UNSERE NEUE GESCHICHTE (Teil 46)
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Das alte
Narrativ
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„Es ist wichtig, dass die Welt endlich die Wahrheit versteht“, erklärt der britische Künstler und Kurator Patrick Waterhouse. Er beschäftigt sich schon länger mit Prozessen und Maßnahmen, wie Narrative entstehen, nach außen dargestellt werden und dadurch unsere Überzeugungen und unser (mitunter vermeintliches) Wissen erschaffen. Diese sind mitunter falsch, und am Beispiel der Aborigines illustriert er im Rahmen der kleinen Ausstellung im Kölner RAUTENSTRAUCH-JOEST-MUSEUM Revisions – made by the Warlpiri of Central Australia and Patrick Waterhouse, wie das in deren Fall vonstatten gegangen ist.
Zusammen mit Mitgliedern der First Nation überarbeitete er eine ausgewählte Sammlung von vorgegebenen Landkarten, Flaggen, Fotografien und anderen Illustrationen, woraus der Titel Revisions entstanden ist: "Überarbeitungen", die um die Sichtweise der Aborigines ergänzt wurden. Diese Werke wurden in den zentralaustralischen Gemeinden Yuendumu und Nyirripi erschaffen, die nördlich und westlich von Alice Springs gelegen sind. Das Projekt ist einzigartig und generationenübergreifend unter Beteiligung von Ureinwohnern zwischen 16 und 90 Jahren. Waterhouse lebte fünf Jahre lang bei den Warlpiri und entwickelte mit ihnen und der First-Nation-Künstlerin Sabrina Nangala Robertson als Kuratorin die Ausstellung, die ergänzend auch von Oliver Lueb vom RJM kuratiert wurde.
Als James Cook Australien 1788 entdeckte, behauptete er, dass es sich um eine "terra nullius" handele, was weit gefehlt war, denn in diesem „Niemandsland“ lebten viele Stämme. Es gibt auf der Erde kaum andere Völker, die in dieser Kontinuität und über derart lange Zeiträume ihr Land so bewohnen und bewahren konnten, wie es ihnen ihre spirituelle Überzeugung vorgibt, da der Kontinent dermaßen abgelegen war. Man hielt die Aborigines für primitive Wilde und meinte deshalb auch nicht hinterfragen zu müssen, ob die Landnahme überhaupt rechtens war. Bis heute ist das ganzheitliche Weltbild der Ureinwohner vielen noch ein Rätsel vor allem, weil es derart komplex ist, dass Europäer es kaum nachvollziehen können, da sie nicht mit dem Land so eng verwurzelt sind, nicht im Einklang mit der Natur und den Ahnen leben, und durch Initiationen, Riten und Zeremonien auch nicht auf ein Leben in harmonischer Gemeinschaft ausgerichtet sind. Für viele Aborigines war der Einfluss der Fremden über die Jahrhunderte so stark, dass sie zumindest partiell ihre Wurzeln verloren haben, was insbesondere für die Küstenregionen gilt. Zentralaustralien wurde erst 100 bis 120 Jahre später von den Weißen besiedelt, wodurch sich die Traditionen dort besser halten konnten (s. auch Wüste Meer und Schöpfermythen, 2017)
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Die Künstler haben verschiedene Materialien verwendet, darunter Stoff, auf dem die britische Flagge zu sehen ist, weil Australien anfangs eine englische Kronkolonie war. Über die Fahne malten sie ihre Landschaften nach ihrer Tradition hinein. Das sind keine topografischen Karten, weil die Schwerpunkte andere sind, wie Hinweise auf heilige Stätten, Wasserquellen und Tiere, so bedeuten Markierungen, die wie Pfeile aussehen, Emus. Bei anderen Bildern nahmen sie Satellitenfotos als Hintergrund und zeichneten im Vordergrund ihre Version und Interpretation der Landschaft, denn die Einteilung in Territorien erfolgte durch die Europäer willkürlich über geologische Begebenheiten und Stammeskulturen hinweg. (Das ist übrigens gängige Praxis überall auf der Welt, auch die deutschen Bundesländer entstanden am Reißbrett).
Viele Bilder wurden mit der berühmten Punktmalerei hergestellt. Waterhouse hat Fotos von den Menschen der Gemeinschaft gemacht, die sie gleich mit ihren Malereien ergänzt haben. Stammesangehörige können an der Machart und Farbe Erkenntnisse über den Inhalt und die ausführenden Künstler gewinnen. Das ist ein erweiterter Blick, dessen Dimensionen über die dingliche Welt hinausgehen. Die Warlpiri brauchen für sich selbst keine solche Dokumentation, denn sie sind mit dem Geist und dem Herzen so verbunden, dass diese Dokumente und Bilder nur genutzt werden, um anderen ihren Standpunkt und ihr Wissen zu vermitteln. Deswegen kommen auch einige der einheimischen Tiere vor, die integral dazu gehören. "Jukurrpa" ist ein Wort für das, was ihr Leben zentral ausmacht, was oft mit Traumzeit übersetzt wurde, aber es steht eigentlich für alles, für das Kosmologische, das Philosophische, das Gemeinschaftliche, das allgemein Menschliche... Wege sind für sie Songlines, die von Ahnenwesen erschaffen wurden und kulturelle Routen sind. Sie haben auch keine lineare Zeitvorstellung, sondern vereinen Vergangenheit und Gegenwart miteinander, um sie mit in die nächste Gegenwart zu tragen.
Nun werden im RJM eine Reihe von Exponaten präsentiert, die von den Warlpiri-Künstlern und Künstlerinnen mit ihrem Jukurrpa versehen wurden. Die Wahrheit ist, dass die bisherige Geschichte Australiens von den „Siegern“ geprägt wurde, einseitig ist und die Belange der Ureinwohner völlig außer Betracht ließ. Die Ausstellung ist auch ein Akt der Selbstbehauptung Jahrhunderte nach der Übernahme mit der Absicht, dass die Ureinwohner ihre eigenen Narrative zurückgewinnen und öffentlich repräsentieren, und um zu zeigen, dass zumindest ein Teil ihrer Kultur erhalten und lebendig ist. Das ist das eigentliche Australien, das zwischen 40.000 und 60.000 Jahre lang naturnah und intakt existierte und sich in den 235 Jahren seit seiner Entdeckung bis zur Unkenntlichkeit verändert hat.
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Es wurden Flaggen, Satellitenbilder und weiteres von den Warlpiri übermalt und ihrer eigenen Kultur angepasst | Foto: Helga Fitzner
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Helga Fitzner - 13. Dezember 2023 ID 14522
https://www.museenkoeln.de/rautenstrauch-joest-museum/
Post an Helga Fitzner
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