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verliert
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Seit jeher prägen Naturgewalten und kräftezehrende Landarbeit das Leben vieler Bauernfamilien. Heute haben Land- und Forstwirtschaft ihren Reiz für viele junge Menschen verloren. Eine allgemeine Abkehr vom Dorf lässt sich vielerorts beobachten. Wenn Eltern ihren Kindern den Betrieb – Objekt und Produkt jahrzehntelangem entbehrungsreichen Abrackerns – nicht weitergeben können, führt das oft zu schwerwiegenden Konflikten und sogar existenziellen Ängsten. Dominik Bartas kurzweiliger Roman Vom Land (2020) zeichnet ein Familienporträt über drei Generationen, in dem die Landflucht eine tragende Rolle spielt.
Erwin und Theresa verbinden fast vierzig Ehejahre. Sie führen in einem fiktiven Dorf in der oberösterreichischen Gegend um Linz einen Bauernhof. Ihre drei erwachsenen Kinder schlugen unterschiedliche Wege fernab des Landidylls ein. Bald schafft die erschöpfte und kraftlose Theresa es nicht mehr, den festgefahrenen Ritualen des Bauernlebens nachzukommen:
„Ihre Augen standen offen, weshalb es schwer war, ihre Stille zu verstehen. Hätte sie geschlafen, hätte man sie in Ruhe lassen können. Doch ihre Augen starrten einen an, weshalb man unweigerlich annahm, sie wäre für Ansprachen bereit. Umso quälender war es, dass sie keine Antworten gab. Ich setzte mich zu ihr ans Bett und fragte sie, wie es ihr ging. Sie sah mich an, ihr Mund zuckte kurz. Dann verlor sich die flüchtige Bewegung ihrer Lippen. Es blieb ein rätselhafter Gesichtsausdruck. Ich versuchte es erneut, denn es war so schwer zu glauben, dass sie nicht sprechen konnte. Sie wandte ihre Augen nicht ab. Mit ihrer Aufmerksamkeit blieb alles in Ordnung. Doch sie blieb stumm.“ (S. 47)
Erwin bittet deswegen ihre Kinder noch einmal zusammenzukommen. Beim Familientreffen keimen alte Konflikte wieder auf. Die Kinder haben ihre eigenen Probleme und sind einander fremd geworden. Max, der älteste Sohn, ist rechtsradikales Mitglied einer politischen Bewegung, in der der Holocaust verharmlost und empört gegen Flüchtlinge gewettert wird. Die Tochter Rosalie leidet unter einem notorisch untreuen Mann. Der jüngste, namenlos bleibende Sohn möchte mit Familienproblemen so wenig wie möglich belastet werden. Er hat sich als Lehrer in die Stadt entzogen. Dominik Barta zeichnet ein wenig idyllisches Dorfbild, in dem sich jeder der Nächste scheint und Herzlosigkeit vorherrscht:
„In der Kirche achtete niemand auf den lieben Gott. Einzig die Gläubigen wurden eindringlich gemustert. Wer hatte einen neuen Haarschnitt? Wer eine neue Jacke? Wie seltsam roch der alte Hanslbauer! Wie lächerlich war der Lidschatten jener Maier-Tochter! Der alte Kluger war wieder nicht in der Kirche. […] Wie in allen Dörfern, regierte in erster Linie die Angst vor den Nachbarn. Was würden die Nachbarn denken? Was würden sie sagen?“ (S. 73)
Wenn im Dorf etwas Besonderes passiert, ist es schnell in aller Munde. Sich verbreitendes Dorfgeschwätz wird durch Lästereien ausgeschmückt. „Schwuchtel“ ist ein gebräuchliches Schimpfwort, auch um eingefleischte Junggesellen auszugrenzen. Männer, die mit Mitte dreißig noch keine Frau geehelicht haben, entsprechen gängigen Männlichkeitsbildern nicht. Auch Flüchtlinge aus Syrien, die in der Gemeinschaft des dörflichen Klosters aufgenommen wurden, werden argwöhnisch beäugt. Bald wird auch gegen sie gewettert (S. 118), weil sich einige junge Syrer nicht den Gepflogenheiten unterzuordnen wissen und mitunter gegen Anfeindungen rebellieren. Einzig Rosalies zwölfjähriger Sohn Daniel, Erwins und Theresas Enkel, verhält sich menschlich, wenn er seinen Großeltern hilft und sich mit einem sechzehnjährigen Flüchtlingsjungen anfreundet.
Zeitliche Ebenen überlagern sich. Auf wenigen Seiten werden viele Figuren mit ihren individuellen Schicksalen beleuchtet. Leider kommen so zentrale Konflikte zwischen den (Groß-)Eltern Erwin und Theresa etwas zu kurz. Ihre Aussprachen und die Folgen werden zu wenig beleuchtet. Vom Land erscheint aufgrund der Vielzahl an Motiven und Nebenschauplätzen auch zu wenig fokussiert. Unvermittelte Perspektivwechsel verwirren, da man manchmal nicht sofort weiß, wer gerade als Ich-Erzähler mit wem spricht. Diese Multiperspektivität hat jedoch auch einen gewissen Reiz, meint man doch, ein ganzes Dorf werde in all seinen Facetten porträtiert. Die wechselnden Perspektiven erinnern auch an bekanntere Provinz-Chroniken wie etwa die Eifel-Romane von Norbert Scheuer. Schlussendlich mindern auch einige etwas holzschnittartige Dialoge und kleinere Tippfehler (S. 122) ein bisschen das Lesevergnügen an diesem insgesamt recht vielversprechenden Debüt.
Ansgar Skoda - 21. März 2020 ID 12101
Verlagslink zu Dominik Bartas Roman
Vom Land
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