Exzessive
Körperbilder
von Maria Lassnig und Martin Kippenberger
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Bewertung:
Kaum ein Jahr ohne Maria-Lassnig-Ausstellung. Die 2014 im Alter von 94 Jahren verstorbene österreichische Malerin ist weit über die Landesgrenzen bekannt, hat in Klagenfurt, Wien, Paris, New York und auch mal in Berlin gelebt. 2009 und 2010 haben ihr das MUMOK Wien und das Lenbachhaus München Retrospektiven zum 90sten Geburtstag ausgerichtet. 2014, kurz vor Maria Lassnigs Tod, folgte das MoMA PS1 in New York City. Berlin dagegen muss wohl noch länger auf eine Ausstellung dieser so vielschichtigen, fantastischen Künstlerin warten. Schon zum zweiten Mal ist sie dagegen seit Mai dieses Jahres im Kunstbau des Lenbachhaus München zu sehen. Zusammen mit dem 35 Jahre jüngeren deutschen Maler und Installationskünstler Martin Kippenberger, der allerdings bereits 1997 an Leberkrebs starb. Übrigens in Wien, wo auch Maria Lassnig die meiste Zeit ihres Arbeitslebens verbracht hat. Kippenberger lebte von 1978 bis 1980 in Berlin, wo er stark in die Clubszene um das Kreuzberger SO36 involviert war. 2013 war die letzte Kippenberger-Ausstellung hier im Hamburger Bahnhof zu sehen. Aber auch Köln, Paris und Los Angeles zählen zu den Wirkungsstätten des umtriebigen Enfant terrible des deutschen Kunstbetriebs. Kippenberger zählt zu den ganz Großen der zeitgenössischen Malerei. Im Herbst wird ihm die Bundeskunsthalle Bonn eine Retrospektive ausrichten. Bis dahin sollte man nach München pilgern, um sich diese beiden Ausnahme-Künstler im BODY CHECK (so der Titel der Ausstellung) anzusehen. Ein besonders interessanter Dialog ihres malerischen Werks, das zumeist aus recht exzessiven Selbstportraits besteht.
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Das Auschecken des eigenen Körpers ist also das Verbindende und große Thema dieser Schau, die dazu rund 100 Werke der beiden Künstler in verschiedenen Werkgruppen nebeneinander stellt. Am Beginn der Ausstellung verweist das Portrait, das Maria Lassnig 1978 von Ulrike Ottinger und Tabea Blumenschein malte, auf die gemeinsame Zeit in der West-Berliner Künstlerszene. Auch der junge Kippenberger kannte die Filmregisseurin Ottinger und Schauspielerin Blumenschein. Ob sich die beiden damals über den Weg gelaufen sind, ist aber nicht verbürgt. Bleibt also der Hang zur Selbstdarstellung als einziges Bindeglied, was auch gleich mit einer ganzen Reihe von Selbstportraits der beiden Künstler manifestiert wird. Während Lassnig in ihren „Körperbewusstseinsbildern“ das Innere nach außen stülpt, sich also des eigenen Körpergefühls bewusst wird und es auf die Leinwand bringt, malt sich Kippenberger in seinem Zyklus Hand Painted Pictures von 1992 in Sportler-Posen nach Fotovorlagen. Lassnig zeigt in Sprechzwang auf ihren weit offenen Mund, oder sich verletzlich im Selbstportrait im Schnee. Körperteile wie in Materialisation des Auges oder in Die gelbe Hand werden überspitzt dargestellt. Weitere Selbstportraits heißen Die Sanduhr oder Der Verstand hat Angst. Es geht Lassnig vor allem um das Bewusstwerden des eigenen Körpers, auch des Verfalls und der eigenen Sterblichkeit, was Kippenberger in seinem Bilderzyklus Das Floß der Medusa ebenfalls thematisiert und zusätzlich einer ironischen Zivilisationskritik unterzieht.
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Maria Lassnig: Die Lebensqualität (Quality of Life), 2001, Öl auf Leinwand / oil on canvas, 195 cm x 205 cm | (C) Maria Lassnig Stiftung / Foundation
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Martin Kippenberger: Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 150 cm x 180 cm | © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne
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Ihr Körpergefühl verdeutlicht die vom Informel kommende Lassnig auch mit expliziten Farben wie in Grüne Köpfe. Qual, Schmerz, psychische und physische Versehrtheit weisen beider Selbstportraits auf. So etwa Lassnigs abstrakt-gedrungene, von oben gepresste Körper in Erniedrigte und Beleidigte. Kippenbergers Portraits haben Krallenhände oder bestehen nur aus Körpertorsi. Beide Künstler lassen sich auch von Paul Schrebers Schizophrenie-Reflexionen Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken inspirieren. Kippenbergers Portrait Paul Schreber (selbstentworfen) zeigt ein zerklüftetes Gehirn. Lassnig reflektiert eigene Erfahrungen in Illusion von den versäumten Heiraten oder malt mit Die Braut badet den Bräutigam und Macht des Schicksals düstere „Kellerbilder“ von in Folie verpackten Körpern nach im Dunkeln entstandenen Fotografien. Mit seiner Tablettenabhängigkeit beschäftigt sich Kippenberger in der ironischen Raum-Installation mit Baumstämmen und Tabletten mit dem Titel Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald, in der man auch ein erweitertes Selbstbildnis sehen kann. Aus der Serie Fred The Frog wird das provokant-ironische Kreuzigungsbild Bitteschön-Dankeschön gezeigt. Fast schon zynisch ist dagegen Lassnigs Gemälde Die Lebensqualität, in dem sie ein Weinglas über Wasser haltend von einem Piranha ins Bein gebissen wird.
Ergänzt wird die Ausstellung noch durch eine Serie von Zeichnungen der beiden Künstler wie etwa den verstörenden Sciencefictionselbstportraits von Maria Lassnig und Martin Kippenbergers Figuren-Skizzen auf Hotelbriefpapier. Der Experimentalfilm Iris, in dem Lassnig 1971 in Überblendungen kaleidoskopartig den nackten Körper einer jungen Frau beschreibt, verdeutlicht nochmal die explizit weibliche Sichtweise der Künstlerin auf den eigenen Körper gegenüber dem bisher in der Kunstgeschichte vorherrschenden männlich-voyeuristischen Blick. „Be aware!“ heißt die Botschaft in einem ihrer Animationsfilme aus dieser Zeit. Lassnig will sich des Körpers im Leben wie im Sterben bewusst sein, was für den männlichen, exzessiv lebenden Künstler und bewussten Selbstdarsteller Kippenberger sicher nie ein Problem war. Die Ergebnisse dieser sehr unterschiedlichen Körperbefragungen und Selbstwahrnehmungen sind sich dennoch verblüffend ähnlich.
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BODY CHECK im Münchner Lenbachhaus | Foto: Stefan Bock
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Stefan Bock - 25. Juli 2019 ID 11585
Weitere Infos siehe auch: https://www.lenbachhaus.de/
Post an Stefan Bock
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