UNSERE NEUE GESCHICHTE (Teil 26)
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„Ein friedlicher und
fröhlicher Aufstand
der sich Verweigernden“
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Bewertung:
Als der Wachstumskritiker Niko Paech und der Buddhist Manfred Folkers zusammen das Buch All you need is less verfassten, konnten sie noch nicht wissen, wie aktuell es angesichts der derzeitigen Corona-Krise werden würde. Während des Schreibens drehte sich noch alles um die Klima-Krise, und beiden war bewusst, dass Einschränkungen nötig sind, um den Planeten vor der Zerstörung zu bewahren und die Maxime des stetigen Wachstums mit ihren fatalen Auswirkungen zu stoppen. Aus verschiedenen Lagern stammend erklären sie Wege aus dem „hyperaktiven Wachstumszwang“ (S. 13) zu einer Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht, wie es im Untertitel heißt. Noch hätten wir Zeit, durch eine Rückkehr zur Suffizienz, der Genügsamkeit, dem bevorstehenden Klimakollaps die Basis zu entziehen und ressourcenschonender zu leben. Ihre Beschreibung von Wegen zu bewusster Selbstbeschränkung und Nachhaltigkeit klingen mitunter ein bisschen pessimistisch angesichts der grassierenden Gier-Wirtschaft und der „immensen Beharrungskraft von Gewohnheiten“ (S. 86), denn „Konsum ist das zentrale Heiligtum der Moderne“ (S. 132).
Durch die Corona-Krise ist in Teilen genau das eingetroffen, was die Autoren verhindern wollen, nämlich fremdbestimmte Einschränkungen, wie derzeit die der Bewegungsfreiheit, Freizeitgestaltung etc. Durch ein Virus bekommen wir einen Vorgeschmack von dem, was geschehen würde, wenn in der Zukunft der Kollaps des Planeten durch gesetzliche Maßnahmen verhindert werden müsste. Beide Autoren üben durchaus harsche Gesellschaftskritik. Der sanfte Buddhist Folkers sagt sehr deutlich: „Zukünftigen Generationen wird Gewalt angetan, ohne dass sie sich wehren können“ oder Paech: „Konsumieren heißt, sich Werte und Leistungen anzueignen, deren Herkunft und Ursprung außerhalb der eigenen Leistungsfähigkeit liegen“ (S. 133). Doch richten sie ihr eigentliches Augenmerk auf die Wohltaten, die eine Befreiung vom Konsumzwang mit sich bringt. Damit wirken sie der Angst entgegen und öffnen Wege zur Eigenverantwortung. Statt einer Erstarrung oder Hyperaktivität könnte eine innere Einkehr vollzogen werden, genauso wie eine Überprüfung unseres Konsumverhaltens hin zur Wertschätzung und zum entspannten Genuss von besser und weniger.
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Manfred Folkers:
Es geht dem Dharma-Lehrer nicht primär um die religiöse Dimension des Buddhismus, sondern um dessen Anteile an einer säkularen Spiritualität. Meditation ist für ihn kein Mittel, dem Alltag zu entfliehen, sondern sich ihm zu stellen. Das haben übrigens die Beatles vorgemacht, nachdem ihr Hit All you need is love erschien. Sie entflohen dem exzessiven Trubel um ihre Band und lernten in Indien Meditation und eine entschleunigte Lebensweise kennen. Solange menschliche Beweggründe wie „Eigennutz, Besitzstreben, Abgrenzung und Folgenleugnung nicht transformiert werden, bleiben alle Korrekturmaßnahmen Makulatur“ (S. 25), befürchtet Folkers. Buddha nennt drei Grundübel, die es zu überwinden gilt: Gier, Hass und Verblendung. Wenn wir den Wandel zu einer Kultur des Genug nicht schaffen, wird sie uns aufgezwungen werden müssen: „Die viel beschworene und nötige Transformation erfolgt dann 'by disaster' und nicht 'by design'“, (S. 36). Wie viel erbaulicher wäre es dagegen, am Erhalt unseres Planeten und an einer fortschrittlichen und nachhaltigen Zivilisation mit neuen attraktiven Perspektiven mitzuwirken. Dazu muss man erst einmal für sich selbst Klarheit gewinnen und aus der inneren Erkenntnis heraus handeln. Alles, was wir über ein verträgliches Maß hinaus verbrauchen, verursacht an anderer Stelle Schäden oder Mangel. Als Teil der Probleme kann der Mensch auch Teil der Lösungen werden und die Genügsamkeit als Ethik ansehen.
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Niko Paech:
Der Postwachstumsökonom erklärt zuerst drei Begriffe [Effizienz, Konsistenz, Suffizienz], die oft durcheinander gebracht werden.
Effizienz entsteht durch Einsparung von Ressourcen und verringerter Umweltbelastung. Dort setzt auch die Konsistenz an, die das noch erweitert, indem Emissionen und Abfälle vermieden werden. Doch Achtung: Diese führen nicht notwendigerweise zu einer Verringerung des Konsums, manchmal sogar zu einer Erhöhung, und dienen oft als symbolische Ersatzhandlungen. Ein wirklicher Wandel geschieht nur durch die Suffizienz, durch Selbstbegrenzung, Reduktion oder vollständige Entsagung. Wenn Menschen sich an möglichst vielen Optionen von Angeboten beteiligen wollen, entstünde eine „unerträgliche... Seichtigkeit des Seins“ (S. 150). Das führe nur zur Anhäufung von Wohlstandstrophäen und flüchtigem Überkonsum, der sich ins Gegenteil verkehre. Durch das Überangebot braucht man selbst nichts Substantielles zu können: „So wird eine Virtuosität des Nichtkönnens kultiviert“ (S. 153). Doch gerade die Fähigkeit, selber Dinge herzustellen, sich durch intensive Beschäftigung ein Handwerk anzueignen, ein Instrument zu spielen oder andere Fähigkeiten zu erwerben, tragen zu unserer persönlichen Souveränität bei. Durch die Ansammlung von Gütern, Freizeitangeboten, Reisen etc. entstünde ein „identitätsstiftendes Anerkennungsniveau“, das einen konsumabhängig macht, was wiederum Verlustängste erzeugt. Deshalb ist der Verzicht, schon gar der freiwillige, eine besonders schwierige Entscheidung. Die Vielfalt der Angebote trifft auch noch auf eine begrenzte Zeit, die uns zur Verfügung steht, so dass wir die zahlreichen Möglichkeiten nur kurz abarbeiten können, von denen aber nach Abschöpfung des Oberflächenreizes nichts mehr bleibt und sie sind ein schädlicher und für Paech ein „dekadenter Luxus fern jeglichen Sachzwangs“ (S. 183). Suffizienz muss aber weder lustfeindlich oder asketisch sein. Sie ist „nicht immer eine Kunst der Entsagung, sondern der konzentrierten und kompetenten Verwendung ausgewählter Objekte oder Ereignisse“ (S. 230).
Die derzeitige Corona-Krise offenbart eine Verteilungs-Ungerechtigkeit von Wohlstand, die jetzt viele Geschäfte, Restaurants, Kulturbetriebe, Selbständige und Kunstschaffende in den Ruin treibt. Diese findet in dem auf Suffizienz ausgerichteten Buch All you need is less keine Erwähnung. Mit der Postwachstumsökonomie, wie Paech sie insgesamt versteht, geht eine grundlegende und darunter auch eine Geldreform einher, die an dieser Stelle nicht vorkommt, auf Paechs Webseite aber durchaus.
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All you need is less ist so kompakt und inhaltsreich, dass man fast jede Seite als zitierwürdig unterstreichen könnte. Hier können wir nicht einmal annähernd auf den Inhalt eingehen, nur versichern, dass es viele Erkenntnisse und Anregungen zum Handeln oder auch Unterlassen enthält. Die Corona-Krise, deren Gefahren- und Angstpotential wir auf keinen Fall unterschätzen wollen, kann uns jetzt vielleicht unfreiwillig die Zeit und Möglichkeit geben, wieder mehr zu uns selbst und zu anderen zu finden. Insgesamt gehen Folkers und Paech etwas zu wenig auf die über 13 Millionen Menschen in Deutschland ein, die von Armut betroffen sind, sich kaum eine Teilhabe irgendeiner Art leisten können und auf die die Kritik nicht zutrifft. Zum anderen gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die den beschriebenen Bewusstseinswandel längst vollzogen haben und die sich für Ökologie, Energiesouveränität, Tier-und Artenschutz, Umweltschutz, Friedensarbeit sowie eine ganze Reihe gesellschaftlicher, sozialer und kultureller Themen einsetzen.
Das Buch schließt hoffnungsfroh: „Qualitativ enthält eine 'Kultur des Genug' jedoch sehr viel mehr Zusammengehörigkeit, Würde, Wohlwollen, Vertrauen, Toleranz, Stille, Sorgfalt, Präsenz, Natürlichkeit, Leichtigkeit, Integrität, Humor, Großzügigkeit, Dankbarkeit und Achtsamkeit.“ (S. 240f) So kann der Aufstand der sich Verweigernden, wie es im Klappentext heißt, durchaus ein friedlicher und fröhlicher sein. Und - an keiner Stelle wird die Notwendigkeit und Sinnstiftung von Kultur in Frage gestellt, was für uns von Kultura extra natürlich essentiell ist.
Helga Fitzner - 19. März 2020 ID 12096
Verlags-Link zum Sachbuch
All you need is less
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