Limits of Knowing
kämpft mit der Nichterkennbarkeit der Welt
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(C) Berliner Festspiele
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Bewertung:
Vergangenen Sonntag haben die Berliner Festspiele ihr neues interdisziplinäres Kunst- und Theaterformat IMMERSION gestartet. Mit der Ausstellung Limits of Knowing im Martin-Gropius-Bau wollen die Veranstalter sogenannte sensorische Ansätze in Kunst und Wissenschaft untersuchen und diese beiden Felder miteinander verbinden, wie es heißt. Weiter steht dazu im Begleitkatalog: „Immersive Kunstwerke - ob sie nun mit technischen Apparaturen Sensoren (VR-Brillen, Overalls mit Sensoren, Smartphones, Stroboskopen) oder mit analogen Mitteln arbeiten - können wissenschaftliche Erkenntnisse und Problemstellungen in Erfahrungen übersetzen, die einer ungewöhnlichen Logik folgen. Sie locken uns Zuschauer*innen aus der Rolle der Betrachter*innen und laden uns in eine sensorische Erfahrungswelt ein, in der sie das Außen kurzzeitig vergessen.“ Vorausgesetzt natürlich, man ließe sich auch von diesen etwas kryptischen Beschreibungsversuchen locken.
Die "Immersion", also das buchstäbliche Eintauchen in ein auf beschriebene Weise erzeugtes Kunstwerk, erfordert ein stückweit die Bereitschaft der potentiellen KonsumentInnen, sich jenseits der „klassischen Erkenntnistheorie“ auch direkten physischen Erfahrung auszusetzten und dabei durch rein sinnliche Empfindungen leiten zu lassen. Es spielt dabei zunächst auch keine Rolle, ob man direkt interagiert oder sich nur passiv treiben lässt. Wichtig scheint den KünstlerInnen lediglich die „Theorie der Unerkennbarkeit“, was bedeutet, dass sich diese neuen Phänomene nicht mit alten, verbrauchten Begriffen erfassen und beschreiben lassen. Dabei soll es vor allem auch um das Befremden, Verblüffen und die Hinterfragung unserer Wahrnehmung von Wirklichkeit gehen.
Das sieht dann in den Ausstellungsräumen im 1.Stock des Martin-Gropius-Bau zunächst mal wie eine ganz normal kuratierte Schau zeitgenössischer bildender Kunst mit interdisziplinärer Ausrichtung aus. Der erste Raum befasst sich mit dem sogenannten „Narrative Space“ RHIZOMAT der deutschen Künstlerin Mona el Gammal, den sie bereits 2016 im Rahmen der Vorbereitungen auf das neue Format IMMERSION in Berlin vorstellte. Dabei konnte das Publikum einzeln in den von der studierten Szenografin gestalteten Räumen eines alten Gebäudes, dessen Lage nur Eingeweihten bekannt war, wandeln und einer dystopischen Geschichte um Gedankenkontrolle und eine Untergrundgruppe, die gegen ein monopolisierendes, unterdrückendes und überwachendes global ausgerichtetes Unternehmen kämpft, folgen. Dieses begehbare Szenario wurde nun für die Ausstellung in den 360°-Film RHIZOMAT VR verlängert. In einem kleinen abgeplanten Pavillion kann man auf einem Drehstuhl sitzend diesen 12minütigen Film durch eine Virtual-Reality-Brille ansehen. Die Story klingt ein wenig wie Matrix, ist in diesem inhaltlich recht begrenzten Schnuppervideo aber lediglich ein technisch durchaus perfektes Schmankerl, wenn nicht die Handys in den VR-Brillen heiß laufen.
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RHIZOMAT VR | (C) Mona el Gammal
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Wirklich selbst in Räume eintauchen kann man mit den Overalls der chinesischen Kostümdesigner JNBY, die mit Sensoren ausgestattet sind. Durch semitransparente Brillen sieht man die Umgebung der Haptic Field (v2.0) genannten multisensorischen Rauminstallation von Chris Salter + TeZ nur sehr verschwommen und kann anderen TeilnehmerInnen nur durch die am Körper leuchtenden Sensoren, die zudem hin und wieder auch brummen und vibrieren, wahrnehmen und ihnen somit ausweichen. In den Räumen gibt es verschiedene, wechselnde elektronische Licht- und Soundquellen, die diesen Parcours zu einem durchaus interessanten Sinn-Erlebnis aus Tasten, Sehen und Hören machen. Ein heißer Tipp für jeden Technotempel.
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Chris Salter, Haptic Field, Shanghai, Chronos Art Centre (CAC) | Foto (C) Aina Wang - CAC
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„Arrival of Time" nennt sich ein Ausstellungsteil, der sich künstlerisch mit der Messbarkeit von Zeitfluktuation auseinandersetzt. Es geht hierbei um Einsteins Theorie der Änderung der Raumzeit in Gravitationswellen. Das klingt zunächst recht wissenschaftlich. Das Künstlerduo Evelina Domnitch & Dimitry Gelfand nutzt zur Veranschaulichung in ihrer Lichtinstallation ER=EPR zwei gegeneinander rotierende Wasserwirbel, die zwei miteinander verbundene schwarze Löcher simulieren. Ebenfalls in einem Wasserbecken stellt die prismatische Lichtwellen produzierende Installation Orbihedron die quantentheoretische Interpretation von Schwerkraft dar.
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Arrival of Time - Computersimulation von Gravitationswellen, die bei der Verschmelzung zweier schwarzer Löcher entstehen. | Foto (C)Henze - NASA
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Das ist sicher sehr schön anzusehen, das Prinzip der Immersion erschließt sich dem Betrachter allerdings nur durch zusätzliche Erklärungen und wirkt auch bei den von Professor Rana X. Adhikari durch programmierte Algorithmen computeranimierten Videobilder von Gravitationswellen oder der flackerndes Stroboskoplicht und hochfrequente Klänge ausendenden Videoscreen-Installation not even nothing can be free of ghosts von Rainer Kohlberger nicht viel anders als eine Ausstellung multimedialer bildender Kunst in anderen Zusammenhängen.
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Die Berliner Festspiele werden bis zum 31. Juli noch weitere Perfomances mit den Künstlergruppen Rimini Protokoll und Vegard Vinge / Ida Müller sowie Diskussionsrunden und KünstlerInnen-Gespräche zum Thema Immersion veranstalten.
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Stefan Bock - 4. Juli 2017 ID 10124
https://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/immersion/start.php
Post an Stefan Bock
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