtsjahr sollte das Jahr des Neubeginns sein. Wie es dann in Mexiko weiteging, ist auch eine andere Geschichte.
Fridas Vater, Carl Wilhelm Kahlo, stammte aus Pforzheim, wanderte 1890 nach Mexiko aus und wurde Fotograf. Dort heiratete er die Mexikanerin Maria Cárdena. 1904 begann er als Wilhelm/Guillermo Kahlo mit dem Bau der Casa Azul (dt.: "blaue Haus"). Es liegt im Stadtteil Coyoacán und war zu Kahlos Zeiten noch ein kleiner, farbenprächtiger Ort in der Hauptstadt-Provinz, zwischen exotischen Bäumen und Kolonialbauten. Der Ort hat damals viele Künstler und Intellektuelle angezogen, die sich in Straßencafés und bei kulturellen Ereignissen trafen. Das Haus wirkt nicht luxuriös, aber sehr groß mit einem Patio im Inneren. Man kann sich das sehr gut als kleines Paradies vorstellen mit unbekannten Pflanzen und seltenen Vögel. Frida war sehr traditionsbewusst und nationalistisch und hat sich immer gerne als indigene Frau gezeigt, auch der weißen Oberschicht gegenüber. Rätselhaft, stolz und geheimnisvoll kokettiert sie mit ihrem Leiden, versteckt und offenbart es oft gleichzeitig, integriert es in ihre Kunst und macht es, ähnlich den zusammengewachsenen Augenbrauen und den Damenbart, zum Markenzeichen.
La Casa Azul, ihr Wohnhaus, ist heute das Frida Kahlo Museum. „Frida y Diego vivieron en esta casa“ (dt.: "Frida und Diego haben in diesem Haus gewohnt.") kann man auf der Tafel am Eingang des kobaltblauen Hauses lesen [s. Foto re. o.].
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La casa azul | Foto (C) Peter Jäger
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Frida Kahlo ist nicht mal 50 Jahre alt geworden und hat kein umfangreiches Werk hinterlassen. Von den insgesamt 143 Arbeiten sind 55 Selbstportraits, meist Brustbilder. Ihre Arbeiten sind weltweit in Museen oder Privatsammlungen untergebracht. Ausstellungen sind oft schwierig zu organisieren, da manche Bilder nicht ausreisen dürfen. In der Casa Azul können nur einige Hauptwerke besichtigt werden, viele ihre Kleider, präkolumbianische Skulputren, ihre Krücken und unzählige schmerzvermittelnde Korsette, Schmuck, Fotografien, Bilder von Diego Rivera und anderen mexikanischen oder lateinamerikanischen Künstlern aus unterschiedlichen Epochen. In zehn Räumen sind die Arbeiten zu sehen, darunter auch welche von Paul Klee. Küche und Esszimmer im mexikanischen Stil gehören ebenfalls zum Besuch. Mit 25.000 Besucher monatlich ist es eines der meist besuchten Museen ist Mexiko.
Ein Bild in der Online-Ausstellung Mehr Schein als Sein heißt Appearances can be deceiving (1934). In dieser Arbeit offenbart sie ihr zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Körper. Unter dem transparenten Kleid sieht man das Gerippe eines orthopädischen Apparates, der wie ein kafkaeskes, exotisches Tier aussieht. Sie versteckt das Korsett und macht es gleichzeitig sichtbar.
Die Kinderlähmung erwischte Frida mit sechs Jahren, was eine leichte Verkürzung des rechten Beines zur Folge hatte, die sie aber nicht am Schwimmen oder Radfahren hindern konnte. Es war vor allem der schwere Unfall 1925, bei dem eine Stahlstange ihr Becken durchbohrte, der sie lange Zeit in ein Stahlkorsett und zum Liegen verdammte. Im Bett hat sie auch angefangen zu malen. Als Lieblingstochter ihres Vaters hat er sie schon früh an die Fotografie und Kunst herangeführt. Bei ihm hat sie außer Fotografieren und Entwickeln auch Beobachten gelernt. Das erste Selbstportrait entstand 1926, da war sie 19 Jahre alt. Mit einem starken Willen und viel Kraft hat sie sich immer wieder gegen die Schicksalsschläge gewehrt und sie teilweise auch besiegt, und natürlich war da Diego Rivera. 1929 heiratet sie den 20 Jahre älteren Künstler. Frida, die ihrem Land verbundene revolutionäre Kommunistin, hat sich zuerst in seine monumentale avantgardistische Wandmalerei (murales) verliebt. Rivera war zu diesem Zeitpunkt schon sehr bekannt. Ihre Verbindung war permanent durchgeschüttelt von Affären – auf beiden Seiten. Frida war u.a. mit dem russischen Revolutionär Leo Trotzki liiert, dem sie sogar ein Haus in der Nähe der Casa azul kaufe. Dort wurde dieser von einem Stalin-Schergen mit einem Eispickel 1940 erschlagen. Man sagt ihr auch eine Affäre mit dem deutschen Kunstsammler Heinz Berggruen, mit einer Sängerin aus Costa Rica und mit einem Fotografen nach.
Diegos Untreue hat sie, wie ihre unzähligen Fehlgeburten, immer wieder in Bildern verarbeitet wie ein naives Werk aus 1931 Frida and the Cesarean. Sie liegt nackt in einem Krankenbett, neben ihr ein Kleinkind, darüber der große Kopf von Rivera, und im Hintergrund findet gerade eine Operation statt. Das Bild ist weiß-rotbraun. Es entstand nach ihrer ersten Fehlgeburt. 1939 hat sie sich von Diego scheiden lassen, um ihn ein Jahr später wieder zu heiraten. Sie hätte ohne ihn die Schmerzen nicht ertragen, und er hat ihre Kraft bewundert. Einem Kritiker schrieb er einmal: „Ich empfehle sie Ihnen nicht, weil ich ihr Ehemann bin, sondern weil ich ein fanatischer Bewunderer ihres Werkes bin.“
Der virtuelle Gang beginnt am Haus und Garten. Am Eingang ein Foto, das Ihr Vater von ihr als 12jährige gemacht hat. Mit ihren schwarzen, forschenden Augen blickt sie sehr ernst in die Kamera. Ihr Haar ziert eine riesige Schleife.
Der Marxismus wird den Kranken Gesundheit spenden (1954) ist eines der bekanntesten Bilder in dem kleinen Museum. Frida dominiert in der Mitte. Sie trägt ein beige-grünes Korsett-Kostüm und wirkt nicht verletzlich. Die großen Hände des Kommunismus beschützen sie, deshalb braucht sie ihre Krücken nicht mehr. Sie fallen gerade zu Boden. In einer Hand hält sie ein rotes Buch. Links hinter ihr eine weiße Taube, die wohl gerade aus einem bunten Ei geschlüpft ist. Rechts im Bild würgt Karl Marx einen großen Adler, der den Kopf von Uncle Sam trägt. Die bunte Tafel misst 76 x 61 cm. Dieses wohl letzte Bild spricht von ihrem Glauben an den Kommunismus. Bei ihrem Tod stand es wohl noch auf der Staffelei. „Zum ersten Mal weine ich nicht mehr“, soll sie gesagt haben. Dieses Gemälde darf laut Testament La Casa Azul nicht verlassen. Frida hat in einem Tagebuch ihr eigenes Farb-ABC beschrieben. Der Hintergrund ist braun-gelblich, was für sie Erde, Vergehen, Wahnsinn, Krankheit, Angst bedeutete. Grün ist warmes, gutes Licht, aber auch die Farbe der schlechten Nachrichten, kobaltblau ist die Eierschale und steht für Reinheit und Liebe.
Ihre erste Einzelausstellung hat nur ein Jahr vor ihrem Tod stattgefunden, Frida war zu dieser Zeit schon ans Bett gefesselt. Es gibt auch Theorien, die von Selbstmord sprechen.
In einem anderen Zimmer steht ein bemaltes Korsett, das an Chagall denken lässt. Ihre Haare trägt sie fast immer hochgesteckt, so auch auf einem Familienportrait aus 1949. Sie sitzt unten in der Mitte. Stillleben und Landschaften hängen in einem anderen Raum sowie ein Portrait von ihrem Vater (1952). Das Brustbild zeigt einen jungen Mann mit Schnurrbart, im Anzug mit Weste und im Hintergrund eine Kamera. Im Text unter dem Foto beschreibt sie das Bild. Ein Selbstportrait aus 1926 mit einem weinroten Samtkleid ist klar von Modigliani langen Hälsen inspiriert. Die Augenbraunen in Herzform schon zusammen gewachsen. Einem Stil kann man ihr Werk nicht unbedingt zuordnen. Frida Kahlos Malerei ist eine folkloristisch-surreale-naive – beeinflusst von der Azteken und Maya-Farben, von ihren Qualen, ihrer Leidenschaft, ihren politischen Überzeugungen und ihren Heimatverbundenheit.
Man besucht dieses Museum nicht wirklich wegen der paar Bilder oder Fotografien, es ist Fridas Geist, der ihre Fan-Gemeinde dorthin pilgern lässt. Es empfiehlt sich wohl, die Eintrittskarte im voraus zu kaufen, die Schlangen sollen lang sein – in einer normalen Welt.
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Im Zuge der Frauenbewegung hat sie an Popularität zugenommen. Heute ist sie bekannter als ihr Mann Diego Rivera. Viele Filme wurden über sie gedreht, darunter einer mit Salma Hayek. Auch die Musik hat sich mehrfach mit ihr befasst. Marcela Rodriguez hat eine Kammeroper für kleines Orchester und einen Sopran, Las carta de Frida komponiert; sie wurde 2011 am Städtischen Theater Heidelberg welturaufgeführt.
In Mexiko ist sie die wichtigste Malerin, und die mexikanische Regierung hat ihre Bilder zu „nationalem Kulturgut“ erklärt. Ein Ganzkörperportrait hat 2006 bei einer Versteigerung 5,6 Millionen US-Dollar erbracht. Wobei ihr bewegtes und dramatisches Leben mit Krankheit und Rivera und ihr fanatischer Patriotismus Teil ihrer Kultperson sind.
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Christa Blenk - 20. März 2020 ID 12097
Virtueller Rundgang durch das MUSEO FRIDA KAHLO
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